Sehr geehrte Frau Dröge, wie kann der Bundestag das Freihandelsabkommen CETA ratifizieren, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Interpretationserklärung zum Investitionsschutz noch nicht verhandelt war?
Erst über ein halbes Jahr später wurde die Interpretationserklärung finalisiert. Die
Bundestagsabgeordneten stimmten damit einem Abkommen unter Bedingung auf ein Papier zu, welches sie nicht kannten und dessen Inhalt sie nicht beeinßussen konnten.
Darüber hinaus wurden nahezu alle Bezüge zu Klimapolitik und konkretere Absprachen zum Klimaschutz aus dem Entwurf der Interpretationserklärung gestrichen.
Mehrere juristische Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass die vorliegende Interpretationserklärung keine bindende oder gar ändernde Wirkung auf den Vertragstext selbst hat. Damit haben Konzernklagerechte weiterhin Bestand auch aufgrund fortschrittschlicher Gesetzgebung zum Schutz des Klimas und des Verbraucherschutzes (s. Rechtsanwälte Günther - Hamburg: "CETA und Klimaschutz - Kann eine Interpretationserklärung Abhilfe schaffen?").
MfG Thomas G. - Berlin
Lieber Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Es stimmt, dass wir als Bündnisgrüne aufgrund der in CETA enthaltenen und die demokratischen Handlungsmöglichkeiten einschränkenden Investor-Staat-Schiedsgerichte das Abkommen immer kritisch gesehen haben. Mit der SPD und FPD haben wir uns deshalb auf ein Vorgehen einigen können, um diese problematischen Aspekte einzuschränken, deutliche Nachbesserungen bei CETA zu erreichen und eine Neuausrichtung der Handelspolitik insgesamt festzuschreiben.
Die Koalition hat am 01. Juli 2022 mit dem Beschluss einer Handelsagenda der Bundesregierung die handelspolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag konkretisiert und am 11.11.2022 eine Weiterentwicklung der Handelsagenda in Schriftform vorgelegt, die unter anderem in einer Paketlösung neben der Ratifikation von CETA den endgültigen Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag festhält.
Bereits vor Ratifizierung im Bundestag war die Interpretationserklärung unter den EU-Mitgliedsstaaten abgestimmt worden und auch die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland hatte sich bereits öffentlich positiv zu der Interpretationserklärung bekannt. Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es über die Kernelemente der Interpretationserklärung keine größeren Differenzen in der EU oder mit Kanada geben wird. Über den Sommer 2023 wurde die erfolgreich von der Bundesregierung aufgegleiste ergänzende Interpretationserklärung zwischen der Kommission und Kanada final geeint und wird nun als Beschlussentwurf für den CETA-Ausschuss vorbereitet. Die weiteren EU-Mitgliedstaaten haben dem Beschlussentwurf ebenfalls zugestimmt. Der formelle Beschluss wird im ersten Quartal 2024 im gemeinsamen CETA-Ausschuss erwartet.
Mit der geeinten Interpretationserklärung wird der in CETA bereits angelegte Willen der Vertragsparteien, den Investitionsschutz weiter einzuschränken und den staatlichen Regulierungsraum zu erhöhen, konkretisiert und somit für zusätzliche Rechtsklarheit gesorgt. Durch die geeinte Interpretationserklärung sind die Tatbestandsvoraussetzungen der indirekten Enteignung sehr eng gefasst. So kann eine indirekte Enteignung unter anderem nur vorliegen, wenn dem Investor die Nutzung, der Genuss und die Verfügung über seine Investition radikal entzogen werden, als ob die damit verbundenen Rechte nicht mehr bestehen. Beschlüsse des Gemischten Ausschusses sind gleichwohl völkerrechtlich verbindlich und daher von den CETA-Gerichten nicht nur als bloße unverbindliche Auslegungshilfen zu berücksichtigen, sondern als verbindlich zu beachten. Es handelt sich der Form nach somit um eine verbindliche Vertragsauslegung. Gleichwohl handelt es sich bei den Formulierungen in der Interpretationserklärung notwendigerweise um offene Rechtsbegriffe, die der Auslegung durch die Schiedsgerichte offenstehen.
Nach einer endgültigen Ratifizierung von CETA durch alle Partner – und dem damit einhergehenden In-Kraft-Treten, werden wir ebenso unmittelbar die festgehaltene Review-Clause aufrufen, um unmittelbar den auf fünf Jahre festgelegten Prozess zur Weiterentwicklung von CETA im Sinne der neuen EU-weit geeinten sanktionsbewährten Nachhaltigkeitskapitel einzuleiten. Sowohl Kanada als auch die EU stimmen in diesem Ziel überein und haben in Kapitel 22 des CETA-Vertragstextes bereist verankert "dass der Handel eine nachhaltige Entwicklung fördern solle." Hierzu erkennen die Vertragsparteien an, "dass wirtschaftliche Entwicklung, soziale Entwicklung und Umweltschutz sich gegenseitig beeinflussende und verstärkende Komponenten einer nachhaltigen Entwicklung seien, und bekräftigen ihre Entschlossenheit, die Entwicklung des internationalen Handels in einer Weise zu fördern, die dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung zum Wohle der heutigen und künftigen Generationen gerecht wird.
Das zeigt: Wir machen Klimaschutz, Sozial- und Umweltstandards endlich genauso verbindlich wie die wirtschaftlichen Aspekte von Handelsabkommen, indem wir als letzte Möglichkeit auch bei der Verletzung dieser Standards Sanktionen ermöglichen. Wir wollen insbesondere bei Verstößen gegen das Pariser Klimaabkommen, gegen die zentralen ILO-Arbeitsschutz-Konventionen und gegen das Übereinkommen zur biologischen Vielfalt künftig auch die Aussetzung von Handelserleichterungen ermöglichen. Mit dieser Positionierung kann sich die Bundesregierung nun voll hinter den im letzten Sommer veröffentlichten neuen Ansatz der EU-Kommission stellen, dass Nachhaltigkeitskapitel in Zukunft sanktionsbewehrt sein müssten.
Mit freundlichen Grüßen
Team Dröge