Frage an Katja Kipping von Stefan M. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Kipping,
in Ihrem Antrag im deutschen Bundestag 17/659 vom 10. 02. 2010 ist zu lesen:
"Die Mindestsicherung ist repressions- und sanktionsfrei auszugestalten. Die Sicherstellung der Mindestsicherung ist grundrechtlich geschützt. Dem Charakter als Mindestsicherung entspricht, dass eine Unterschreitung des Leistungsniveaus grundsätzlich auszuschließen ist. Daher sind Sanktionen in der Mindestsicherung abzuschaffen. Die Sanktionsparagrafen im SGB II sind sofort ersatzlos zu streichen."
Laus diesem Antrag soll es für einen Bezieher der geplanten Mindestsicherung, die seinen Lebensunterhalt in jedem Fall garantiert, möglich sein sich komplett dem Arbeitsmarkt bewusst zu entziehen ohne mögliche monetäre Einschränkungen.
Warum sollte ein Bezieher Ihrer geforderten Mindestsicherung sich solidarisch zeigen und sich in den Arbeitsmarkt aktiv einbringen, wenn er bis auf ein erhöhtes Entgeld bei einer Anstellung eher Einschränkungen wie weniger Freizeit, mehr Stress und mehr Umstände gerade bei weniger gut bezahlten Jobs zu erwarten hat?
Warum wollen Sie keine Konsequenzen im monetären Bereich, wenn ein möglicher Arbeitnehmer z.B. aus Bequemlichkeit auf ein Zustandekommens eines Arbeitsverhältnisses aktiv verzichtet?
Wie wollen Sie per Gesetz für die Bürger einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme geben, wenn Sie mit diesem Antrag jegliche Konsequenzen bei Verweigerung aussen vor lassen?
Gibt es Ihrer Ansicht nach schon heute arbeitslose Arbeitnehmer, die sich auf ihnen angebotene offene Stellen nicht bewerben, weil ihnen schon heute keine ernsthaften Konsequenzen drohen, und die mit den heutigen Regelsätzen leben können und auch so weiterleben wollen?
Wenn ja - welche Instrumente sollten installiert werden, damit sich diese Personen ernsthaft und nachhaltig um die offenen Stellen bemühen?
Mit freundlichen Grüssen
Stefan Maier
Sehr geehrter Herr Maier,
ich bedanke mich für Ihre Fragen und möchte gern darauf antworten:
zu 1.)
Erste Gegenfrage: Warum zeigt sich jemand solidarisch, wenn er anderen Menschen die knappe Erwerbsarbeit wegnimmt? Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland auf 9 offiziell registrierte Erwerbslose eine offene Stelle; in den Neuen Bundesländern auf 16 Erwerbslose, in Sachsen auf 23 Erwerbslose eine offene Stelle. Rechnet man die in der offiziellen Statistik nicht erfassten Erwerbslosen hinzu, wäre das Verhältnis in der Bundesrepublik gesamt sogar 12 zu 1. Ähnliche Erhöhungen des Missverhältnisses wären in den Neuen Bundesländern und in Sachsen zu verzeichnen.
Zweite Gegenfrage: Warum ist die Annahme einer möglicherweise umwelt- oder gesundheitsschädlichen Erwerbsarbeit oder gar einer Rüstungsarbeit solidarisch?
Könnte nicht gerade bewusste Enthaltung von Erwerbsarbeit solidarisch sein?
zu 2.) Weil das Existenz- und Teilhabeminimum ein Grundrecht ist, wie z.B. das Wahlrecht oder das Recht auf Bildung.
zu 3.) Ich widerspreche dem neoliberalen eindimensionalen Menschbild des homo oeconomicus, dass dem Menschen wie einem Esel Karotten vor die Nase halten muss, damit er sich bewegt. Das im großen Umfang geleistete bürgerschaftliche Engagement, die viele freiwillige Bildungsarbeit, die Menschen erbringen und die Sorgearbeit zeigen, dass die Motivationen etwas zu tun sehr vielfältig sind: als sinnvoll erkannte und mit dem eigenen Gewissen zu vereinbarende Tätigkeit, Anerkennung durch andere, sich mit anderen messen, Solidarität mit anderen usw. usf. Entscheidend ist auch, dass gute Rahmenbedingungen bezüglich der gewählten Tätigkeit gegeben sind.
zu 4.) Leider gibt es derzeit ernsthafte Konsequenzen - nämlich menschen- und grundrechtswidrige Sanktionen bis hin zum Komplettentzug von Leistungen. Diese wollen wir vollständig abschaffen.
zu 5.) Siehe Antwort 1 und 3.
Mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping