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Frage von Eric M. •

Frage an Katja Kipping von Eric M. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Kipping,

Bundeskanzerlin Merkel streichelt die europäische Idee zu Tode. Angesichts dieser - bedrohlichen - Situation erlaube ich mir, noch einmal eine Frage zu stellen, die Sie in der Vergangenheit ausweichend, nämlich mit dem Hinweis, Sie seien als Sozialpolitikerin für so etwas nicht zuständig, oder gar nicht beantwortet haben (meine Frage vom 31.05.2010).

Wieso finden Sie es / findet es DIE LINKE hinnehmbar, dass
- der größte Teil unseres Geldes, nämlich das Giralgeld, von Geschäftsbanken bei der Kreditvergabe geschaffen und in Umlauf gegeben wird, welche per se nur aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive agieren?

- in der Folge (alleine schon zur Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs) Banken immer wieder gerettet werden müssen, weil die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft mittlerweile von ihnen abhängig geworden ist?

- dadurch Wirtschaftskrisen entstehen oder/und erheblich verstärkt werden, in deren Windschatten eine kleine Minderheit gigantische Gewinne realisieren kann, während öffentliche Ausgaben nicht mehr finanziert werden können und die öffentliche oder/und private Verschuldung explodiert?

Ich möchte im Übrigen darauf hinweisen, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen zwingend auf ein funktionierendes Geldsystem angewiesen ist, also eines, das staatlich oder noch besser direkt durch die Bürger kontrolliert wird (Occupy-Aktivist Prof. Helge Peukert schlägt z.B. Geldschöpfung per Referendum vor).

Der Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring macht derzeit genau zu diesem Thema derzeit eine Aktion, siehe http://norberthaering.de/de/27-german/news/355-rundfunkgebuehr-2#weiterlesen

Eigentlich gehören Sie doch nicht zu der Fraktion, die darauf hofft, dass erst einmal alles zusammenbricht, damit danach das sozialistische Paradies wie von selbst entstehen kann.

Warum meinen Sie als LINKE sich mit solchen Fragen wie der nach dem Design unseres Zahlungsmittels nicht beschäftigen zu müssen?

Mit freundlichen Grüßen
Eric Manneschmidt

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Antwort von
DIE LINKE

Lieber Herr Manneschmidt,

vielen Dank für Ihre Fragen. Wir erleben derzeit eine Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Verwerfungen in ganz Europa spürbar sind und sich mittlerweile im Süden Europas auch zu einer sozialen und humanitären Krise ausgeweitet haben. Nun gehören Finanz- und Wirtschaftskrisen zum Kapitalismus wie das Privateigentum an Produktionsmitteln. Dennoch haben diese Krisen historisch unterschiedliche Verläufe genommen und verschiedene Ursachen gehabt. Die Frage, wie sich die Folgen dieser Krisen begrenzen lassen, wie sich Krisen vermeiden lassen und wie die gesellschaftlichen Kosten von Krisen verteilt werden, ist daher eminent wichtig.

Sie haben Recht mit der Einschätzung, dass ich NICHT daran glaube, dass schwere Krisen im Kapitalismus notwendig zu seiner Überwindung oder einer emanzipatorischen Transformation führen und daher zu begrüßen wären. Im Gegenteil. Deswegen teile ich Ihre Auffassung, dass es notwendig ist, über Verlauf und Ursachen von spezifischen Krisen zu sprechen und sich auch innerhalb einer kapitalistischen Wirtschaftsverfassung für eine Politik einzusetzen, die verhindert, dass, wie geschehen, eine kleine Elite riesige Gewinne realisiert, während die Kosten auf die Gesellschaft abgewälzt werden.

