Frage an Karl Diller von John P. bezüglich Senioren
Sehr geehrter Herr Dillner,
es ist sehr ruhig um das Thema Ost-Renten geworden.Wann will man diese eigentlich einmal angleichen?Monatlich erhalte ich ca 200 Euro weniger als wäre mir die Gnade zu teil geworden und ich wäre Altbundesbürger. Zahlen wir Rentner im Osten auf diese Weise die Kosten für die Wiedervereinigung zurück?Wie lange muß man sich eigentlich noch als Mensch zweiter Klasse fühlen ? Womit wird diese niedrigere Rente eigentlich offiziell begründet?
Wäre Ihnen sehr dankbar wenn ich auf diese dringenden Fragen unserer Zeit eine umfassende Antwort erhielte.
Mit freundlichen Grüßen
John Paetke
Sehr geehrter Herr Paetke,
da Sie um eine umfassende Antwort gebeten haben, komme ich erst jetzt dazu, Ihnen zu antworten.
Die Menschen in meinem Wahlkreis empfinden das Niveau der Ost-Renten völlig anders als Sie, insbesondere nachdem ihnen bekannt wurde, welche Beträge in den neuen Bundesländern gezahlt werden. Meine Bemühungen um objektive Betrachtung, z.B. mein Hinweis auf das Schicksal, in zwei Diktaturen gelebt zu haben, meine Hinweise auf unterschiedliche Lebensläufe von Frauen in Ost und West u.a.m. erreichen oft leider nur
die Köpfe der Zuhörerinnen und Zuhörer, können aber ihre Emotionen nicht überwinden.
In der Tat, zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung bestehen immer noch unterschiedliche Rentenwerte in Ost und West.
Ich beginne mit einem Blick auf den Stichtag 30. Juni 1990. Damals lag die monatliche Eckrente in den alten Ländern bei knapp 1.616 DM. Im Osten lag sie zwischen 470 bis 602 Mark. Der Verhältniswert neue Länder zu alte Länder lag damit damals zwischen 29,1 bis 37,3 %.
Einen Tag später, zum 1. Juli 1990 stellte sich das Bild schon anders dar. Knapp 1.667 DM (West) standen 672,- DM (Ost) gegen?ber. Damit ergab sich ein Verhältniswert von 40,3 %. Bis zum 1. Juli 1993 kam es in den neuen Ländern zu zweistelligen Angleichungsraten, so dass am 1. Juli 1993 bereits ein Verhältniswert zum Westen von 72,3 % erreicht war. Dies beweist den beispielhaften Einigungsprozess in Deutschland.
Die Angleichung sollte, so die damals beschlossene gesetzliche Grundlage, der Lohnentwicklung in Ostdeutschland folgen. Vor dem Hintergrund niedriger Einkommen in den neuen Ländern galt ergänzend eine Höherwertung der Einkommen in den neuen Ländern bei der Ermittlung der jährlichen Entgeltpunkte. Diese Berechnungsgrundlage hat dazu geführt, dass sich der Verhältniswert der Eckrente der neuen Länder gegenüber den alten Ländern bis zum 1. Juli 2008 auf 88,1 % annäherte. Aufgrund der geringeren Lohnentwicklung im Osten ist dieser Proze? in den letzten Jahren langsamer verlaufen.
Wissen muss man, dass die Beitragseinnahmen in den neuen Ländern gegenwärtig immer noch nicht ausreichen, um die Rentenausgaben für die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Ländern zu finanzieren - darauf weisen die Menschen in meinem Wahlkreis immer wieder hin. Der Finanztransfer von West nach Ost lag 2004 bei rund 13.100.000.000 Euro. Er dürfte im letzten Jahr rund 14 Milliarden Euro betragen haben.
Die Angleichung der Renten in den neuen Ländern an die Renten in den alten Ländern ist nach dem Angleichungsmechanismus, der mit dem Renten-Überleitungsgesetz angelegt ist, von der tatsächlichen Angleichung der Löhne und Einkommen der aktiv Beschäftigten in den neuen Ländern abhängig. Für die Rentenberechnung gilt deshalb bis zur Angleichung der Lohn- und Einkommensverhältnisse für Beitragszeiten in den neuen Ländern ein geringerer aktueller Rentenwert als für Beitragszeiten im Westen.
