Frage an Katarina Barley von Thomas S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Guten Tag Frau Barley,
Zitat aus Ihrer Rede anlässlich der 13. Woche des bürgerschaftlichen Engagements:
„Über 30 Millionen Bürgerinnen und Bürger engagieren sich freiwillig für gesellschaftliche Belange. Ihr Engagement ist ein unverzichtbarer Grundpfeiler unserer Demokratie. Durch ihre Arbeit stärken sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und tragen zur hohen Lebensqualität in unserem Land bei."
Claudia Pinl sieht in ihrem Buch "Freiwillig zu Diensten" ehrenamtliche Arbeit kritisch:
"23 Millionen Ehrenamtliche arbeiten in Deutschland (...).Alles unbezahlt, alles fürs Gemeinwohl. Vor lauter Begeisterung über „bürgerschaftliches Engagement“ sehen wir nicht mehr, woher die vielen Armen im Lande kommen. Wir nehmen den Zusammenhang nicht wahr zwischen kaputt gesparten Kommunen, Einschnitten im sozialen Netz, der Konzentration des Reichtums bei wenigen und den Dauer-Appellen an uns alle, bitte mit auszuhelfen. Die Freiwilligen halten mit ihrer Gratisarbeit nicht nur den Betrieb in Pflegeheimen, Kitas und Schwimmbädern aufrecht. Sie tragen auch dazu bei, den Niedriglohn-Sektor auszudehnen und die Arbeit von Hauptamtlichen zu dequalifizieren. (...) Warum noch für Arbeit bezahlen, wenn Ehrenamtliche sie umsonst oder für ein Taschengeld verrichten?"
https://www.nomen-verlag.de/admin/bilder_nomen/43_Pinl%20fuer%20WEB.pdf
1. Wie kommen Sie auf die Zahl von über 30 Millionen engagierten Bürger/innen?
2. Wenn die Tafeln akute Armutssymptome zu lindern versuchen,
was hat das mit der "hohen Lebensqualität in unserem Land" zu tun?
3.Wie gehen Sie mt dem Vorwurf um, dass ehrenamtliche Arbeit missbraucht wird um bezahte Arbeit einzusparen?
4. Haben Sie für die Erhöhung der Abgeordnetendiät gestimmt?.
5. Wenn ja, wie verträgt sich Ihr Abstimmverhalten mit Ihrer Lobrede für gesellschaftliches
Engagement?
Viele Grüße, T. S.
Frage 1)
Wie kommen Sie auf die Zahl von über 30 Millionen engagierten Bürger/innen?
"In Deutschland lebten im Jahr 2014 rund 81 Millionen Menschen. Im Deutschen Freiwilligensurvey 2014 werden Personen ab 14 Jahren zum freiwilligen Engagement befragt. In der Gesamtbevölkerung Deutschlands beträgt die Anzahl der Menschen ab 14 Jahren insgesamt rund 71 Millionen. Von diesen 71 Millionen Personen ab 14 Jahren sind 43,6 Prozent freiwillig engagiert. Das wiederum entspricht 30,9 Millionen freiwillig Engagierter."
Frage 2)
Wenn die Tafeln akute Armutssymptome zu lindern versuchen, was hat das mit der "hohen Lebensqualität in unserem Land" zu tun?
"Die Tatsache, dass es viel ehrenamtliches Engagement in unserem Land gibt, hängt nicht kausal damit zusammen, dass Menschen im Land auf Hilfe angewiesen sind. Natürlich stärken das bürgerschaftliche Engagement und der Einsatz so vieler Menschen den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und hebt die Lebensqualität im gesamten Land. Vielen Menschen in unserem Land geht es gut, sie haben die angesprochene "hohe Lebensqualität". Die Tafeln sind eine große Ehrenamtsbewegung, die dafür sorgt, dass Lebensmittel gerettet werden und Armut gelindert wird – indem sie Essen zur Verfügung stellt und damit auch einigen Menschen, die zu den Tafeln kommen, etwas mehr finanziellen Freiraum ermöglicht. Die Tafeln sind auch Orte der Begegnung, die Menschen aus verschiedenen Sozialräumen sozialen Austausch und sozialen Anschluss ermöglichen und natürlich auch Engagement er-möglichen. Sie ersetzen aber nicht die Aufgaben des Staates.“
Frage 3)
Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, dass ehrenamtliche Arbeit missbraucht wird um bezahlte Arbeit einzusparen?
"Dass sich Bürgerinnern und Bürger ehrenamtlich engagieren, ist für unsere Gesellschaft sehr wichtig und macht eine Gesellschaft auch aus: Das Füreinander Einstehen und sich für und mit anderen zu engagieren. Wer sich engagiert, tut dies oft aus der Überzeugung heraus, etwas für sich und andere verbessern zu können. Engagement bringt Menschen zusammen und Dinge in Bewegung - das ist wichtig. Deshalb setze ich mich auch dafür ein, dass das freiwillige Engagement bekannter und sichtbarer wird. Für mich ist ganz wichtig, dass freiwilliges Engagement nicht als kostengünstige Ressource für soziale oder andere Dienstleistungen ausgenutzt wird. Viele Engagierte setzten sich in Bereichen ein, in denen sie die Arbeit von professionellen Kräften ergänzen – Beispiel: Pflege. Gerade in diesem Umfeld wird das freiwillige Engagement angesichts des demografischen Wandels ja immer wichtiger. Dort erleichtern und bereichern die Engagierten das Leben der Pflegebedürftigen, indem sie ihnen viel Zeit, Empathie und Fürsorge entgegenbringen. Und nicht zuletzt entlasten sie damit die Pflegekräfte. Sie leisten aber nicht pflegerische Aufgaben, für die man gut qualifiziert sein muss. Dennoch stellt die Zusammen-arbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen immer wieder auch eine Herausforderung dar. Schließlich muss der Einsatz von Freiwilligen koordiniert, müssen Qualitätsstandards gewahrt werden. Und die Engagierten brauchen oft selbst Unterstützung oder Fortbildung, die organisiert werden muss und die auch Kosten verursacht. Ich finde, die Grenze zwischen bezahlter und ehrenamtlich geleisteter Arbeit muss klar definiert sein. Engagement darf weder in der Pflege noch anderswo zum Lückenbüßer für mangelndes Personal oder staatliche Daseinsfürsorge werden."
Frage 4)
Haben Sie für die Erhöhung der Abgeordnetendiät gestimmt?
„Ich nehme an, Sie beziehen sich auf die Abstimmung zum Anpassungsverfahren § 11 Abgeordneten-gesetz, die am 13. Dezember 2017 im Deutschen Bundestag stattfand. An dieser Abstimmung habe ich nicht teilgenommen, da ich vom 11. – 13 Dezember in Buenos Aires als Gleichstellungs-, Arbeits- und Sozialministerin an der Übergabe des Vorsitzes des frauenpolitischen Dialogs der Women 20 (W20) von Deutschland an Argentinien teilgenommen habe.“
Frage 5)
Wenn ja, wie verträgt sich Ihr Abstimmverhalten mit Ihrer Lobrede für gesellschaftliches Engagement?
„In der Abstimmung des Deutschen Bundestages am 13. Dezember ging es nicht um eine Erhöhung der Diäten, sondern lediglich darum, die Regelung zum Anpassungsverfahren zu verlängern.
In den vergangen Jahrzenten sind die Entscheidungen des Bundestages über die Abgeordnetenentschädigungen immer wieder heftig kritisiert worden. Dem geltenden Verfassungsrecht zufolge muss der Bundestag die Anpassung der Diäten selbst beschließen. Bis 2014 erfolgte dies in unregelmäßigen Abständen durch Änderungen des Abgeordnetengesetzes.
Um dem Vorwurf entgegenzuwirken, der Bundestag sei ein Selbstbedienungsladen und die Abgeordneten würden nach Gutsherrenart über die eigenen Bezüge entscheiden, beschloss das Parlament im Jahr 2014 einen Systemwechsel. Der Bundestag folgte dabei den Vorschlägen einer unabhängigen Expertenkommission. Diese hatte empfohlen, als Maßstab für die Abgeordnetenentschädigung die Besoldung von Richtern der obersten Bundesgerichte heranzuziehen und die Diäten jährlich automatisch auf Grundlage der Lohnentwicklung des Gesamtbevölkerung anzupassen.
Das neue System ist fair und transparent und entspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Seit dem 1. Juli 2016 ist das neue System in Kraft. Seitdem verändern sich die Abgeordnetendiäten genau in der Höhe des Bruttodurchschnittsverdienstes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Parallel hat der Bundestag in der 18. Wahlperiode die Transparenzregeln für Zusatzverdienste verschärft und eine Reihe von Schritten zu Absenkungen der Altersvorsorge beschlossen.
Das neue Anpassungsverfahren bleibt gemäß Abgeordnetengesetz nur dann in Kraft, wenn jeder neu gewählte Bundestag innerhalb von drei Monaten nach der Konstituierung diesen Automatismus bestätigt. In der Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Dezember ging es lediglich darum, die Regelung zu verlängern.“
i.A.
Mirabell Schatz
Wissenschaftliche Mitarbeiterin