Frage an Karl-Heinz Florenz von Herbert D. bezüglich Verbraucherschutz
Werter Herr Florenz,
die EU wird sehr wahrscheinlich den Anbau von Genmais erlauben ( http://www.fr-online.de/ernaehrung/genmais-1507-merkel-laesst-genmais-zu,9563634,26164438.html ) obwohl das EU-Parlament, das von den Bürgern der EU gewählt wird, dagegenstimmte ( http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-room/content/20140110IPR32334/html/Parlament-stimmt-gegen-Marktzulassung-f%C3%BCr-Gen-Mais ). Die CDU und ihre Kanzlerin Angela Merkel aber beharrten auf der Zulassung ( http://www.nachdenkseiten.de/?p=20678#h03 ).
Wenn der Europäische Rat das Europa-Parlament überstimmen kann, wo beibt dann die Demokratie und damit die Umsetzung des Willen der EU-Bürger durch ihre Vertreter im EU-Parlament?
Auch im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen TTIP zwischen der USA und der EU wird der EU-Bürger nicht gehört, wieder der Verbraucherschutz, die Demokratie noch unser Rechtssystem geachtet (siehe Unterkapitel "Die undemokratischen Schiedsgerichte richten" auf http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=20685 ). Sollte das TTIP zustande kommen, sind künftig Klagen gegen das Verbot von Fracking zur ökologisch umstrittenen Erschließung von Gas im Gestein zu erwarten. Der Logik dieser Schiedsgerichtsbarkeit zufolge stehen die Lohnfindung mit dem deutschen Tarifvertragssystem, die Mindestlöhne, ja die unternehmerische Mitbestimmung unter dem Verdacht, für die USA-Investoren ein „Investitionshemmnis“, gegen das geklagt wird, zu sein.
Können Sie nun nachvollziehen, warum die Europa-Skepsis unter uns Bürgern immer weiter zunimmt? Wie wollen Sie uns ermuntern an den Europa-Wahlen im Mai 2014 teilzunehmen (bzw. nicht die AfD zu wählen) wenn Ihr politisches Wirken im Interesse der EU-Bürger (stark) eingeschränkt ist, wir EU-Bürger von den nationalen Regierungen nicht gehört geschweige denn geachtet werden und sich eine EU-Regierung der Wirtschaftseliten etabliert hat?
Mit freundlichen Grüßen aus Kleve
Herbert Derksen
Sehr geehrter Herr Derksen,
vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch vom 16. Februar. Gerne möchte ich Ihnen im Folgenden auf Ihre Fragen zum Anbau von Genmais, zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA und zur Europawahl antworten.
Der Anbau und das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der EU und die Verwendung ihrer Folgeprodukte in der Nahrungs- und Futtermittelkette auf EU-Ebene sind zulassungspflichtig. Eine solche EU-Zulassung hängt vom Nachweis der Ungefährlichkeit des GVO für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt ab. Die Europäische Kommission hat dem Rat im November 2013 ihren Beschluss zur Zulassung von der gentechnisch veränderten Maissorte Pioneer 1507 übermittelt. Während sich das Europäische Parlament im Januar 2014 gegen die Zulassung dieses Genmais ausgesprochen hatte, gab es unter den zuständigen EU-Agrarministern im Rat keine Mehrheit für ein Anbauverbot. Daher liegt die Entscheidung für oder gegen die Zulassung dieses Genmais nun bei der EU-Kommission. Diese kündigte an, den Anbau grundsätzlich zu befürworten, nationale Anbauverbote jedoch zulassen zu wollen.
Ich bin selbst Landwirt und kann nicht erkennen, warum wir in Deutschland genveränderten Mais brauchen. Ich sehe keine Vorteile von gentechnisch veränderten Getreidesorten in Europa. Aber wenn ich erfahre, dass es eine Weizensorte gibt, die nicht 400 Liter Wasser braucht, sondern nur 50 Liter Wasser, und die eines Tages in der Sahel-Zone angebaut werden kann, wo man dann Hunderttausende von jungen Menschen retten kann, beginne ich nachzudenken. Es geht bei der Diskussion also nicht wirklich um eine Entscheidung für oder gegen eine spezielle Maissorte, da geht es meiner Ansicht nach um mehr. Die EU-Kommission möchte hier ganz klar eine ´Tür offenlassen´.
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hat in Zeiten des schnellen technischen Fortschritts für beide Seiten große Vorteile. Alleine in Deutschland können so 100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und das Einkommen jedes europäischen Haushalts um rund 550 Euro gesteigert werden. Das Freihandelsabkommen darf jedoch nicht dazu führen, dass etablierte europäische Standards im Zuge der Harmonisierung herabgesetzt werden.
Sowohl die Europäische Kommission, die das Verhandlungsmandat für das Freihandelsabkommen hält, als auch wir Abgeordnete setzen uns dafür ein, das etablierte Niveau an Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz in Europa zu schützen. Unsere europäischen Standards sollen nicht durch die Hintertür des TTIP umgangen werden und sind in keinster Weise verhandelbar. Dazu zählt auch, dass die Arbeitsbedingungen und Löhne in Europa nicht zur Debatte stehen.
Die Sorge, dass durch ein Investitionsschutzabkommen mit den USA eine Klagewelle amerikanischer Unternehmen gegen europäische Gesetze und Maßnahmen folgen wird, nehme ich sehr ernst. Fakt ist, dass es Investitionsschutzmechanismen bereits seit den 1950er Jahren gibt. Ziel dieser Abkommen ist es, die eigenen Investoren im Ausland gegen z.B. entschädigungslose Enteignungen oder Maßnahmen mit gleicher Wirkung durch den Gastgeberstaat zu schützen. Neun EU-Mitgliedstaaten haben bereits Investitionsschutzabkommen mit den USA abgeschlossen. Es geht vor allem um die Vereinheitlichung eines grundsätzlich sinnvollen Systems des Investitionsschutzes im Ausland. Aufgrund steigender Sorge um Sinn und Zweck eines Kapitels über den Investitionsschutz hat die Kommission die Verhandlungen zu diesem Thema erst einmal ausgesetzt. Die Mitgliedstaaten und Interessenvertreter haben in den nächsten drei Monaten nun die Möglichkeit, ihre Meinungen zu äußern und gegebenenfalls die Details eines Investitionsschutzabkommens selbst vorzugeben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa ein Modell für viele Regionen in der Welt ist. Unser Friedens- und Freiheitsprojekt, dessen Bedeutung 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs nicht klar genug betont werden kann, zeigt gerade in der aktuellen Krise in der Ukraine seinen Vorbildcharakter. Über die demokratischen Werte hinaus, kommt Europa große Bedeutung im internationalen Wettbewerb zu. In diesem Wettbewerb kann Deutschland nicht alleine bestehen. Europa hat sich mit dem Euro eine gemeinsame Währung gegeben, die einerseits Frieden und Wohlstand innerhalb Europas dauerhaft erhalten und andererseits auch die Wirtschaft gegenüber anderen Volkswirtschaften wie China, Indien, USA, Russland etc. weiter nach vorne bringen soll. 2012 gingen knapp 60 Prozent aller deutschen Exporte in die EU, knapp 40 Prozent in Länder der Eurozone. Die Stabilisierung des Euros, klarere und bessere Regeln für die Haushaltsführung der Mitgliedstaaten und strengere Regeln für Banken sind weitere Punkte, die wichtig für eine stabile Wirtschafts- und Währungsunion sind und in der jetzigen Legislaturperiode angegangen worden sind. Europa bringt ganz konkrete Vorteile für den Einzelnen. Nicht nur die Reisefreiheit, sondern auch europaweit geltende Verbraucherschutzregeln wie Senkung der Roaming-Gebühren, Entschädigungsrechte bei Zug- und Flugverspätungen, Widerruf bei Haustürgeschäften oder Austauschprogramme für Studierende und Auszubildende, Unterstützung in der Krise für Jugendliche und die Sicherung von Bankeinlagen von Sparern bis 100.000 Euro sind praktische Belege für den Alltag von uns EU-Bürgern.
In all diesen Bereichen war das Europäische Parlament als Gesetzgeber beteiligt. In der Umweltgesetzgebung beispielsweise, die großen Einfluss auf die Industriepolitik hat, fußen über 80 Prozent aller Gesetze auf europäischen Vorgaben. Wir sind die einzige Institution, die Sie direkt wählen und damit Ihren Einfluss geltend machen können. Ihrer Sorge, dass Sie sich gegenüber den Mitgliedstaaten keine Stimme verschaffen können, können Sie durch direkte Wahl Ihrer Volksvertreter begegnen. Das Europäische Parlament bzw. wir Abgeordnete verhandeln gleichberechtigt mit dem Rat und können Ihrer Meinung Ausdruck verleihen. Ich könnte Ihnen viele Beispiele nennen, wo sich die Position des Europäischen Parlaments gegenüber dem Rat durchgesetzt hat. Konkrete Beispiele sind die Forderung des Parlaments, die Boni von Bankern zu begrenzen, was inzwischen europäisches Gesetz geworden ist, die Elektroschrottrichtlinie, die Wasserrahmenrichtlinie oder die Abfallverbringungsverordnung, um nur ein paar zu nennen.
Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Position hinreichend darlegen konnte und kann Sie letztlich nur auffordern, sich aktiv mit der europäischen Politik auseinanderzusetzen. Keine andere Institution ist so transparent wie das Europäische Parlament. Jegliche Ausschuss- und Plenarsitzungen können Sie live über Webstream verfolgen. Sie können Ihren Abgeordneten Fragen stellen, so wie Sie dies gerade getan haben. Sie können Ihren Abgeordneten im Parlament besuchen und sich vor Ort einen eigenen Eindruck verschaffen. Verschaffen Sie sich Gehör, gehen Sie wählen.
Mit den besten Grüßen,
Ihr
Karl-Heinz Florenz