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Kathrin Vogler
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Frage von Reinhard G. •

Passen sich Viren weiter an nicht angepasste Impfstoffe an? Wirken dann Impfstoffe weniger und kürzer, je öfter geimpft wird? Sollte nicht bei Anträgen für eine Impfpflicht mit nein gestimmt werden?

Sehr geehrte Frau Vogler,

ist die Aussage vom letzten Jahr nicht längst überholt, dass die schnelle Verbreitung des Virus durch eine hohe Impfquote verhindert werden kann?

Die Neuinfektionen stiegen seit Januar in Ländern mit hoher Impfquote oft höher an (Portugal, Israel, Singapur, usw.), als in Ländern mit niedriger Impfquote. Auch in Ländern mit niedriger Impfquote sanken die Zahlen dann wieder. (www.corona-in-zahlen.de)

Kann eine „Herdenimmunität“ entstehen, wenn sich Menschen mit einer leichteren Virusvariante natürlich immunisieren? Wären wir dadurch für den Herbst gerüstet? Die Abwehrkräfte reagieren ja auf die neuste Virusvariante und greifen das Virus nicht nur Spike-Protein an.

Wie denken Sie über die Aussage eines Sachverständigen:
https://www.bundestag.de/resource/blob/885544/603140227998e5482d2fb207eedbc13a/20_14_0017-27-_Prof-Dr-Andreas-Radbusch_Impfpflicht-data.pdf

Könnte nicht, statt einer Impfpflicht, das Personal in den Krankenhäusern aufgestockt werden?

MfG

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Sehr geehrter Herr G.

ich habe mich zur Impfpflicht bereits an verschiedenen Stellen geäußert, zum Beispiel hier: https://www.kathrin-vogler.de/index.php?id=34550&no_cache=1&tx_news_pi1[news]=392496&tx_news_pi1[controller]=News&tx_news_pi1[action]=detail

Auf Ihre konkrete Frage bezogen: Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie haben erhebliche soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Folgen. Schulschließungen, ob geplant oder ungeplant, treffen besonders Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien. Eltern, deren Betreuungsmöglichkeiten immer wieder ungeplant wegbrechen, sind mit ihrer Kraft am Ende. Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können oder auch mit Impfung keinen ausreichenden Immunschutz aufbauen können, werden zur Selbstisolation gezwungen. Besuchseinschränkungen als Schutzmaßnahme für besonders gefährdete Menschen in Einrichtungen verstärken deren Einsamkeit, Traurigkeit und Depressionen. Viele Kulturschaffende und kleine Gewerbetreibende stehen trotz staatlicher Hilfspakete beruflich vor dem Aus, Arbeiterfamilien, Studierende und Rentner*innen leiden unter dem Wegbrechen von Zuverdiensten. Berichte über häusliche Gewalt und eine Zunahme psychischer Erkrankungen häufen sich. Beschäftigte im Gesundheitswesen, die schon vor der Pandemie am Limit waren, sind heute weit darüber hinaus. Und Patient*innen mit schweren und chronischen Erkrankungen haben unter der Bedingung der Pandemie nur begrenzten Zugang zu notwendigen Untersuchungen und Therapien.

In einer solchen Situation kann die Gemeinschaft von jedem Mitglied verlangen, jeden zumutbaren Beitrag zur Beendigung dieser und vieler anderer Einschränkungen zu leisten.

Die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe sind sehr sicher und verhindern auch bei Vorherrschen der Omikron-Variante eine Vielzahl schwerer Verläufe und Todesfälle. Im Herbst 2022 erwarten wir eine erneute Infektionswelle - mit welchem Erreger und welchen Eigenschaften, das wissen wir jetzt noch nicht. Auch wenn sich die anfänglichen Hoffnungen, dass durch eine hohe Impfquote Herdenimmunität herstellen ließe, bisher nicht bestätigt haben: Ein dreifacher Kontakt zum Virus durch Impfung oder Genesung bietet bei allen bisher bekannten Varianten einen sehr guten Schutz vor schweren Verläufen. Über den Selbstschutz hinaus bietet er auch Fremdschutz, da mehrfach Geimpfte in der Regel kürzer ansteckend sind und selbst bei gleicher Virenlast diese weniger verbreiten als Ungeimpfte. Ein hoher Anteil von Geimpften ist die beste Vorsorge, um den Übergang von der Pandemie in die Endemie mit möglichst wenig gesundheitlichen und gesellschaftlichen Schäden zu erreichen.

Die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe haben ein sehr gutes Nutzen-Risiko-Profil. Sie sind zwar nicht frei von Nebenwirkungen, aber schwere Nebenwirkungen sind sehr selten und der gesundheitliche Vorteil der Impfung überwiegt in allen Altersgruppen das Risiko der Impfung. Diese Impfstoffe gehören wohl zu den am besten überwachten in der Geschichte der Medizin. Auf jeden Fall sind die Risiken einer Infektion ohne vorherige Impfung sehr, sehr viel höher als die Risiken der Impfung.

Um auf den nächsten Herbst besser vorbereitet zu sein, müssen wir Frühjahr und Sommer nutzen, um die Impflücken bei Erwachsenen zu schließen. Aus diesem Grund habe ich den Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 unterstützt. Ich bin skeptisch, ob das mit den nun vorliegenden Vorschlägen ebenfalls erreicht werden kann.

Unabhängig von einer möglichen rechtlichen Verpflichtung kann ich nur an jeden Einzelnen und jede Einzelne appellieren, sich jetzt vollständig impfen zu lassen.

Ich hoffe, dass das Pandemiethema bald etwas zurücktreten kann (dazu würde natürlich eine hohe Impfquote einen Beitrag leisten) und wir uns dann noch engagierter einer Reform des Gesundheitswesens widmen können. Hier braucht es grundlegende Reformen, die die Probleme an den Wurzeln packen. Diese wird es erst geben können, wenn die Regierung zu einer Umverteilungspolitik auch im Gesundheitsbereich bereit ist. Die LINKE setzt sich für ein Gesundheitssystem ein, das an der Versorgung der Bevölkerung ausgerichtet ist, statt an den Gewinnen von Marktakteuren. Aber trotzdem: Der Ausbau der Versorgung, für den wir engagiert streiten, ist kein Ersatz für wirksame Prävention.

Mit freundlichen Grüßen

Kathrin Vogler

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