Frage an Kathrin Vogler von Kai-Ulrik B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Vogler,
seit 14 Jahren arbeite ich als selbstständiger Software-Entwickler, beschäftige meine Frau als Buchhalterin, leiste Abgaben, zahle Steuern, sorge für meine Altersversorgung. Mein Lebensmodell ist darauf ausgerichtet, keine Ansprüche an Leistungen von der Gemeinschaft zu stellen. Ich bin selbständig tätig.
Die jetzige Gesetzeslage ist derzeit so, dass die Kriterien zur Definition von Scheinselbständigkeit lt. §611a BGB mich zum Scheinselbständigen erklären. Es gibt keine wirklich belastbaren Kriterien, die mich davor schützen bzw. an denen sich festmachen ließe, wer ein Scheinselbständiger ist und wer nicht.
Mehr als 100.000 Selbständige in der IT, aber auch anderer Berufe, insgesamt ca. 2,7 Mio. Einzelselbstständige befinden sich in vergleichbarer Lage. Ist es gewollt, dass ein Steuervolumen von mehreren Mrd. Euro entfällt und stattdessen die Zahl der Privatinsolvenzen und ALGII-Empfänger in die Höhe geht? Kann es im Sinne des Wirtschaftsstandortes Deutschland sein, wenn das einzige Mittel dem Fachkräftemangel auf dem Sektor der Wissensarbeit auf flexible Weise zu begegnen, per Gesetz abgeschafft wird? Ist es gewollt, dass in der Folge Innovationsprojekte ins Ausland verlagert oder gar nicht durchgeführt werden? Eigentlich sollten ja prekär Beschäftigte, die als vermeintlich Selbstständige in Unternehmen arbeiten und im Prinzip die gleiche Arbeit, wie die jeweiligen Firmenangehörigen tun, geschützt werden. Was soll ich tun? Ich habe die Befürchtung u.U. meinen Beruf in der gewohnten Form nicht mehr ausüben zu dürfen, meine Familie nicht mehr versorgen, meine bisher aufgebaute Altersversorgung finanziell nicht mehr bedienen können. Ich frage Sie, gibt es angesichts der herrschend Rechtsunsicherheit Pläne Ihrer Partei die Situation von Solo-Selbstständigen in dieser Hinsicht zu verbessern? Hintergrundinformationen finden Sie hier: https://www.vgsd.de/wp-content/uploads/2015/05/VGSD_Positionspapier_Scheinselbststaendigkeit_pub.pdf
Mfg
Sehr geehrter Herr Bräutigam,
meine Fraktion DIE LINKE. im Bundestag engagiert sich dafür, dass alle Bürgerinnen und Bürger Tätigkeiten nachgehen können, die ihnen unter würdigen Beschäftigungsbedingungen ein gutes Auskommen ermöglichen. Das betrifft nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch Selbstständige. Der Wandel bei den Anforderungen der Wirtschaft an Beschäftigungsstrukturen führt dazu, dass immer mehr Menschen nicht mehr in klassischen Arbeitsverhältnissen beschäftigt werden - und das auch häufig gar nicht wollen oder müssen. Daher unterstützen wir auch Initiativen, die für Selbstständige bessere Bedingungen schaffen und daher ist eines unserer wesentlichen Anliegen, gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkvertragsarbeit vorzugehen.
Die zunehmende Vergabe von Aufgaben an externe Auftragnehmer macht es aus unserer Sicht notwendig, Regelungen zur Verhinderung von Scheinselbstständigkeit zu treffen. Dies heißt nicht, dass wir wirkliche Selbstständigkeit einschränken oder verhindern wollen – wir sind der Auffassung, dass sich bei Anwendung der von uns vorgeschlagenen Kriterien eine echte Selbstständigkeit nachweisen lässt.
Es kommt aber eben auch vor, dass Selbstständige Tätigkeiten in anderen Betrieben übernehmen, ohne die Voraussetzungen einer echten Selbstständigkeit zu erfüllen. Sie übernehmen beispielsweise für Arbeitnehmer typische Arbeitsleistungen in der Betriebsorganisation des Auftraggebers, haben nur einen Auftraggeber und treten ansonsten nicht am Markt als Unternehmen auf. Dadurch, dass der Auftraggeber keine Sozialversicherungsabgaben leistet, entgehen den Sozialversicherungssystemen Einnahmen.
Hier sei eine Anmerkung erlaubt: In der Debatte um Scheinselbstständigkeit wird von manchen Interessenverbänden der Selbstständigen die Einführung von sogenannten Positivkriterien zum Nachweis einer echten Selbstständigkeit vorgeschlagen. Aus unserer Sicht ist allerdings nicht nachvollziehbar, warum beispielsweise ein hoher Verdienst oder eine eigenständige Altersvorsorge dazu geeignet sein sollen, eine echte Selbstständigkeit zu belegen. Bei der Abgrenzung zwischen wirklicher Selbständigkeit und Scheinselbstständigkeit geht es nicht allein um die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Selbstständigen. Solidarsysteme wie die gesetzlichen Sozialversicherungen sind darauf angewiesen, dass sich gerade gut Verdienende beteiligen, wenn sie den Fakten nach eine nicht-selbstständige Arbeit verrichten.
Es ist aus unserer Sicht notwendig, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung von Scheinselbstständigkeit zu ergreifen. Die Fraktion DIE LINKE tritt dafür ein, dass es Kriterien gibt, mit denen eine echte Selbstständigkeit zu belegen ist. Wir wollen echte Selbstständigkeit nicht behindern. Wir setzen uns dafür ein, dass widerlegbaren Vermutungsregelungen angewendet werden, wie sie in nahezu gleicher Formulierung bereits bis Ende 2002 im Sozialgesetzbuch IV enthalten waren. Bei der Anwendung dieser Kriterien können auch echte Solo-Selbstständige ihre Selbstständigkeit nachweisen und in diesem Status verbleiben. Von Scheinselbstständigkeit ist auszugehen, wenn drei der folgenden Kriterien erfüllt sind:
o im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit mit Ausnahme von Familienangehörigen keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer beschäftigt werden,
o sie regelmäßig und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind,
o sie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer typische Arbeitsleistungen erbringen, insbesondere Weisungen des Auftraggebers unterliegen und in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert sind,
o sie nicht aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt auftreten oder
o deren Tätigkeit ihrem äußeren Erscheinungsbild nach derjenigen Tätigkeit entspricht, die vorher für denselben Auftraggeber in einem Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wurde.
Mit freundlichen Grüßen
Kathrin Vogler