Frage an Katja Kipping von Mareike W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kipping,
seit langem schon verfolgt mich die Frage, wie es sein kann, dass eine Partei wie die CSU, die nur in Bayern wählbar ist und sich daher auch ausschließlich für bayrische Bürger und deren Belange einsetzt (bzw. deren Wählerwillen vertritt), im Bundestag durch den Zusammenschluss mit der CDU so viel Einfluss nehmen kann, dass sogar "Herdprämie" und Maut gegen den Willen des restlichen Bundestags (so wurde es zuvor zumindest von der Kanzlerin bekundet)durchgesetzt werden können? Ist eine solche einfache Addition der Wählerstimmen von CDU und CSU überhaupt demokratisch vertretbar? Sie treten mit unterschiedlichen, teils sogar gegensätzlichen Wahlprogrammen an und erreichen damit natürlich mehr Wählerstimmen. Doch obwohl die CSU nur in Bayern, also von einem kleinen Teil der Bevölkerung Deutschlands gewählt wird, darf sie für das ganze Land bestimmen. Wurde dies schonmal vom z.B. Verfassungsgericht geprüft? Mir kommt das sehr seltsam vor und ich bin auf Ihre Antwort gespannt!
Mit freundlichen Grüßen
Liebe Mareike,
in der Tat wirft die gemeinsame Fraktion aus CDU und CSU demokratietheoretische Fragen auf. Die juristischen Fragen, die davon noch mal zu trennen sind, haben durchaus Gerichte bis in die obersten Instanzen beschäftigt. Das Bundesverfassungsgericht bisher nicht.
Ob die CSU die Interessen bayerischer BürgerInnen vertritt, lasse ich mal dahingestellt. Auch in Bayern gibt es viele Menschen, die sich eine zeitgemäße und emanzipatorische Familienpolitik wünschen. Und es gibt genug Bayerinnen und Bayern, die über den Maut-Unsinn von Herrn Seehofer und Frau Hasselfeldt nur noch den Kopf schütteln. Vermutlich sind das selbst unter Konservativen mehr, als die CSU-Granden glauben mögen. Erst letzte Woche war ich in Regensburg und kann dies von diesem und von vorherigen Besuchen aus eigener Anschauung verbürgen. Aber das steht hier nicht zur Debatte.
Das demokratietheoretische Problem ist: CDU und CSU treten, wann immer es vorteilhaft ist, als getrennte Parteien auf. Wann immer es vorteilhaft ist, als eine Fraktion aufzutreten, nehmen CDU/CSU die entsprechenden Rechte in Anspruch.
So beansprucht die CSU als bayerische Regionalpartei Sendezeit für Wahlwerbesendungen auch im bundesweit ausgestrahlten Gemeinschaftsprogramm. Kandidaten der CSU erhalten die Gelegenheit, sich ebendort in Diskussionssendungen zusätzlich zu den KandidatInnen der CDU zu präsentieren. Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen ist dies also durchaus als Bevorzugung der Regierungsfraktion zu werten.
Allerdings ist nicht alles, was politisch kritikwürdig ist, rechts- oder sogar verfassungswidrig.
Es gibt eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage der Wahlwerbung. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil aus dem Jahr 1986 (7 C 79/85) entschieden, dass der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien nicht dadurch verletzt wird, dass eine Partei, die sich - wie die CSU - in nur in einem Land an der Bundestagswahl beteiligt, Sendezeit für Wahlwerbung im Gemeinschaftsprogramm der ARD eingeräumt wird. Es hat auch als rechtmäßig erkannt, dass bei der Verteilung der Sendezeit für Wahlwerbung CDU und CSU nicht wie nur eine Partei behandelt werden.
Das Grundgesetz selbst trifft zur Möglichkeit von Fraktionen aus unterschiedlichen Parteien keine Aussage. Diese sind in der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt. Die Geschäftsordnung erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen gemeinsame Fraktionen. Bis 1969 bedurfte es noch der Zustimmung des Parlaments, wenn sich Abgeordnete unterschiedlicher Parteien zu einer gemeinsamen Fraktion zusammenschließen wollten. Mit besagter Geschäftsordnungsänderung ist dies nun nicht mehr nötig, wenn die anderen Voraussetzungen erfüllt sind. Von den Mehrheitsfraktionen gibt es logischer Weise keine Anstalten, die derzeit gültige Geschäftsordnung anzutasten.
Ohnehin ist die Frage, ob eine Koalition aus CDU, CSU und SPD statt aus CDU/CSU und SPD fortschrittlichere Politik machen würde? Es bleibt aus meiner Sicht die richtige Strategie, für linke Mehrheiten zu werben.
Herzliche Grüße
Katja Kipping