Frage an Katja Kipping von Tim J. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Kipping!
Unsere Tochter (9 Jahre) meinte neulich, sie fände es ungerecht, dass manche Leute so viel und manche Leute so wenig oder sogar gar kein Geld hätten. Viel besser wäre es doch, wenn man das Geld abschaffen würde, schlug sie vor. Man könne es dann ja so machen, dass jeder im Supermarkt pro Person vielleicht 15 Sachen nehmen dürfte und wenn es große Sachen wären, dann nur fünf. Außerdem (und ich vermute, dass dies ein relativ wichtiger Aspekt für sie war) könnte sie dann auch ein Pferd haben - würde ja nix kosten ;-)
Ich habe dann versucht, ihr zu erklären, dass Geld eine gute Sache ist und warum es eigentlich so ist, dass manche Leute reich und manche arm sind, aber leider kam ich sehr schnell ins Stottern und schließlich gab ich in Ermangelung guter Argumente auf.
Wären Sie vielleicht so freundlich und würden das für mich übernehmen?
Mit freundlichen Grüßen,
T. J.
Lieber Herr J.,
vielen Dank für das Vertrauen, sich mit den klugen Fragen Ihrer Tochter an mich zu wenden. Nun führen Sie mich damit auch ein bisschen in heikle Gefilde. Wenn Politiker*innen in der Vergangenheit im Bundestag Kinderlieder sangen, kam das meist weder bei Kindern noch bei Erwachsene gut an.
Die Entstehung des Gegenwartskapitalismus kindgerecht zu erklären und dann auch noch überzeugend darzulegen, wie man ihn überwinden kann und wie besser nicht, ist ja schon im Gespräch mit Erwachsene kein so ganz leichtes Unterfangen.
Vielleicht so viel: Auch die meisten Kinder, die ich kenne, finden komisch, dass es Menschen gibt, die in unserer Gesellschaft so viel mehr haben als sie brauchen und auf der anderen Seite solche, denen das Allernötigste fehlt.
Ich glaube, die meisten Menschen finden diesen Zustand, auch wenn sie erwachsen werden, nicht richtig, sondern wenn überhaupt gewöhnen sie sich eher daran. „Weil es nun mal so ist“ ... oder sie zu denen gehören, die gut versorgt sind und sich fürchten, dass sie etwas abgeben oder teilen müssten.
Richtig überzeugt haben mich all diese „Gründe“ bisher nicht. Im Gegenteil, ich finde einen Gedanken Ihrer Tochter sehr richtig: Ich finde auch, dass jeder Mensch vor Armut geschützt und jedem/r ermöglicht werden soll, Teil der Gesellschaft zu sein. Das ist auch der Grundgedanke, der hinter der „sanktionsfreien Mindestsicherung“ in Höhe von 1050 Euro steht, den meine Partei fordert. Kein Mensch soll so wenig Geld haben, dass er nicht mehr am sozialen Leben teilhaben kann. Das bedeutet, dass Leute, die große Millionenvermögen haben, etwas Geld abgeben müssen, das dann jene bekommen, die arm oder von Armut bedroht sind.
Die für die Tochter wahrscheinlich mindestens genauso wichtige Frage nach dem Pferd ist dabei natürlich noch nicht beantwortet. Aber das gibt es ja streng genommen auch nicht im Supermarkt. Da würde ich eher auf soziale Infrastruktur wie die Kinderbauernhöfe setzen, in denen Kinder mit Tieren in Kontakt kommen können, auch dann wenn man sich kein eigenes Pferd leisten kann.
Damit würde ich es fürs Erste belassen. Ich hoffe, Ihre Tochter verliert die Lust am Hinterfragen nicht. Analytisch tiefergehender lassen sich die Fragen von Wert- und Geldform, Tausch- und Gebrauchswert sowie der warenproduzierenden Gesellschaft dann sicher in ein paar Jahren diskutieren. ;-) Die Rosa-Luxemburg-Stiftung bietet dazu immer mal wieder gute Gelegenheiten ... auch für aufgeweckte junge Menschen.
Herzliche Grüße
Katja Kipping