Frage an Karl Schiewerling von Florian B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schiewerling,
wie stehen Sie zur Vorratsdatenspeicherung, durch die jeder Bürger im Internet permanent überwacht wird?
Ich finde es erschreckend mir vorzustellen, wenn die Polizei den Aufenthaltsort eines JEDEN Bürgers protokollieren würde, erfassen würde, wie lange und mit wem man spricht. Denn genau das macht die Vorratsdatenspeicherung im Internet...
mit freundlichen Grüßen
Florian Bontrup
Sehr geehrter Herr Bontrup,
die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Auf der einen Seite des Spannungsfeldes stehen die Freiheit und der Schutz des Einzelnen, auf der anderen Seite das Recht des Einzelnen und Gerechtigkeit. Das führt zu Konflikten. Dabei bin ich der Meinung, dass eine möglichst vollständige Wahrheitsermittlung im Strafverfahren und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten im Interesse des Gemeinwesens liegen. Von daher sollten Ermittlungsinstrumente nicht weiter beschränkt werden, als dies verfassungsrechtlich geboten ist. Es geht also nicht primär darum, jeden Bürger zu überwachen, sondern darum, jeden Bürger bestmöglich vor schweren Straftaten zu schützen.
Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist ein solches Ermittlungsinstrument, das für die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten unabdingbar ist. In der Diskussion hierüber wird vielfach übersehen, dass bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage Telekommunikationsunternehmen Verbindungsdaten (Verkehrsdaten) zu Abrechnungszwecken speichern dürfen. Gesprächsinhalte dürfen insoweit nicht gespeichert werden. Über diese Daten haben die Telekommunikationsunternehmen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden Auskunft zu erteilen, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten oder von Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden, geht (§§ 100g u. h StPO). Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft ist an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u. a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht, keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung, Richtervorbehalt) geknüpft.
Folglich kann ich Ihrer Aussage, dass die Polizei den Aufenthaltsort eines jeden Bürgers protokolliert nicht zustimmen.
Zudem hat sich das Instrument der Verbindungsdatenabfrage in der Vergangenheit als unverzichtbar bei der Bekämpfung und Aufdeckung schwerer Kriminalität erwiesen. Mit der stetigen Zunahme sogenannter „Flatratetarife“, bei denen eine Speicherung von Verbindungsdaten zu Abrechnungszwecken durch die Telekommunikationsunternehmen nicht mehr erforderlich ist, drohte es mehr und mehr seine Wirksamkeit zu verlieren. Die Möglichkeit, alleine durch Nutzung solcher Flatratetarife, Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren oder zu vereiteln, dürfte insbesondere der organisierten Kriminalität nicht verborgen geblieben sein. Bereits deshalb war es erforderlich, eine entsprechende Speicherungsverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen, unabhängig davon, ob diese Daten zu Abrechnungszwecken benötigt werden, gesetzlich festzulegen. Die bisherigen Schutzvorkehrungen sind dabei uneingeschränkt beibehalten worden.
Nicht zuletzt diese Erwägungen haben die Bundesregierung bewogen, der Richtlinie Nr. 2006/24/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, zuzustimmen. Die Bundesregierung hat dies mit Unterstützung des Deutschen Bundestages getan. Auch der Deutsche Bundestag hat in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten insbesondere bei Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, und bei mittels Telekommunikation begangenen Straftaten unverzichtbar ist.
Ich hoffe, dass ich mit meiner Antwort einige Ihrer Bedenken ausräumen konnte und betone nochmals, dass es bei dem Gesetz nicht um die Überwachung der Bürger, sondern um die Prävention schwerer Straftaten geht.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Schiewerling