Diese Diskussionen werden in meiner Fraktion und meiner Partei geführt. DIE LINKE fordert daher:

• eine grundlegende Revision der Krisenpolitik;
• die Befreiung der öffentlicher Kreditaufnahme aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte;
• die fiskalpolitische Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten;
• eine konsequente Eigentümer- und Gläubigerhaftung durch Erhöhung des haftenden Eigenkapitals bei Banken;
• die Erhöhung der Bankenabgabe für große Banken gemäß ihrer Größe und Risikoneigung;
• eine grundlegende Regulierung des europäischen Banken- und Finanzsektors mit dem Ziel, Großbanken zu verkleinern und zu vergesellschaften. Der Bankensektor muss so umgebaut werden, dass Banken so klein wie möglich, so groß wie nötig und in ihren Risiken beherrschbar bleiben;
• der Finanzmarkt ist mit einem Finanz-TÜV zu entschlacken. Da Derivate zweiten und höheren Grades mit der ursprünglichen Risikodiversifizierungs- und Absicherungsfunktion nichts mehr zu tun haben, dienen sie nur der Spekulation im globalen Finanzkasino. Sie sind überflüssig und gehören verboten; der intransparente und riskante außerbörsliche Handel ist zu beenden.
• DIE LINKE fordert darüber hinaus die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Höhe von mindestens 0,1 Prozent. Längerfristiges Ziel muss eine weltweite Einführung sein. Kurzfristig ist die Einführung gemeinsam mit anderen europäischen Staaten möglich. Parallel zu den internationalen Verhandlungen soll die Finanztransaktionssteuer in Deutschland zunächst mit einem Steuersatz von mindestens 0,01 Prozent erhoben werden.

Sie sprechen darüber hinaus implizit die Diskussion über die Ausdehnung des staatlichen Geldregals auf unbare Zahlungsmittel und die Einführung eines sogenanntes Vollreservesystem oder eines Vollgeldsystem an. Diese haben durch die IWF-Studie von Benes und Kumhof, die Volksinitiative in der Schweiz sowie den Report von Sugujonsson neue Nahrung erhalten. Sie werden selbstverständlich auch in der LINKEN (kontrovers) diskutiert.

Ein Vollgeldsystem soll laut seinen Fürsprechern nicht nur den ökonomischen Wachstumszwang in kapitalistischen Gesellschaften mindern, sondern auch Spekulationsblasen verhindern, die Verschuldung öffentlicher Haushalte beenden und die Seigniorage – die Geldschöpfungsgewinne – den öffentlichen Haushalten zur Verfügung stellen. Bei derart weitreichenden Versprechen, lohnt es sich zunächst skeptisch nachzufragen. In diesem Rahmen kann ich dies in angemessenem Umfang nur andeuten.

Die Spekulationsblasen der letzten Jahre haben weniger mit Geldschöpfung zu tun, (wobei richtig ist, dass diese Blasen mit Krediten aufgebläht wurden) sondern mit der Deregulierung der globalen Finanzmärkte in der Ära Thatcher/Reagan. Deswegen sind die naheliegenden Gegenmittel zunächst Regulierung, Verkleinerung und Aufsicht.

Eine Begrenzung der Kreditmenge lässt sich über die Eigenkapitalanforderungen besser erreichen, als über eine zentrale Geldmengensteuerung. Die richtige Feststellung, dass die Basel III-Regelungen unzureichend sind, weil sie u.a. viel zu gering ausfallen, ist noch kein Argument gegen diesen Weg. Ein Versuch einer zentralen Geldmengensteuerung bringt aber ein anderes Problem mit sich. Geldpolitik zur Bereitstellung zusätzlicher Liquidität wird erschwert. Es besteht also die Gefahr, dass ein Vollreservesystem damit sogar noch krisenverschärfend wirkt.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein Vollgeldsystem tatsächlich die öffentlichen Haushalte schont, weil Banken nicht mehr durch den Steuerzahler gerettet werden müssten. In einem Vollgeldsystem wie es Huber vorschlägt, sind Einlagen nicht nur wie bisher bis zu einem Betrag von 100.000 Euro durch den Einlagensicherungsfond, sondern eben zu 100 % durch die Zentralbank garantiert. Somit sind die öffentlichen Haushalte letztlich über einen Umweg wieder mit im Boot.

Freundliche Grüße
Katja Kipping