Frage an Katja Kipping von Herbert R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kipping,
Sie zeigen sich für einen offen ausgetragenen Konflikt / Angriff (Kampagne?) gegen die Fraktionsspitze Ihrer Partei verantwortlich.
Vieles deutet darauf hin, dass dadurch der Einzug in den niedersächsischen Landtag „verspielt“ wurde.
Wann wollen Sie die persönliche Verantwortung für Ihr parteischädigendes Verhalten übernehmen? Wann werden Sie also zurücktreten?
Vielen Dank für Ihre Rückantwort.
Mit freundlichen Grüßen
H. R.
Sehr geehrter Herr R.,
vielen Dank für Ihre Frage. Zunächst einmal haben Sie Recht — ich bin eine große Freundin davon, Meinungsverschiedenheiten offen in der Sache auszutragen, ehrlich anzusprechen und auszudiskutieren und in demokratischen Verfahren zu bearbeiten. Das ist Kern dessen, was für mich eine demokratische Partei ausmacht. „Offen“ heißt bei Diskussionen in den jeweiligen Gremien offen miteinander Dinge zu besprechen und gerade nicht über die Medien zu spielen.
Über Meinungsverschiedenheiten zwischen der Führung der Partei und der Führung der Bundestagsfraktion gab es Veröffentlichungen und über die Medien vorgetragene Vorwürfe an mich. Dies ging nicht von mir aus und ich bedaure das; gerade weil ich auch der Meinung bin, dass gerade während Wahlkämpfen der Umgang miteinander besonders von Fairness geprägt sein sollte.
Die Punkte, die Kern der Diskussion waren, betrafen Anträge von Fraktionsmitgliedern zur ersten Klausursitzung der Fraktion, die die Zusammensetzung des Fraktionsvorstandes und Regelungen zum Stimmrecht und zum Rederecht vorschlugen. Im Vorfeld der Sitzung gab es viele öffentliche Spekulationen über weitergehende Intentionen und Hintergründe, die aber allesamt nicht der Realität entsprachen. Mir ging es um eine engere Vernetzung der Arbeit der Fraktion und der Partei und es ging darum, dass sich in den letzten zwei Jahren ein Drittel der Fraktion ausgebremst fühlte. Das wollten wir ändern, auch da wir es uns nicht leisten können, gute Leute auszubremsen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Natürlich haben Bernd Riexinger und ich auf der Fraktionsklausur Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch für den Fraktionsvorsitz vorgeschlagen - wie wir es bereits am Tag nach der Bundestagswahl angekündigt hatten.
Beide wurden mit guten Ergebnissen gewählt, wofür wir auch geworben hatten. Bei den strittigen Anträgen zur Geschäftsordnung wurde einer zurückgezogen, einer dem Inhalt nach übernommen. Die Zusammensetzung des Fraktionsvorstandes wurde um eine Beauftragte für soziale Bewegungen erweitert. Damit wurde ein Kompromiss erzielt, für den ich während der Sitzung in einer persönlichen Erklärung geworben habe und mit dem wir jetzt in die inhaltliche Arbeit einsteigen können.
Natürlich wird es in einer pluralen Partei wie der unseren immer Diskussionen und Differenzen geben. Diese sollten nicht über die Medien ausgetragen werden. Das ist Bernd Riexinger und mir sehr wichtig.
Vor uns liegen strategische Herausforderungen durch einen veränderten Bundestag, in dem rechte und neoliberale Kräfte gestärkt sind. Die Zusammensetzung der zukünftigen Bundesregierung lässt Angriffe auf soziale Rechte, auf Mieterschutz und Beschäftigte erwarten. Wir werden - zusammen mit tausenden neuen Mitgliedern, die sich der LINKEN zugewandt haben - unsere Partei stärken und weiter aufbauen. Denn eine starke LINKE wird gebraucht: nicht nur im Parlament, auch in den Nachbarschaften, in den Betrieben, im Alltag. Dort streiten wir für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität.
Zu Ihrer Frage nach Rücktritten: Demokratie lebt von Diskussion; wenn nach jeder Meinungsverschiedenheit eine/r zurücktreten müsste, wäre bald niemand mehr da, mit dem man gemeinsam politisch für linke Politik streiten könnte.
Herzliche Grüße
Katja Kipping