Frage an Kathrin Vogler von Gerhard R. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Vogler,
es geht um die Möglichkeit, von der Teilnahmepflicht am Unterricht befreit zu werden, wenn ein Jugendoffizier im Rahmen des Unterrichts in die Klasse kommt. Unter
http://www.abgeordnetenwatch.de/wolfgang_ne_kovi-575-37837--f244059.html#q244059
teilte Herr Neskovic mit, daß hier folgende Artikel des Grundgesetzes anzuwenden sind:
4(Grundrecht der Schüler/innen), 6(Erziehungsrecht der Eltern) und 7(staatlicher Erziehungsauftrag).
Ist im Falle eines Konflikts zwischen Elternrechten und dem staatlichen Erziehungsauftrag
auch Artikel 3 Grundgesetz(Gleichbehandlungsanspruch) anzuwenden?
Diese Frage stelle ich vor folgendem Hintergrund:
Eltern stellen einen Befreiungsantrag mit folgender Begründung: "Wir erziehen unser Kind aus Gewissensgründen gewaltfrei mit dem Ziel, daß es später den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert. Deshalb beantragen wir, daß unser Kind nicht am Unterricht mit dem Jugendoffizier teilnehmen muß. Bei Kriegsdienstverweigerern wird die Gewissensentscheidung akzeptiert.
Wir erwarten die Gleichbehandlung."
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
der in Ihrer Frage enthaltene Vorschlag ist mir grundsätzlich sehr sympathisch, da ich mich – wie Sie meiner Biografie entnehmen können – sehr intensiv im Bereich der Friedenspolitik engagiere.
Da ich keine Juristin bin, habe ich Ihre Anfrage an erfahrene Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker unserer Fraktion weitergeleitet. Die Antwort werde ich Ihnen ebenfalls zur Verfügung stellen.
Eines kann ich Ihnen aber schon jetzt in aller Deutlichkeit sagen: Ich begrüße es ausdrücklich, wenn sich Schüler- und Elternvertretungen dagegen wehren, dass Schülerinnen und Schüler in der Schule durch Jugendoffiziere einseitig beeinflusst werden. Darum wünsche ich Ihrem Anliegen ein schnelles Gelingen.
Mit freundlichen Grüßen
Kathrin Vogler
Sehr geehrter Herr Reth,
anbei die Antwort von meinem fachlich zuständigen Kollegen Wolfgang Neskovic auf Ihre Frage:
Sehr geehrter Herr Reth,
vielen Dank für Ihre Nachfrage, die von meiner Fraktionskollegin Kathrin Vogler an mich weitergeleitet wurde. Auch ich begegne Ihrem Anliegen - wie ich bereits in meiner Antwort auf abgeordnetenwatch.de vom 20.01.2010 an Sie zum Ausdruck gebracht habe - grundsätzlich mit großer Sympathie. Ergänzend möchte ich Sie zu diesem Thema auf die anliegende Kleine Anfrage unserer Fraktion vom 22.01.2010 hinweisen. Die Antwort der Bundesregierung kommentiert unsere innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke in einer Pressemitteilung vom 12.02.2010 unter dem Titel "Bundeswehr raus aus den Schulen":
http://www.linksfraktion.de/pressemitteilung.php?artikel=1221673251
Konkret haben Sie nach der Anwendbarkeit von Artikel 3 des Grundgesetzes gefragt. Das Abstellen auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs.1 GG führt in diesem Zusammenhang jedoch nicht zum gewünschten Ergebnis.
In ständiger Rechtsprechung formuliert das Bundesverfassungsgericht, der Gleichheitssatz verbiete, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln. Ein Unterschied ist wesentlich, wenn er die unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen vermag.
Der erste Grund für die unterschiedliche Behandlung von Kriegsdienstverweigerern und Schülerinnen und Schülern, die nicht an einem Unterricht teilnehmen wollen, der unter Mitwirkung und inhaltlicher Gestaltung von Angehörigen der Bundeswehr stattfindet, liegt in der Verfassung selbst. Der besondere Schutz von Menschen, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, ist im Grundgesetz durch Artikel 4 Abs.3 GG ausdrücklich angeordnet. Für Schülerinnen und Schüler fehlt eine solche Vorschrift. Das Bundesverfassungsgericht vertritt in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung die Ansicht, dass Art. 4 III die Frage der Achtung vor einer individuellen Gewissensentscheidung im Bereich der Verteidigung und insbesondere der Wehrpflicht abschließend regelt; von Verfassungs wegen werde allein die Verweigerung des ?Kriegsdienstes mit der Waffe? geschützt.
Hinzu kommt, dass die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen und die Weigerung, aus Gewissensgründen am Schulunterricht teilzunehmen, qualitativ etwas ganz Verschiedenes sind.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Neskovic