Frage an Karl Schiewerling von Manfred S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Schiewerling,
verschiedenen Medienberichten ist zu entnehmen, dass es nach einem von fast allen Parteien - auch von der CDU - beschlossenen Modell im nächsten Bundestag erheblich mehr Sitze geben wird als im jetzigen Bundestag. Hierdurch sollen Mehrkosten in Höhe von voraussichtlich rd. € 60 Mio. p.a. und Sachkosten entstehen. Hinzu kommen erhebliche langfristige Aufwendungen für die Altersversorgung zusätzlicher Abgeordneter.
Da die Bundesregierung trotz "sprudelnder Steuerquellen" neue Schulden macht, müssen diese zusätzlichen Kosten doch vermutlich durch weitere Kreditaufnahmen gedeckt werden.
Gibt es kein anderes verfassungskonformes Modell für den Bundestag, das Mehrausgaben vermeidet oder sogar Kosten reduziert? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, wonach das geltende Wahlrecht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, schreibt doch nicht vor, die Anzahl der Bundestagsabgeordneten zu erhöhen.
Ergibt sich aus der geplanten Erhöhung der Zahl der Bundestagsabgeordneten ein Nutzen für die Bürger und wenn ja, welcher?
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Seeger
Sehr geehrter Herr Seeger,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage über das Internetportal „abgeordnetenwatch.de“. Gerne beantworte ich Ihre Fragen zum neuen Wahlgesetz. Um dies in angemessener Form machen zu können, muss ich ein wenig ausholen. Der Grund für die neuen Regelungen sind zwei Urteile des Bundesverfassungsgericht zum Wahlrecht.
Anlass für die erste Reform war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008. In seinem Urteil forderte das Gericht den Gesetzgeber auf den Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts zu beseitigen. Dieser Effekt bedeutet, dass im damals geltenden Wahlrecht die Situation auftreten konnte, dass ein mehr an Zweitstimmen für eine Partei dazu führen kann, dass diese im Ergebnis weniger Sitze erhält, oder umgekehrt, dass weniger Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen für diese Partei führen kann. Dadurch wurde der Wille des Wählers in sein Gegenteil verkehrt. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hatte die Koalition dazu ein Gesetz beschlossen, das am 3. Dezember 2011 in Kraft getreten ist. Die Opposition und zahlreiche Bürgerinnen und Bürger haben gegen das Wahlgesetz von 2011 Klage eingereicht. In dem folgenden Urteil wurden erstmals Überhangmandate – wenn auch mit einer Obergrenze - im Grundsatz für zulässig erachtet. Gute und überzeugende Arbeit in unseren Wahlkreisen lohnt sich damit auch weiterhin. Allerdings hat das Gericht andere Teile des Gesetzes mit starken Worten kritisiert und diese für verfassungswidrig erklärt.
Für das neue Wahlgesetz hätte auch ich mir gewünscht, dass das Modell nicht zu einer Vergrößerung des Bundestages führt. Aber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts haben der Regierungskoalition keine andere Möglichkeit gelassen. Der vom Gericht angemahnte Konsens – das Wahlrecht sollte von möglichst allen im Bundestag vertretenden Parteien getragen werden – war nur um den Preis des Vollausgleiches der Überhangmandate zu erreichen.
Selbstverständlich gäbe es auch andere verfassungskonforme Modelle. Die von der Opposition vorgebrachten Verrechnungsmodelle sahen vor, dass Listenmandate in Land A abgezogen werden können, um ein Überhangmandate in Land B auszugleichen. Dies hätte dazu geführt, dass sich die Arbeit im Wahlkreis für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort nicht mehr ausgezahlt hätte. Das hätte die Parteien begünstigt, die ausschließlich über Landeslisten und nicht über Direktmandate ihre Kandidaten in den Bundestag schicken. Dem hätte ich nicht zugestimmt. In Berlin vertrete ich die Interessen der Menschen aus dem Kreis Coesfeld und den drei Gemeinden Laer, Altenberge und Nordwalde aus dem Kreis Steinfurt. Insofern ergeben sich aus dem Modell und der Beibehaltung der Überhangmandate, die Zeugnis guter Wahlkreisarbeit sind, durchaus Vorteile für den Bürger. Ob allerdings nach der nächsten Bundestagswahl – wenn nach dem jetzt gültigen Wahlgesetz gewählt worden ist – dieses Gesetz Bestand hat, wage ich zu bezweifeln. Ihre Kritik kann ich nachvollziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Schiewerling