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Frage von Jörg H. •

Frage an Katja Kipping von Jörg H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Kipping,

Berichten im Internet entnehme ich, daß Sie zum Boykott des Onlinewarenhauses Amazon aufrufen, da dieser auf politischen Druck hin die Zusammenarbeit mit bzw. das Zurverfügungstellen von Strukturen für die "Enthüllungsplattform" Wikileaks beendet hat. Sie begründen dies insebesondere mit dem hohen Stellenwert der Meinungsfreiheit und fragen, "wer garantiere, dass der Konzern nicht auch Bücher aus dem virtuellen Regal nehme, wenn sich irgendein Politiker auf den Schlips getreten fühle." Quelle: http://www.welt.de/politik/ausland/article11368881/Wikileaks-bekommt-nach-Sperrung-neue-Adresse.html

Diese Besorgnis überrascht insofern ein wenig, als daß es unter anderem Ihre Partei war, die Medienberichten zufolge durch politischen Druck darauf hinwirkte, daß derselbe Internethändler, Amazon, die Produkte des der NPD nahestehenden Verlages "Deutsche Stimme" aus dem Angebot nahm. Quelle z.B.: http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2009/07/31/amazon-jetzt-ohne-npd-aber-weiterhin-mit-antisemitischer-propaganda-und-rechtsrock_1243

Können Sie mir erklären, wie Sie in diese offenbar gleichgelagerten Fällen zu derart unterschiedlichen Auffassungen kommen? Oder waren Sie damals (im Fall "Deutsche Stimme) gegen die Boykottaufrufe Ihrer Partei gegen Amazon?

Mit freudlichen Grüßen
Jörg Hagus

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Hagus,

vielen Dank für Ihre Frage. Sie haben natürlich nicht unrecht mit ihrem Hinweis, dass die beiden von Ihnen zitierten Forderungen auf den ersten Blick widersprüchlich wirken.

Ich bin allerdings der Auffassung, dass sowohl Unternehmen als auch VerbraucherInnen nicht frei von politischen und moralischen Maßstäben handeln sollten. Ich erwarte von einem Unternehmen wie Amazon, dass es menschenverachtende Positionen - wie z.B. Rassismus und Antisemitismus - eindeutig ächtet; gleichzeitig erwarte ich, dass es nicht einfach dem Ruf der Mächtigen folgt, wenn diese bestimmte Inhalte entfernt sehen wollen. Es sind zwei verschiedene Dinge: ob ein Unternehmen eindeutig rassistische Inhalte nicht vertreibt, weil es selbst - und sei es erst durch öffentlichen Druck - zu dieser Erkenntnis gelangt ist - oder ob ein Unternehmen ohne gesetzliche Grundlage staatlichen Erwartungshaltungen im vorauseilenden Gehorsam erfüllt.

Ich finde: Unternehmen wie Verbraucher sollten sich klare Maßstäbe geben, nach denen sie ihr ökonomisches Handeln ausrichten. Ich für meinen Teil versuche, die Unternehmen, bei denen ich einkaufe, auch nach sozialen, ökologischen und demokratischen Kriterien auszuwählen. Aber natürlich stößt man damit an Grenzen - vor allem bei einem vollen Arbeitstag, der wenig Zeit für den Einkauf lässt, und in manchen Stadtteilen bzw. auf Bahnhöfen, auf denen ich häufig unterwegs bin, herrscht häufig eine Angebotsstruktur vor, die einen politisch korrekten Konsum schwer macht. Auf jeden Fall sind für mich die inhaltlichen Kriterien in der Regel genauso wichtige Punkte bei meiner Kaufentscheidung wie Preis und Leistungsumfang.

Der Unterschied liegt also letztlich darin, dass es legitim ist, wenn die Zivilgesellschaft ein Unternehmen auffordert, sich an demokratische Standards zu halten und rassistische Propaganda nicht zu vertreiben, dieses Recht aber dem Staat nicht zugebilligt werden kann, weil er strikt an Recht und Gesetz gebunden ist. Deshalb war die vorauseilende Handlung von Amazon gegen Wikileaks ausgesprochen kritikwürdig. Deshalb habe ich erklärt, meine Weihnachtsgeschenke nicht bei Amazon zu kaufen. Als mündige Bürgerin habe ich gleichzeitig Amazon dazu aufgefordert, keine rassistischen Inhalte zu vertreiben. Ich hoffe, sie sehen den feinen, aber grundlegenden Unterschied.

In diesem Sinne verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping