Frage an Katja Kipping von Frederik N. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Kipping,
als Wähler der Linkspartei sehe ich die Solidarität der Linken mit der gr. Regierung sehr kritisch, da nicht erst seit den warnenden Worten von Prof. Heinz A. Richter bekannt ist, dass in Griechenland ein extremer Klientelismus vorherrscht. Dazu gehört auch, dass die, die ganz oben sitzen, seit 1830 keine Steuern zahlen – bis heute nicht. Gegenwärtig sind das rund 800 Familien. Sie besitzen oder kontrollieren mehr als 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Quellen: 1. Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/apuz/142833/politische-kultur-in-griechenland?p=all 2. Interview auf heute.de: http://www.heute.de/interview-mit-heinz-richter-zur-griechenland-krise-eu-geld-fuer-hemmungslosen-konsum-ausgegeben-38939238.html
Syriza ist dagegen offensichtlich in den vergangenen Monaten nicht einmal ansatzweise vorgegangen. Frage: Wie kann dies sein, bei einer angeblich linken Regierung? Griechenlands linke Regierung besteuert die Vermögenden nicht, die Ablehnung der Institutionen hinsichtlich Unternehmensgewinne über 500.000 € jährlich mit einer Abgabe von 12% zu besteuern, kann nicht als Legitimation der linken Regierung dienen, hier nun überhaupt nichts mehr einzufordern oder umzusetzen, wie bspw. auch keine Vermögensabgabe vorzunehmen, die Lagarde Liste mit den Steuerschuldnern nicht angemessen zu verfolgen, kein Steuerabkommen mit der Schweiz zu forcieren, welches schätzungsweise 15 Mrd. Steuerschulden der Vermögenden eingebracht hätten (zum Vergleich: Berlin hat ca. 60 Milliarden Schulden und eine marode Bildungsinfrastruktur). Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-schwarzgeld-in-schweiz-koennte-geld-bringen-a-1025408.html
Soziale Gerechtigkeit wird nicht erreicht, indem mit den Steuern der mittleren & unteren Einkommensschichten aus Deutschland die Vermögen der 800 Reichsten in Griechenland weiterhin geschont werden.
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung vorab.
Mit freundlichen Grüßen
Frederik Neuburg
Lieber Herr Neuburg,
vielen Dank für Ihre Fragen. Zunächst: Als Linke bin ich nicht mit einer Regierung solidarisch, sondern mit der griechischen Bevölkerung. Diese erlebt seit Jahren eine soziale und humanitäre Katastrophe, die durch eine Politik bedingt wird, welche die Kosten der Krise auf die Mittelschichten und auf die Subalternen abwälzt. Eine Regierung, die von Troika und griechischer Regierung gemeinsam organisiert wurde.
Die Wahl von Syriza hat zum ersten Mal überhaupt die Möglichkeit eröffnet, diese Politik zu beenden. Sie haben Recht damit, dass die griechische Politik und Wirtschaft nach dem Ende der Militärdiktatur durch einen starken Klientelismus geprägt war. Der Reichtum ist in den Händen weniger Familien konzentriert, während sich zwei Parteien, Pasok und Nea Dimokratia, zwischen 1974 bis 2015 an der Macht abgewechselt haben.
Genau deswegen ist die Wahl von Syriza überhaupt die Bedingung für einen gesellschaftlichen und politischen Wandel in Griechenland. Das Kabinett Tsipras ist zum Zeitpunkt Ihrer Frage seit 165 Tagen im Amt. Viel Zeit ist mit letztlich immer wieder gescheiterten Verhandlungen mit IWF und Eurogruppe verwandt worden.
Trotzdem ist beachtlich, was diese Regierung unter diesen Bedingungen und in dieser kurzen Zeit geschafft hat. Sie hat eine ganze Reihe von Reformen begonnen und durchaus angefangen, die Steuerschulden Vermögender einzutreiben. Anders als Sie schreiben, ist erstmals überhaupt gegen Verdächtige der „Lagarde-Liste“ ermittelt und vorgegangen worden. (Der frühere Finanzminister Giorgos Papakonstantinou hat die Liste schlicht verschwinden lassen.) Unter der Regierung Tsipras wurde hingegen z.B. Haftbefehl gegen den auf der Lagarde-Liste erwähnten Bauunternehmer Leonidas Bobolas erlassen, der in Folge 1,8 Millionen Euro Steuern nachzahlte.
Nur ist auch hier das Problem: Durch die von der Troika diktierte Austeritätspolitik ist das Personal der für die Bearbeitung der Lagardeliste zuständigen Finanzpolizei SDOE halbiert worden. Dementsprechend dauern eben auch die Verfahren länger. Zudem ist es in Griechenland wie überall auf der Welt: Die Superreichen, von denen wir hier reden, wehren sich gegen die Eintreibung ihrer Steuerschuld nicht mit Händen und Füßen, sondern mit Rechtsabteilungen und Staranwälten.
Das Erbe von vierzig Jahren Pasok und ND ist nicht in wenigen Monaten und unter den Bedingungen einer faktischen Zwangsverwaltung zu überwinden. Um nicht falsch verstanden zu werden, ich finde durchaus, dass man auch Kritik an Tsipras und Syriza üben kann. Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, in welcher Situation sich diese Regierung befindet und vor allem, was die Alternativen sind.
Mit besten Grüßen
Katja Kipping