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Frage von Christian S. •

Frage an Katja Kipping von Christian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Kipping,

warum hat der sogenannte "islamische Staat" so eine Anziehungskraft auf manche Menschen?

Nach meiner Meinung besteht das Problem darin, dass in unserer Gesellschaft Muslime oft als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Genau dies spielt den Terroristen in die Hände: Wer sich dem IS anschließt, wird dort als Mensch ERSTER Klasse behandelt, bekommt endlich die Anerkennung, die er vorher so lange vermisst hat.

Wie ist Ihre Meinung dazu?

Mit freundlichen Grüßen

Christian Steffen

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Lieber Christian Steffen,

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Frage. Richtig ist, dass der IS Diskriminierungserfahrungen von Muslimen als Propagandainstrument nutzt. Als Erklärung, warum sich Menschen (aus europäischen Ländern) dem IS anschließen, halte ich dies aber nicht für ausreichend. Als Reaktion wäre ja zunächst naheliegender, sich gegen Diskriminierung zu engagieren und sich nicht etwa einer Organisation anzuschließen, die in ihrem Herrschaftsgebiet vor allem andere Muslime schikaniert, diskriminiert und zu Tausenden ermordet.

Zum anderen sind eine nicht unerhebliche Zahl derer, die sich in Europa dem IS anschließen, entweder zuvor keine praktizierenden Muslime oder überhaupt keine Muslime gewesen. Die Rekrutierungsstrategie des IS besteht aus ganz unterschiedlichen Versprechen. Für autoritär sozialisierte, junge Männer mag die Faszination von Krieg und der Selbstermächtigung durch Gewaltausübung interessant sein. Für Menschen, die nach Sinn und Halt suchen, das Versprechen nach Gemeinschaft, Anerkennung und Sinnstiftung. Darüber hinaus gibt es andere Versprechen, die gezielt Sehnsüchte und Bedürfnisse insbesondere von Heranwachsenden ansprechen. Von der romantischen Schwärmerei für die Ehe mit vermeintlichen heroischen Helden bis hin zu trüben Phantasien sexueller Gewalt gegen Ungläubige nutzt der IS nicht zuletzt auch eine repressive Sexualmoral für seine Zwecke.

Also kurz gesagt: Ich denke sehr wohl, dass die Bekämpfung von Diskriminierung beiträgt, die Propaganda des IS zu unterlaufen. Die gemeinsame Propagandalüge der Rechten und der Dschihadisten lautet schließlich: Muslime und Nichtmuslime können nicht friedlich und gleichberechtigt zusammenleben. Eine solidarische Gesellschaft widerlegt daher ganz praktisch diese Propaganda. Und nicht zuletzt muss auch offen kommuniziert werden, dass, wie Sie es ja auch schreiben, der IS Menschen eben auch seine Anhänger nicht als „Menschen erster Klasse“ behandelt - sondern sie als menschliche Bomben missbraucht und brutal verfolgt, sobald sie, wenn die Realität im Kriegsgebiet nicht mit den Propagandaversprechen übereinstimmt, Zweifel hegen.

Viele Grüße
Katja Kipping

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DIE LINKE

Lieber Christian Steffen,

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Frage. Richtig ist, dass der IS Diskriminierungserfahrungen von Muslimen als Propagandainstrument nutzt. Als Erklärung, warum sich Menschen (aus europäischen Ländern) dem IS anschließen, halte ich dies aber nicht für ausreichend. Als Reaktion wäre ja zunächst naheliegender, sich gegen Diskriminierung zu engagieren und sich nicht etwa einer Organisation anzuschließen, die in ihrem Herrschaftsgebiet vor allem andere Muslime schikaniert, diskriminiert und zu Tausenden ermordet. Zum anderen sind eine nicht unerhebliche Zahl derer, die sich in Europa dem IS anschließen, entweder zuvor keine praktizierenden Muslime oder überhaupt keine Muslime gewesen.

Die Rekrutierungsstrategie des IS besteht aus ganz unterschiedlichen Versprechen. Für autoritär sozialisierte, junge Männer mag die Faszination von Krieg und der Selbstermächtigung durch Gewaltausübung interessant sein. Für Menschen, die nach Sinn und Halt suchen, das Versprechen nach Gemeinschaft, Anerkennung und Sinnstiftung. Darüber hinaus gibt es andere Versprechen, die gezielt Sehnsüchte und Bedürfnisse insbesondere von Heranwachsenden ansprechen. Von der romantischen Schwärmerei für die Ehe mit vermeintlichen heroischen Helden bis hin zu trüben Phantasien sexueller Gewalt gegen Ungläubige nutzt der IS nicht zuletzt auch eine repressive Sexualmoral für seine Zwecke.

Also kurz gesagt: Ich denke sehr wohl, dass die Bekämpfung von Diskriminierung beiträgt, die Propaganda des IS zu unterlaufen. Die gemeinsame Propagandalüge der Rechten und der Dschihadisten lautet schließlich: Muslime und Nichtmuslime können nicht friedlich und gleichberechtigt zusammenleben. Eine solidarische Gesellschaft widerlegt daher ganz praktisch diese Propaganda. Eine wirksame Präventionsarbeit müsste eine umfassendere demokratische Kultur der Gleichberechtigung, die sich gegen repressive Geschlechterbilder, autoritäre Erziehungsformen und die Tabuisierung von Sexualität richtet, beinhalten.

Und nicht zuletzt muss auch offen kommuniziert werden, dass anders, als Sie es ja auch schreiben: Der IS auch seine Anhänger nicht als „Menschen erster Klasse“ behandelt. Sie werden im Gegenteil dazu als menschliche Bomben missbraucht und brutal verfolgt. Sobald sie Zweifel hegen oder erkennen, dass die Realität im Kriegsgebiet nicht mit den Propagandaversprechen übereinstimmt, sind sie nicht selten selbst mit dem Tod bedroht.

Viele Grüße
Katja Kipping