Frage an Katja Kipping von Jens K. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Kipping,
durch das ND meiner Mutter erfuhr ich, dass die Linke gegen die Gesetzesvorlage zur Zwangsbehandlung von psychiatrischen Patienten gestimmt habe. Ich möchte fragen, ob ihre Fraktion jemals Kontakt mit schwer psychisch kranken Menschen hatte, die sich selbst, aber auch ihnen bekannte und unbekannte Menschen in erheblicher Weise gefährdeten. Sind ihnen psychisch kranke Menschen bekannt, die in einem akuten Behandlungsschub fürchterliche Wahnideen erleben und darunter in einer Schwere leiden, wie es sich nicht betroffene Menschen nicht annähernd vorstellen können?
Wenn sie die Zwangsbehandlung und Unterbringung ablehnen, wäre es nicht konsequent, auch den Maßregelvollzug für psychiatrische Patienten abzulehnen, die auf Grund ihrer Erkrankung schwere und schwerste Straftaten begangen haben, aber eben nicht schuldfähig sind?
Haben sich Mitglieder ihrer Fraktion vor ihrer Entscheidung gegen die Gesetzesvorlage in einer psychiatrischen Einrichtung über die reale Problemlage informiert? Wenn nicht, was war die Grundlage dieser Entscheidung.
Mit freundlichen Grüssen
Jens Kutschmann
Sehr geehrter Herr Kutschmann,
der von Ihnen angesprochene Gesetzentwurf der schwarz-gelben Regierungskoalition zur Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht sollte quasi nebenbei in einer Haushaltswoche zu Protokoll gehen und war ursprünglich sogar nur in Form eines Änderungsantrages gedacht – sollte also den Bundestag still und leise passieren. Daran lässt sich leicht die Wertschätzung der Betroffenen, des Themas und des Parlaments ablesen. An diesem Verfahren hat meine Fraktion heftige Kritik geübt, das Schnellverfahren wurde gestoppt. Also blieb uns mehr Zeit, um sich über die insbesondere im Hinblick auf menschenrechtliche, grundrechtliche und ethische Fragen hochproblematische Thematik mit Betroffenen- und Fachverbänden, Experten etc. zu verständigen und diese zu hören.
In der Folge wurde der Gesetzentwurf auch innerhalb der Fraktion umfassend diskutiert. Im Ergebnis haben wir der Vorlage nicht zugestimmt. Die wesentlichen Gründe waren:
- Mit einer Zwangsbehandlung sind ganz erhebliche Eingriffe in Grund- und Menschenrechte verbunden – sie könnte allenfalls die ultima ratio sein. Der Regierungsentwurf entspricht aber nicht dieser Anforderung, auch wird er nicht zur Verringerung der Zahl und Schwere von Zwangsmaßnahmen beitragen. Dass es nach wie vor zu der Häufigkeit sowie der Art und Weise der angewendeten Instrumente keine Erkenntnisse gibt, widerspricht zudem klar der UN-Behindertenrechtskonvention, die entsprechende Erhebungen fordert – vgl. dazu die Kleine Anfrage meiner Fraktion, Bundestagsdrucksache 17/10712. Die Monitoringstelle hat sich ebenfalls in diesem Sinne geäußert. Weiterhin haben wir uns gefragt – und Praktiker haben das bestätigt - ob Zwangsmaßnahmen überhaupt erforderlich sind oder ob man mit weniger intensiven Maßnahmen bzw. alternativen Konzepten nicht auch das Gewünschte erreichen könnte.
- Auch betrachtet der Entwurf das Thema von der falschen Seite - Ziel sollte eigentlich sein, Zwangsmaßnahmen zu vermeiden, nicht sie zu ermöglichen. Der Nutzen von Zwangsbehandlungen für die Betroffenen ist nicht hinreichend nachgewiesen. Dazu habe ich übrigens im Kontakt mit Betroffenen sehr viele Schilderungen über traumatisierende Erlebnissen in der geschlossenen Psychiatrie erhalten.
- Zwangsmaßnahmen sind ein außergewöhnlich schwerer Eingriff in die Grund- und Menschenrechte. Ihre ausdrückliche gesetzliche Legitimierung erfordert mindestens begleitende Regelungen, die die Anwendung von Zwang minimieren. Dafür sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, zu einer Behandlung der Betroffenen zu kommen, die auf "auf Vertrauen gründende(r) Zustimmung" (BVerfG) beruht.
- Der Gesetzentwurf stellt nicht sicher, dass die am wenigsten eingreifende Behandlung gewählt oder zumindest ernsthaft versucht wird.
- Die Forderung, die Personalsituation in psychiatrischen Abteilungen so auszugestalten, dass auch personalintensivere Behandlung möglich sind, die zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen führen können, ist nicht enthalten.
- Es gibt keine umfassende Erforschung des patientenbezogenen Nutzens von Zwangsmaßnahmen.
- Es fehlen Aussagen, wie man beispielsweise mittels ambulanter Versorgungsmodelle die Zahl der Zwangseinweisungen und -behandlungen reduzieren könnte.
- Ein umfassender Gesetzentwurf müsste zudem festlegen, dass in möglichst vielen Fällen mittels einer Patientenverfügung und/oder einer Behandlungsvereinbarung der natürlich Wille der/des Betroffenen ermittelt und im Krisenfall auch umgesetzt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping