Frage an Katja Kipping von Hans R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kipping,
mit erschrecken, eher mit Fassungslosigkeit, mußte ich lesen, das Sie der Partei der Arbeiterverräter signalisiert haben, mit denen eine Koalition eingehen zu wollen, wenn sie sich wenigstens auf einen Mindestlohn einigen können. Wie der Kanzlerkandidat bei denen heißt, ist Euch auch egal. Auch bei Hartz IV und Rentenkürzungen soll ein Auge zugedrückt werden. An welcher Höhe des Mindestlohns haben Sie gedacht? An 8,50€, die die SPD schon seit Jahren vor sich hin schleppt? Ich möchte Sie auch daran erinnern, das die Grünen bis kurz vor der Berlinwahl noch 7,50€ auf ihrer Website stehen hatten. Glauben Sie, das man unter diesen Voraussetzungen einen guten Mindestlohn hin bekommt? Wie passt das mit Ihrem Einsatz für das bedingungslose Grundeinkommen zusammen?
Wen sollen die Menschen, die die Linke bisher gewählt haben, jetzt noch wählen?
Mit tiefroten Grüßen
Hans Richter
Sehr geehrter Herr Richter,
besten Dank für Ihre Zeilen. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist eine Idee, für die ich persönlich innerhalb und außerhalb meiner Partei seit vielen Jahren streite, zu der es aber im Moment auch in der LINKEN keinen programmatischen Konsens gibt. Als Vorsitzende der LINKEN bin ich dem in Erfurt verabschiedeten Programm verpflichtet.
Der pauschalen Titulierung der SPD als "Partei der Arbeiterverräter" kann ich mich nicht anschließen - eben auch, weil ich als Mitglied der LINKEN sehr gut weiß, was es bedeutet, unsachlich und pauschal verunglimpft zu werden.
Für eine Regierungsbeteiligung habe ich klare Mindestbedingungen gestellt: Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV und einen Mindestlohn von 10,- Euro/Stunde. Prinzipiell würden mir noch viele weitere Dinge einfallen, die ich gern verwirklichen würde - sei es nun die Überwindung von Hartz IV, die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens, eine solidarische Bürgerversicherung, armutsfeste Mindestrenten usw.
Wie stark unsere Position bei eventuellen Koalitionsgesprächen ist, hängt aber von unserem Wahlergebnis ab. Insofern finde ich es wenig hilfreich, wenn nun jeder potentielle Wähler der LINKEN seine Wahlentscheidung davon abhängig macht, ob ihm die Erfüllung aller seiner Wünsche versprochen wird. Erfahrungsgemäß haben auch Wähler_innen der LINKEN zu verschiedenen Dingen nicht immer übereinstimmende Meinungen. Und ja - eine Koalition besteht aus Kompromissen, die alle Beteiligten eingehen müssen. Sich auf einen Kompromiss zu einigen, ist aber nicht automatisch Verrat an den eigenen Positionen, sondern der Versuch, das Leben der Menschen im Hier und Jetzt im Rahmen des momentan politisch Möglichen zu verbessern. Dazu brauchen wir jede Stimme.
Mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping