Frage an Karl Schiewerling von Peter W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Schiewerling,
es geht mir um die Demokratie, von der man meiner Meinung nach, im Bezug auf Deutschland, kaum noch sprechen kann. Erst letztes Jahr haben sich die beiden Volkspareien gegen schärfere Regeln gegen Abgeordnetenbestechung entschieden und ihre Partei hat eine großzügige Spende eines großen Autoherstellers dankbar entgegengenommen, welche fast in unverkennbarer Abhängigkeit mit politischer Entscheidungen stand.
Da die CDU ja auch der Überwachung gegenüber positiv eingestellt ist (Vorratsdatenspeicherung) frage ich mich, warum die Bürger ihre Geheimnisse vor dem Staat offenlegen muss, die Volksvertreter allerdings vor dem Volke keine Transparenz zeigen müssen. Im Hinblick auf das kommende Freihandelsabkommen stört mich besonders, dass die meisten Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehen. Wie kann ein Bürder davon überzeugt sein, dass nicht ihre Ziele, sondern die Ziele der großen Aktienunternehmen im Vordergrund stehen. Dass die Politiker von "Fachkräften" beraten werden müssen ist nicht fragwürdig, allerings müssen die Bürger erfahren können, welche Firmen wie viel Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen und wie die betroffenen Politiker in finanzieller Verbindung zu diesen Firmen stehen.
Grundsätlich ist der Lobbyismus nicht gut oder schlecht, nur die fehlende Transparenz macht den Einfluss der Wirtschaft unüberschaubar und bietet Spielraum für den Missbrauch von Ämtern in der Politik.
All diese offensichtlich undemokratischen Aspekte lassen den Glauben und die Überzeugung, die die Bürger für ihre Volksvertreter aufbringen können, gegen Null wandern. Dafür ist die Entscheidung für den Genmais ein klares Beispiel.
Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, doch wie kann die Meinung des Volkes noch eine Relevanz haben, wenn die Politiker von Geld gelenkt werden? Für mich persönlich klingt das eher nach einer Herrschaft des Geldes, oder können sie mich anders belehren?
Grüße,
Peter Wauligmann
Sehr geehrter Herr Wauligmann,
danke für Ihre Anfrage über das Internetportal „abgeordnetenwatch“, in der Sie auf die schärferen Regelungen zur Abgeordnetenbestechung, auf das Freihandelsabkommen und die Abstimmung zur Einführung des Genmaises 1507 zu sprechen kommen. Gerne antworte ich Ihnen als Ihr Abgeordneter. Auf Grund der komplexen Themen ist die Antwort allerdings sehr lang.
„Abgeordnetenbestechung“
Der Bundestag hat im Februar 2014 ein neues Abgeordnetengesetz verabschiedet und damit unter anderem die UN-Konvention gegen Korruption umgesetzt. Durch die Unterzeichnung der Konvention wurde der § 108e Strafgesetzbuch geändert. Dieser regelte ausschließlich den Stimmenkauf und-verkauf bei Abstimmungen in den Fachausschüssen und im Plenum des Deutschen Bundestages. Künftig muss bei allen Mandatshandlungen – nicht mehr nur bei Abstimmungen in der Volksvertretung – sichergestellt sein, dass sie nicht mit Geld oder anderen Vorteilen erkauft worden sind. Eine Strafbarkeit kommt also in Betracht, wenn der Vorteil als Gegenleistung für eine Handlung in Wahrnehmung des politischen Mandats vereinbart wurde und der Abgeordnete sich an Aufträgen und Weisungen des Vorteilsgebers hält.
Die Neuregelung war sehr kompliziert, da neben verfassungsrechtlichen Bedenken sichergestellt werden musste, dass der neue Tatbestand so ausgestaltet wird, dass einerseits das unlautere und strafwürdige Verhalten von und gegenüber Abgeordneten wirksam erfassen kann. Andererseits muss aber dem Grundsatz des freien Mandats und der Besonderheiten des politischen Prozesses Rechnung getragen werden. Abgeordnete sind ja immer Interessenvertreter, gerade als solche wurden sie auch gewählt. Sie sollen – im Gegensatz zum Beamten – gerade „Partei ergreifen“. Die UN hatte nicht zwischen Beamten und Abgeordneten unterschieden.
Allerdings bleiben aus meiner Sicht weiter Probleme, denn wo fängt Bestechung an? Beim kostenlosen Mittagessen im Rahmen einer Veranstaltung? Bei der Flasche Wein, die ich als Dankeschön für eine Rede erhalte? Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen haben Sorge, dass die Annahme solcher Geschenke zu anonymen Strafanzeigen führen, der die Staatsanwaltschaft – mit all den Folgen der öffentlichen Vorverurteilung - dann nachgehen muss.
Freihandelsabkommen
Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA bietet Chancen, birgt aber auch Risiken in sich. Auf der einen Seiten zeigen die bisherigen Erfahrungen sowie zahlreiche wissenschaftliche Analysen, dass Freihandelsabkommen positive Effekte auf Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und das Einkommen haben. Gemeinsame Standards, größere Produktvielfalt und geringe Preise helfen den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in Europa und den USA nachhaltig zu sichern.
Auf der anderen Seite habe ich für Ihre Bedenken, dass durch ein solches Abkommen soziale, ökologische und andere Standards abgebaut werden, Verständnis. Deshalb habe ich mich zuständigkeitshalber an den außenpolitischen Sprecher meiner Fraktion gewandt, der sich intensiv mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat.
Ziel und Maßgabe der EU-Kommission als Verhandlungsführerin ist es, dass hohe Niveau von Produktsicherheit und Verbraucherschutz in der EU zu erhalten. Ein Absenken von Standards insbesondere etwa im Lebensmittelbereich steht nicht zur Debatte. Keines der grundlegenden Gesetze zum Schutz von Menschen, Tieren oder Umwelt soll aufgehoben werden. Die Gesundheit der EU-Bevölkerung und der notwendige Umweltschutz sind nicht verhandelbar. Auch die USA unterstreichen, dass das Bündnis keine Deregulierungsagenda ist.
Eine hohe Transparenz des Verhandlungsprozesses ist der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen. Damit die Verhandlungen erfolgreich verlaufen, bedarf es jedoch einer gewissen Vertraulichkeit. Die Europäische Kommission informiert die Mitgliedstaaten der EU regelmäßig über den Verlauf der Verhandlungen und pflegt seit Verhandlungsbeginn einen breit angelegten Dialog mit der Wirtschaft, den Parlamenten, Gewerkschaften, Forschungseinrichtungen und Nicht-Regierungsorganisationen aus Umwelt- und Verbraucherschutz.
Auch das Bundeswirtschaftsministerium führt regelmäßig Veranstaltungen für Verbände und Nicht-Regierungsorganisationen durch, um sie über den Fortgang der Verhandlungen zu informieren und ihre Standpunkte in die Verhandlungen der EU-Kommission mit den USA mit einfließen zu lassen.
Zudem wies mich mein Fraktionskollege aus der Arbeitsgruppe Außenpolitik darauf hin, dass Sie weitergehende Informationen - auf der Internetseite der Generaldirektion Handel der EU-Kommission - erhalten können. Dort sind Positionspapiere zu Verhandlungsthemen und Fragen und Antworten veröffentlicht. Ebenfalls sind dort die Abschlusspressekonferenzen in jeder Verhandlungsrunde abrufbar.
Maislinie 1507
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch Landwirte in unserem Land verbinden mit einem Anbau der gentechnisch veränderten Maislinie 1507 wesentlich mehr Sorgen als die Hoffnung auf einen möglichen Nutzen. Ich habe Verständnis für diese Sorgen.
Wissenschaftler haben das Erbgut der betroffenen Maispflanze im Labor so verändert, dass sie gegen bestimmte Pflanzenschutzmittel und Mottenlarven resistent ist. Dies bedeutet, dass diese Pflanze gegen Insekten, wie den Maiszünsler oder den Maiswurzelbohrer, geschützt ist, ohne das chemische Insektizide eingesetzt werden müssen. Die Raupen dieses Schmetterlings fressen sich durch die Maisstängel und richten großen Schaden an. Wird die Maislinie 1507 angebaut, müssen in der Landwirtschaft weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden.
