Frage an Katja Kipping von Jens R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Kipping,
das Programm der Linken verstehe ich so, dass ein Einkommensteuersatz von 75 % für jeden Euro der 1 Million Euro Einkommen übersteigt, verlangt werden soll. Bis zu 1 Million Euro soll ein Höchststeuersatz von 53 % gezahlt werden. Zum anderen möchte die Linke die Beitragsbemessungsgrenze im Bereich der Sozialversicherungen abschaffen, zumindest habe ich diese Aussagen für die Renten- und die Krankenversicherung bei den Linken bzw. ihrem Vorsitzenden gefunden. Für die Sozialversicherungen beträgt der Arbeitnehmeranteil derzeit etwas über 20 % des Bruttoeinkommens. Der Arbeitgeberanteil liegt aufgrund verschiedener Umlagen noch etwas höher. Für Einkommensmillionäre würde dies allein durch die Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge eine Belastung von durchaus über 95 % ihres Einkommens bedeuten. Hinzu kommen noch weitere - vor allem indirekte - Steuern wie z.B. Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer, Ökosteuer, Tabaksteuer etc.
Bei einem Einkommen von 5 Millionen Euro im Jahr (12.000 Euro steuerfrei, von 12.001 und 999.999 Euro 53 % Einkommensteuer, ab 1.000.000 Euro 75 % Einkommensteuer) würden 3.523.638 Euro Einkommensteuer anfallen. Hinzu kämen noch über 1.000.000 Euro Abgaben. Es verblieben noch ca. 476.000 maximal Euro, von denen noch weitere Steuern zu zahlen wären.
- Halten Sie bzw. Die Linke ein Steuer- und Abgabensystem, in dem jemand durchaus mehr als 73 % und bis zu etwas über 95 % seines Einkommens an den Staat abführen muss für gerecht?
- Wenn die Beitragsbemessungsgrenze entfällt, werden die damit automatisch verbundenen Begrenzungen z.B. bei der Rentenhöhe wegfallen, sind also dann auch Rentenzahlungen in Höhe von 10.000 Euro je Monat und höher denkbar?
- Welche Chancen rechnet sich Die Linke aus, dass das Bundesverfassungsgericht eine solche Steuer- und Abgabenlast für verfassungsgemäß erachten würde?
- Welche gesetzlichen Vorgaben würde Die Linke machen, um Steuerflucht zu vermeiden?
Mit freundlichen Grüßen
Jens Reimann
Sehr geehrter Herr Reimann,
vielen Dank für Ihre Frage zu unserer Steuerpolitik. Bevor ich konkret auf Ihre Berechnung eingehe, erlauben Sie mir, dass ich zunächst Ihre abschließende Frage beantworte:
Wir müssen über Einkommensgerechtigkeit sprechen. Ich frage und bezweifle, wie Einkommen von mehreren Millionen Euro überhaupt gerechtfertigt werden können. Wir als LINKE wollen darum die höchsten Einkommen in einem Betrieb an das niedrigste koppeln, in dem Sinne, dass das höchste Einkommen maximal das Zwanzigfache des niedrigsten Einkommens betragen darf. Wenn eine Managerin beispielsweise eine Million Euro verdienen möchte, hat sie dem Pförtner entsprechend 50.000 Euro zu bezahlen.
Aber davon abgesehen halte ich eine Millionärssteuer von 75 % durchaus für angemessen - Einkommen in dieser Höhe sind ohne die Leistung der Gesellschaft und der Belegschaft nicht vorstellbar. Über die Millionärssteuer wird dieser Zusammenhang wieder hergestellt.
Aber nun zu Ihrer Berechnung. Diese ist meiner Ansicht nach nicht zutreffend, da
1. der Spitzensteuersatz in Höhe von 53% erst für das zu versteuernde Einkommen ab 65.000 Euro greift. Für Beträge, die darunter liegen, fallen entsprechend niedrigere Steuersätze an, das Ganze ist ja ein Stufenverfahren. Der Spitzensteuersatz entspricht damit nicht dem durchschnittlichen Steuersatz.
2. die Steuersätze - im Gegensatz zu den Sozialversicherungsbeiträgen
- auf das zu versteuernde Einkommen und nicht auf den Bruttolohn bezogen werden. Vom Bruttolohn werden z.B. Teile der Sozialversicherungsabgaben abgezogen, um das zu versteuernde Einkommen zu ermitteln. Sie kennen das Verfahren ja sicher aus der Erstellung von Einkommensteuererklärungen.
3. der Reichensteuersatz in Höhe von 75% nur auf das Resteinkommen angewandt wird, welches übrig bleibt, wenn vom Bruttoeinkommen alle Sozialversicherungsbeiträge sowie eine Million Euro abgezogen werden.
Zur Illustration: Bei einem Bruttolohn von 1 300 000 Euro würden ohne Beitragsbemessungsgrenzen aktuell Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 265 525 Euro anfallen. Der Reichensteuer in Höhe von 75% unterliegen in diesem Fall nur 34 475 Euro (in der Regel gibt es aber weitere Freibeträge und Abzüge).
4. durch den Wegfall der Beitragsbemessungsgrenzen neue finanzielle Spielräume bei den Sozialversicherungsbeiträgen entstehen. Dadurch können Beitragssätze gesenkt werden. So ist im Wahlprogramm der LINKEN vorgesehen, den Beitragssatz der Gesetzlichen Krankenversicherung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von derzeit 8,2 auf 5,25% zu senken.
Somit würden bei einem Bruttolohn in Höhe von 5 Millionen Euro im Jahr Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 876 250 Euro sowie Einkommensteuer (inkl. Reichensteuer und Solidaritätszuschlag) in Höhe von 3 085 350 Euro anfallen. Netto verblieben damit 1 038 400 Euro - also mehr als eine Million Euro sowie mehr als das Doppelte im Vergleich zu Ihrer Rechnung.
Ein Netto-Einkommen von über einer Million Euro jährlich scheint mir eine sehr ordentliche Summe zum Leben zu sein, vor allem wenn man das einmal ins Verhältnis zu dem setzt, was man heute Menschen als Grundsicherung zubilligt - da ist es weit mehr als das 1.000fache. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen unser Steuerkonzept sind mir nicht bekannt. Im Gegenteil: dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes wird auf diese Weise zur Geltung verholfen.
Zu Ihrer Frage zum Thema Steuerflucht möchte ich Ihnen den folgenden Artikel auf der Website der Fraktion der LINKEN im Deutschen Bundestag empfehlen:
http://www.linksfraktion.de/themen/steuerhinterziehung-internationale/
Mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping