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Frage von Barbara U. •

Frage an Katja Kipping von Barbara U. bezüglich Soziale Sicherung

Neuberechnung v. ALG II

Sehr geehrte Frau Kipping

Die Regierung verschweigt nachdrücklich die Berechnungsgrundlagen für die Neuberechnung.
http://www.focus.de/politik/deutschland/hartz-iv-reform-opposition-darf-nicht-nachrechnen_aid_557283.html

Vom DGB hörte man schon, dass bei der Berechnung des „Warenkorbes“ auch die Ausgaben von Aufstockern einbezogen wurden.

Glauben Sie ernsthaft, dass die Aufstockung von 5€ monatlich den Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes entsprechen? Vorrangig sollte doch die Nachvollziehbarkeit der Sätze nachvollziehbar sein. Wie können die Grundlagen nachvollziehbar sein, wenn die Berechnungsgrundlagen als Staatsgeheimnis gehütet werden?
Was werden Sie tun, damit die Berechnungsfakten offen gelegt werden?
Stimmen Sie der Gesetzesänderung zu?

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Uduwerella,

herzlichen Dank zu Ihrer Anfrage mit sehr aktuellem Bezug. Voranstellen möchte ich meinen Ausführungen, dass wir uns als LINKE natürlich eine Überwindung von Hartz IV auf die Fahnen geschrieben haben.

Und nein, ich glaube nicht, dass bei Berücksichtigung aller Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 09.02.2010 im Hinblick auf eine Neubestimmung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II getroffen hat, der aktuell gehandelte, winzige Erhöhungsbetrag von 5 € das Ergebnis gewesen wäre. DIE LINKE hat vor der Auswertung der EVS-Daten 2008 in ihrem Wahlprogramm die Forderung nach einem Regelsatz von 500 Euro aufgestellt und damit Forderungen aus der Erwerbslosenbewegung aufgegriffen. Wir halten dementsprechend auch die aktuell geplanten Regelsätze für völlig unzureichend. Armut per Gesetz wird damit fortgeschrieben. Das Ergebnis der minimalen Anpassung der Regelsätze war nur möglich durch Tricks und Manipulationen. Diese sind an anderer Stelle ausführlich von unserer Fraktion dargelegt bzw. auch auf meiner persönlichen Webseite dokumentiert worden (etwa:
http://www.katja-kipping.de/article/324.intransparent-und-manipuliert.html
und http://www.linksfraktion.de/positionspapiere/bundesregierung-trickst-ermittlung-hartz-4-regelsatzes/ . Nach Auffassung der Fraktion DIE LINKE ist die Neuermittlung der Regelsätze ALG II ein Skandal. Sie wird den Vorgaben des Verfassungsgerichts – u.a. forderte dieses ein transparentes und nachvollziehbares Verfahren - keinesfalls gerecht. Das Verfahren scheint vielmehr so organisiert zu sein, dass die Vorgaben des Haushaltsplans eingehalten werden konnten. In diesem waren bereits deutlich vor der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS 2008) durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) keine zusätzlichen Ausgaben für höhere Regelsätze vorgesehen.

Einige unserer Kritikpunkte zusammengefasst:
1. Die Anhebung ist faktisch keine Erhöhung. Die Anpassung gleicht nicht einmal den Kaufkraftverlust seit der letzten EVS-Auswertung 2003 aus – die völlig unzureichende Höhe wird im Gegenteil festgeschrieben.
2. Während über die Neuermittlung der Regelbedarfe gestritten wird, kürzt die Bundesregierung durch das sog. Haushaltsbegleitgesetz massiv bei den Leistungen für Hartz IV-Beziehende: Das Elterngeld wird gestrichen, ebenso der befristete Zuschlag, es werden keine Beiträge mehr zur Rentenversicherung gezahlt und die Gelder für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen werden drastisch gekürzt. In der Summe kürzt die Regierung allein 2011 3,8 Mrd. Euro bei Hartz IV Beziehenden.
3. Die konkrete Ermittlung des „menschenwürdigen“ Existenzminimums ist gekennzeichnet durch Tricks und Manipulationen. So wird die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts ignoriert, dass Menschen, die unter dem Grundsicherungsniveau leben, nicht in die Referenzgruppe eingehen dürfen.
4. Dann wird ohne nachvollziehbaren Grund nicht mehr von den untersten 20%, sondern von den untersten 15% der Haushalte als Referenzgruppe ausgegangen. Allein durch diese Manipulation verringert sich der Regelbedarf um fast 20 Euro.
5. Schließlich werden von den tatsächlichen Ausgaben der Referenzgruppe – 500 Euro nach Abzug der kommunal zu finanzierenden Kosten für Unterkunft und Heizung – nur 364 Euro als regelsatzrelevant anerkannt. Zahlreiche Ausgaben werden schlicht für nicht notwendig erklärt, so z.B. für Gaststättenbesuche, Blumen oder Haustiere oder Alkohol und Tabak. Ausgaben für die Mobilität werden nur zu einem Bruchteil anerkannt.

Es ist wichtig und notwendig, dass sich DIE LINKE offensiv in die Diskussion einmischt und die Tricks und Manipulationen der Bundesregierung offen legt. Um vor allem dem Gebot von Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Neubestimmung der Regelsätze zu entsprechen, habe ich mehrfach beim BMAS - namentlich bei Frau Bundesministern von der Leyen - um die Herausgabe der Rohdaten des Statistischen Bundesamtes gebeten, auch in meiner Funktion als Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. U.a. habe kürzlich auch mehrfach öffentlich für die Hartz-Reform eine Schlichtung mit folgenden Eckpunkten vorgeschlagen: Erstens müssen alle Gespräche öffentlich sein. Es darf keine Kungeleien geben. Zweitens müssen nicht nur alle Bundestagsparteien sondern auch die Betroffenen, also in erster Linie Arbeitslosenverbände, Gewerkschaften und Sozialverbände, mit am Tisch sitzen. Drittens müssen die Gespräche ergebnisoffen sein. Auch substanziell höhere Regelsätze und ein gesetzlicher Mindestlohn dürfen kein Tabu sein. Und viertens muss es einen unabhängigen Schlichter oder eine Schlichterin für die Gespräche geben. Ein Gesetz, das so viele Menschen direkt oder indirekt betrifft, darf nicht hinter verschlossenen Türen ausgekungelt werden. All diesen Aufforderungen wurde bislang nicht entsprochen. Kürzlich wurde gerade wieder in einer Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ein Antrag zur Herausgabe der Rohdaten und Alternativberechnungen zu den Bedarfssätzen des SGB II mit den Stimmen der schwarz-gelben Mehrheit abgelehnt.

Wir haben als Fraktion einen eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 17/2934), der aus zwei Elementen besteht:
Zum einen fordern wir, dass kurzfristig die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 sachgerecht – und das heißt ohne die skizzierten Manipulationen – ausgewertet wird. Unabhängige Auswertungen der EVS 2008 – etwa vom Paritätischen Wohlfahrtsverband oder der Diakonie – errechnen eine Größenordnung von etwa 440 Euro. Eine vollständige Anerkennung aller Ausgaben der Referenzgruppe ergäbe einen Regelsatz von etwa 500 Euro. Bei diesen Berechnungen ist aber der Ausschluss von Menschen, die auf Grundsicherungsniveau leben, aus der Referenzgruppe noch nicht mit einkalkuliert. Es fehlt auch noch eine nachvollziehbare Prüfung, inwieweit die ermittelten Werte eine Bedarfsdeckung gewährleisten.

Da wir uns der Mängel und Grenzen des sog. Statistikmodells bewusst sind - von den Verbrauchsausgaben von armen Menschen wird darin auf das menschenwürdige Existenzminimum geschlossen (vgl. dazu die kleine Anfrage: Bundestagsdrucksache 17/ 2862) -, fordern wir zum anderen die eben schon beschriebene Kommission, welche Vorschläge für eine zukünftige, sachgerechte Ermittlung eines menschenwürdigen Existenzminimums erarbeitet und dabei auch die Frage nach den tatsächlichen Bedarfen beantwortet.

Darüber hinaus berät sich Parteivorstand der LINKEN momentan mit Fachleuten aus Wissenschaft, Erwerbsloseninitiativen, Sozialverbänden und Gewerkschaften und wird im Ergebnis dieser Beratungen eine Übersicht veröffentlichen, wie hoch der Regelsatz jeweils ausfallen würde, wenn man auf die jeweiligen Tricks bzw. Abschläge verzichtet.

Und selbstverständlich beteiligen wir uns als Partei und Bundestagsfraktion an den vielen derzeit stattfindenden Protesten gegen die unsozialen Maßnahmen, z.B. gegen das "Sparpaket" der Bundesregierung.

Klar ist aber schon heute: Die Vorlage der Bundesregierung zur Neuberechnung ALG II ist völlig unzureichend und wird von mir abgelehnt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping