In Istanbul gab es Ende März Gespräche über einen Frieden zwischen der Ukraine und Russland. Die Ukraine hatte einen 10-Punkte-Plan vorgelegt. Wie schätzen Sie die Chancen für erneute Gespräche ein?
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Sehr geehrte Frau Vogler,
zu den 10 Punkten gehörten:
„1. Proklamation der Ukraine als neutraler Staat mit völkerrechtlichen Garantien zur Umsetzung des blockfreien und atomwaffenfreien Status...“
3. Die Ukraine wird keinem Militärbündnis beitreten, keine ausländischen Militärstützpunkte oder -kontingente stationieren und internationale Militärübungen nur mit Zustimmung der Garantenstaaten durchführen…
Für wie hoch schätzen Sie die Bereitschaft für einen Friedensvertrag ein? Denken Sie, dass es in den westlichen Ländern auch einige Bremser beziehungsweise militärische Hardliner gibt, die es lieber sehen würden, dass Russland besiegt wird, als dass ein Friedensvertrag zustande kommt?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr G.,
der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat viel verändert. Im Bundestagswahlkampf sprachen sich die Grünen und die SPD noch gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und gegen eine verstärkte Aufrüstung aus, all das gilt nun nichts mehr.
Statt vor allem die militärische Eskalation, die von Russland ausgeht, aufzunehmen, wäre es nötig, alle diplomatischen Kanäle zu nutzen, um Russland zu einem Waffenstillstand und einem Rückzug seiner Truppen zu bewegen.
Dass eine Verhandlungslösung so unrealistisch erscheint, liegt nicht nur daran, dass die russische Führung einen verbrecherischen Krieg gegen das ukrainische Volk vom Zaun gebrochen hat, sondern auch daran, dass es an Fantasie fehlt, worüber man verhandeln sollte, weil die russische Führung immer und immer wieder klar gemacht hat, dass sie von ihren Plänen zur Annexion weiter Teile der Ost- und Südukraine nicht abweichen will. Inzwischen hat sich die Kriegsdynamik so verselbstständigt, dass es kaum noch diplomatische Kanäle gibt. Aber klar ist, auch dieser Krieg wird durch Verhandlungen beendet werden. Und diese Verhandlungen über eine Friedenslösung müssen jetzt vorbereitet werden. Dass ausgerechnet Erdogan den bis jetzt größten Verhandlungserfolg vermittelt hat, zeigt das Versagen der Bundesregierung.
Ein verschärftes Wettrüsten, die gegenseitige Drohung mit totaler Vernichtung und der dauerhafte Ausschluss Russlands aus den internationalen Beziehungen wird die Welt nicht sicherer machen, sondern weitere Krisen hervorrufen, die dann in einer Spirale der Eskalation bis hin zum Atomkrieg führen können. Nur Diplomatie, nur weitere Verhandlungen können das verhindern. Da die NATO- und EU-Staaten inzwischen durch massive Sanktionen und Waffenlieferungen selbst Konfliktpartei sind, fallen sie als Moderatoren aus. Deswegen wird es darauf ankommen, andere Staaten wie China, Indien oder Südafrika zu gewinnen, diese Verhandlungen zu unterstützen.
Mit freundlichen Grüßen
Kathrin Vogler