Nun führen diejenigen, die sich gegen den Anbau der Maislinie 1507 aussprechen, an, dass die Risiken für Umwelt und Natur nicht ausreichend untersucht worden seien. Aus Stellungnahmen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, ist zu entnehmen, dass der Anbau der gentechnisch veränderten Maislinie 1507 keine höheren Risiken für die Umwelt zur Folge hat als der Anbau von herkömmlichem Mais. Als Politiker, der sich nicht täglich mit den Fragen von gentechnisch veränderten Lebensmitteln beschäftigen kann, muss ich mich auf die Forschungsergebnisse verlassen. Ich möchte aber zu Bedenken geben, dass es in der EU bereits rund 30 gentechnisch veränderte Maislinien gibt, die eine Zulassung als Lebens- und Futtermittel haben, darunter eben auch diese Maislinie 1507, die 2005 als Futtermittel und 2006 als Lebensmittel zugelassen worden ist.
Zuletzt ist das Thema Genmais wieder auf die politische Tagesordnung gekommen, da das Gericht der Europäischen Union (EuG) am 26. September 2013 entschieden hatte, dass die EU-Kommission gegen EU-Recht verstoßen hat, weil sie es versäumt hat, dem Ministerrat einen Antrag zum Anbau der gentechnisch veränderten insektenresistenten Maislinie 1507 vorzulegen, den die Firma Pioneer Hi-Bred International bereits im Jahr 2001gestellt hatte. Die EU-Kommission hat daher im November 2013, so wie es das Urteil des EuG verlangt, dem Ministerrat den Anbauvorschlag vorgelegt.
Eine erforderliche Mehrheit gegen die Anbauzulassung der Maislinie 1507 ist dann im Rat für Allgemeine Angelegenheiten unter den Mitgliedstaaten nicht zustande gekommen. Die endgültige Entscheidung über die Anbauzulassung liegt nun in den Händen der Europäischen Kommission. Deutschland hat sich im Ministerrat aufgrund unterschiedlicher Auffassungen innerhalb der Bundesregierung der Stimme enthalten. Eine Mehrheit gegen den Anbau wäre übrigens auch nicht zustande gekommen, wenn Deutschland gegen die Zulassung votiert hätte.
Nun ist davon auszugehen, dass die Kommission den Vorschlag zur Zulassung des Anbaus dieser Maislinie veröffentlicht. Bei einem möglichen Anbau im Jahr 2015 gelten die sehr restriktiven Haftungsregeln des Gentechnikgesetzes in Deutschland.
Ich persönlich sehe den Anbau gentechnisch veränderter Lebensmittel kritisch, sehe aber gleichwohl auch die Vorteile. Deshalb begrüße ich die Auffassung der Bundesregierung, dass neben gentechnisch veränderten Lebensmitteln auch Milch- und Fleischprodukte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, gekennzeichnet werden müssen.
Zudem begrüße ich den Vorschlag des früheren Landwirtschaftsministers, Hans Peter Friedrichs, der eine Ausstiegsklausel für die Anbauerlaubnis ins Spiel gebracht hatte. Demnach sollen nationale und regionale Ausnahmen für den Anbau des Genmaises 1507 gelten können. Die Verhandlungen dazu dauern an.
Vollständigkeitshalber möchte ich zudem darauf hinweisen, dass seit dem 01. Mai 2008, die nationale Regelung mit der freiwilligen „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung in Kraft ist. Diese Kennzeichnung ermöglicht Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich durch ihre Kaufentscheidung für Produkte mit dem „Ohne Gentechnik“-Siegel gezielt gegen den Anbau und gegen die Verwendung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen als Lebensmittel oder Futtermittel aussprechen zu können.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner sehr ausführlichen Antwort helfen und Ihnen die Hintergründe dieser politischen Entscheidungen erläutern konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Karl Schiewerling