Frage an Karl-Heinz Florenz von Herbert D. bezüglich Recht
Werter Herr Florenz,
die Insel Lampedusa ist in den Medien z.Z. sehr präsent und zu einem Mahnmal für die Europäische Union geworden. Zahlreiche Flüchtlinge aus Afrika sind - wieder einmal - grausam im Meer zu Tode gekommen, darunter auch Kinder.
Solche unnötigen Vorfälle mit Todesfolgen zeigen die Verrohung unserer wohlhabenden Gesellschaft. Erst die Menschen in Afrika (und anderen Entwicklungs- und Schwellenländern) ermöglichen der begüterten und oft ignoranten Bevölkerung in der EU ein auskömmliches und bequemes Leben ( http://www.heise.de/tp/artikel/38/38985/1.html ). Die derzeitige Flüchtlingspolitik der EU zeigt, dass all die Werte, welche die Europäische Union vorgibt zu präsentieren, spätestens vor den Toren Europas enden ( http://pakhtunkhwa911.wordpress.com/2013/10/03/festung-europa/ ).
Herr Florenz, Sie als Christ werden mir doch zustimmen,dass eine reiche Region wie die EU (und da besonders Deutschland) Solidarität mit den verzeifelten Menschen aus Afrika zeigen und eine humane Flüchtlings- und Aufnahmepolitik betreiben muss?
Da wir EU-Bürger die Rohstoffe (Erdöl, Seltene Erden, Nahrungsmittel, Landgrabbing - http://www.taz.de/!100749/ ,...) und Arbeitskraft der Afrikaner für unseren Wohlstand (aus)nutzen und die damit zusammenhängende Umweltzerstörung tolerieren, haben wir auch eine Verantwortung für diese Menschen zu übernehmen.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die afrikanischen Flüchtlinge mit Menschlichkeit und Solidarität von der gesamten EU aufgenommen werden?
Wie kann die EU und Deutschland Sorge tragen, dass die Menschen in Afrika lebenswerte und demokratische Bedingungen vorfinden und so erst gar nicht nach Europa flüchten müssen?
Sind Sie nicht auch der Meinung, dass die bisherige Entwicklungspolitik der EU und Deutschlands gescheitert ist?
Es schrieb Ihnen aus Kleve
Herbert Derksen
Sehr geehrter Herr Derksen,
zunächst einmal freue ich mich, dass Sie sich wieder, dieses Mal über dieses Forum, mit einer Frage an mich wenden.
Sie sprechen dieses Mal die Tragödie vor Lampedusa an, bei der mittlerweile über 250 Tote zu beklagen sind. Das Europäische Parlament hat zu Beginn dieser Plenartagung eine Schweigeminute eingelegt. Im Gedenken an die vielen Opfer dieser Tragödie wurde zudem auch eine Lichterkette gebildet. Das Flüchtlingsboot, das vergangene Woche verunglückte, war jedoch bei Weitem nicht das erste ... leider kommt es immer wieder zu derartigen Vorfällen.
Ich halte es für einen großen Schritt, dass das Europäische Parlament dieses Thema so deutlich verfolgt. Es handelt sich hier um eine europäische Verantwortung, der wir uns alle gemeinsam stellen müssen.
Sie appellieren an mein Christsein, doch darf ich Ihnen versichern, dass jeder Mensch - egal ob Christ oder Atheist - hier Verantwortung trägt. Um diese Verantwortung widerzuspiegeln, debattiert das EU-Parlament heute zu diesem Themenkomplex - auf besonderen Antrag - mit Rat und Kommission. Ab etwa 18 Uhr wird die Debatte stattfinden; Sie können diese, wie jede Debatte im EU-Parlament, auch online mitverfolgen unter diesem Link: http://www.europarl.europa.eu/sed/video.do?vl=de.
Sie fordern, dass die EU und Deutschland Sorge tragen müssen, dass Menschen in Afrika lebenswerte und demokratische Bedingungen vorfinden und so erst gar nicht nach Europa flüchten müssen. Mit dieser Forderung haben Sie sicher Recht, doch gilt dies für die langfristige Perspektive - derartige Veränderung brauchen ihre Zeit. Die EU ist sehr aktiv in Afrika und macht sich auf vielerlei Art und Weise im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensumstände stark, jedoch glaube ich, dass wir uns neben dieser langfristigen Perspektive auch um die unmittelbar vor uns stehende Masse an Flüchtlingen kümmern müssen. Wir sollten die Gründe, aus denen Menschen ihre Heimat verlassen, nie als leichtfertig abtun. Andererseits können wir als Europa natürlich auch die Türen nicht einfach für jeden öffnen: Gerade in Südeuropa haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von teils 50 % - erheblich mehr Zuwanderer würden diese Probleme unter Umständen verschlimmern.
Patentlösungen sind kaum möglich - es bedarf einer ganzen Reihe an Maßnahmen. Zum Beispiel brauchen wir eine engere Kooperation von Mitgliedstaaten untereinander, auch und gerade mit FRONTEX, der Außengrenzen-Agentur der EU. Wir brauchen hier eine europaweit einheitliche, gemeinsame Politik! Wir sollten auch noch massiver gegen Schleuser vorgehen, denn sie sind es, die mit diesen Tragödien Profit machen! Zudem sollten wir finanzielle Mittel, etwa über den Flüchtlingsfonds, aufstocken und besser verteilen. Einer meiner Kollegen sagte zudem, dass wir eine andere Kultur brauchen, eine Kultur des Hinsehens, des Rettens und nicht eine Kultur des Wegschauens und der Abwehr. Ich stimme ihm da zu! Dass zum Beispiel, wie nun bekannt wurde, Fischer, die Flüchtlingen helfen, Gefahr gehen, sich der Schlepperei schuldig zu machen, kann nicht für das Europa stehen, das ich vertrete!
Bitte lassen Sie mich zum Abschluss noch eines zur Debatte hinzufügen: In den Medien ist dieser Tage oft davon zu lesen, dass die anderen EU-Mitgliedstaaten Italien mit diesem Ansturm an Asylbewerbern alleine lassen würden und selbst nur wenige Asylbewerber aufnehmen würden. Dazu möchte ich gern einige Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingshilfe anführen: 2012 verzeichnete Deutschland mit 77.500 (d.h. 23 % aller registrierten Bewerber in der EU) die höchste Anzahl an Asylbewerbern, gefolgt von Frankreich (60.600, 18 %), Schweden (43.900, 13 %), Großbritannien (28.200, 8 %) und Belgien (28.100, 8%). Auf diese 5 Mitgliedstaaten entfielen mehr als 70 % aller 2012 in der EU registrierten Asylbewerber. Italien verzeichnete dem gegenüber 15.715 (5%) Asylbewerber, d.h. es nahm „nur“ den 8. Platz im Ranking der Mitgliedstaaten ein und verzeichnete einen signifikanten Rückgang um 50 % im Vergleich zum Vorjahr.
Sie sehen: Die Situation ist alles andere als einfach und ich kann Ihnen kein Patentrezept, keine Wunderlösung versprechen. Was ich jedoch versprechen kann, ist, dass meine Kollegen und ich - sowie die Mitgliedstaaten der EU allgemein - sich der Verantwortung und der Tragweite dieser tagtäglichen Tragödie bewusst sind und dem entsprechend in allen möglichen Foren und über alle möglichen Wege gemeinsam an einer Verbesserung arbeiten. Wir werden die Mitgliedstaaten unmissverständlich auffordern, glaubhaft zu handeln, und sind uns bewusst, dass ansonsten die Bürger Europas der "Idee Europa" den Rücken kehren werden.
Mit den besten Grüßen,
Ihr Karl-Heinz Florenz MdEP