Frage an Katja Kipping von Janine T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Frau Kipping,
ich heiße Janine Teelen und gehe in die 10. Klasse eines Gymnasiums in Wolfenbüttel.
Zur Zeit beschäftigen wir uns im Fach Politik-Wirtschaft mit dem Thema EU und bereiten dazu Referate vor. Meine Gruppe und ich haben das Themenfeld „illegale Flüchtlinge“ gewählt und würden Ihnen gern ein paar Fragen dazu stellen.
1) Wie stehen Sie zur aktuellen Flüchtlingspolitik der EU?
2) Was muss Ihrer Meinung nach an der Flüchtlingspolitik geändert werden?
3) Wie denken Sie über die Kooperation der EU mit nordafrikanischen Ländern zur Flüchtlingsabwehr?
Ich würde mich freuen, wenn Sie mir diese Fragen beantworten würden.
Mit freundlichen Grüßen
Janine Teelen
Liebe Janine Teelen,
vielen Dank für Deine Fragen, die ich gerne beantworte. Bitte entschuldige, dass es mit meiner Antwort etwas gedauert hat.
1) Wie stehen Sie zur aktuellen Flüchtlingspolitik der EU?
Die aktuelle Flüchtlingspolitik in Europa halte ich für sehr problematisch. Einerseits haben wir die demokratischen Proteste in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern in Nordafrika sowie im arabischen Raum sehr begrüßt, andererseits weisen wir die Flüchtlinge ab. Nach einer Erhebungen von Fortress Europe gab es zwischen 1988 bis 2007 8.114 Tote im Mittelmeer und Atlantischen Ozean, 2.486 im Kanal von Sizilien, 3.986 zwischen Nordafrika und Spanien, in der Meerenge von Gibraltar und bei den Kanaren, 885 in der Ägäis. Vor diesem Hintergrund empfinde ich die europäische Abschottungspolitik als zutiefst inhuman. Gerade als ostdeutsche Abgeordnete bin ich sehr sensibilisiert für alle Fragen der Freizügigkeit. Der eiserne Vorhang, die Mauer in Europa, ist glücklicherweise weg. Wir dürfen jetzt nicht einfach dabei zusehen, wie eine neue Mauer um Europa herum gebaut wird.
2) Was muss Ihrer Meinung nach an der Flüchtlingspolitik geändert werden?
Wir müssen schnellstmöglich in der EU ein Netz offener Aufnahmezentren für Menschen aufbauen, die aus Nordafrika fliehen, und dafür auch geeignete EU-Mittel einzusetzen. In diesen Zentren müssen grundlegende humanitäre Hilfe, würdige Lebensbedingungen und eine angemessene Sozial- und Rechtsberatung für alle Menschen, ungeachtet ihres Rechtsstatus, angeboten werden. Zudem brauchen wir unbedingt ein europäisches Asylrecht, dass allen Verfolgten wirksamen Schutz bietet und einen fairen Rechtsweg bereit hält. Es darf nicht sein, dass Abschreckung das Prinzip der Flüchtlingspolitik ist. Gerade in Deutschland, wo im Grundgesetz als Lehre aus den Verbrechen des Faschismus ein individuelles Asylrecht eingeführt wurde - was dann leider aber in den 1990er-Jahren faktisch abgeschafft wurde - sollten wir uns einer großherzigen Flüchtlingspolitik verpflichtet fühlen. Schließlich wünsche ich mir Freizügigkeit und ein Europa der offenen Grenzen.
3) Wie denken Sie über die Kooperation der EU mit nordafrikanischen Ländern zur Flüchtlingsabwehr?
Flüchtlingsabwehr finde ich grauenvoll. Wie kann man Menschen abwehren wollen, die in Not und vor Verfolgung fliehen? Kooperation zwischen Ländern ist grundsätzlich aber immer sinnvoll, aber nicht zur Flüchtlingsabwehr, sondern zur Förderung guter - demokratischer und sozialer - Lebensbedingungen. Wir müssen schließlich immer auch bedenken, dass der Reichtum des Nordens auch auf der Armut der südlichen Länder beruht. Wir sind daher verpflichtet, materiell zu helfen sowie demokratische und soziale Kriterien zu den zentralen Kriterien für die Zusammenarbeit mit anderen Ländern werden zu lassen. Diese - und nicht "unsere" ökonomische Interessen - müssen Maßstab unseres Handelns sein. Ich bin mir sicher, dass aus demokratischen Ländern mit guten ökonomischen und sozialen Bedingungen Menschen nicht fliehen. Wir müssen daher die Gründe für die Flucht bekämpfen und nicht die Flüchtlinge.
Herzliche Grüße,
Katja Kipping