**Dennoch haben ostdeutsche Versicherte gegenwärtig ein günstigeres Verhältnis der Beiträge zu den Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung als Versicherte in den alten Ländern - auch darüber regen sich die Menschen in meinem Wahlkreis auf. Denn der Rentenwert West ist zwar aktuell 14 Prozent höher als der Rentenwert Ost - die in
den neuen Ländern versicherten Arbeitsverdienste werden jedoch hochgerechnet! Maßgebend dafür ist der Abstand des Durchschnittsverdienstes West zum Durchschnittsverdienst Ost, der aktuell rund 18 Prozent beträgt. Der Vorteil beim
Beitrags-/Leistungsverhältnis liegt somit bei rund 4 Prozent.
**Bei den Diskussionen mit den Bürgerinnen und Bürgern meines Wahlkreises verweisen diese übrigens darauf, dass die Löhne in der Region Trier zu ihren Lebzeiten immer in einer zweistelligen Größenordnung unter den Löhnen lagen, die für die gleiche Arbeit z.B. im Raum Frankfurt bezahlt wurden. Dieser Unterschied setzt sich zu ihrem Nachteil auch in ihrem Rentenbezug fort.
Die Auswirkung der Höherwertung bedeutet - bezogen auf das Jahr 2007 - beispielsweise, dass ein Versicherter in Kiel für dieses Arbeitsjahr aus einem Bruttoverdienst von 25.295 Euro eine monatliche Bruttorente von 22,19 Euro und ein Versicherter in Rostock mit gleich hohem Lohn eine monatliche Bruttorente von 23,09 Euro erzielt! Von dieser Höherwertung profitieren übrigens auch diejenigen, deren Löhne tariflich bereits angeglichen sind.
Eine aktuelle Angleichung der Ostrenten würde zu höheren Rentenzahlungen für alle Ostrenten führen. Deshalb ist es sinnvoll, auch einen Blick auf die tatsächlichen Rentenzahlbeträge und nicht nur auf den Rentenwert zu werfen.
**Der durchschnittliche monatliche Rentenzahlbetrag der laufenden Renten in den neuen Ländern übersteigt den durchschnittlichen Rentenzahlbetrag in den alten Ländern! Bei Männern in den alten Ländern lag er zum 1. Juli 2007 bei rund 951 Euro und in den neuen Ländern bei rund 994 Euro. Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag bei Frauen in den alten Ländern lag bei rund 478 Euro und in den neuen Ländern bei rund 666 Euro.
**Berücksichtigt man das gleichzeitige Zusammentreffen mehrerer Renten, wie zum Beispiel einer Altersrente und einer Witwenrente, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Rentner in den alten Ländern erhalten im Durchschnitt rund 953 Euro, Rentner in den neuen Ländern dagegen rund 1.004 Euro. Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag bei Rentnerinnen in den alten Ländern liegt bei rund 650 Euro und in den neuen Ländern bei
rund 848 Euro.
**Werden neben Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch Einkommen aus anderen Alterssicherungssystemen und sonstige Einkommen mitberücksichtigt, zeigt sich allerdings ein höheres Gesamteinkommen im Westen. Nur: Dies ist im Westen regional höchst unterschiedlich ausgeprägt! Nach einer Studie verfügten Ehepaare mit Bezugspersonen ab 65 Jahren im Jahr 2007 in den alten Ländern über ein monatliches
Nettoeinkommen von 2.350 Euro, in den neuen Ländern von durchschnittlich 1.937 Euro. Bei den alleinstehenden Frauen ist der Unterschied am geringsten und liegt bei rund 50 Euro zugunsten der Frauen im Westen.
Soviel zur aktuellen Lage.
Würde man nun Ihrer Forderung nachkommen und den aktuellen Rentenwert (Ost) von 23,34 Euro auf den Betrag des aktuellen Rentenwerts West von 26,56 Euro anheben, dann würde sich der Unterschied zwischen den Zahlbeträgen in Ost und West weiter erhöhen! Die durchschnittliche Altersrente von Männern würde von 994 Euro auf 1.131 Euro steigen und damit nicht mehr 43 Euro, sondern 180 Euro über dem entsprechenden
Zahlbetrag im Westen liegen!
Die Erhöhung müsste aber auch finanziert werden: Bei einer sofortigen, von der Lohnentwicklung in den neuen Ländern abgekoppelten Anhebung des aktuellen Rentenwerts Ost auf den Westwert entstünden Mehrausgaben von rund 6.000.000.000 Euro jährlich. Wer soll diese 6 Milliarden Euro jährlich aufbringen? Alle Beitragszahler, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber? Das würde geringere Nettoeinkommen bei den Arbeitnehmern und höhere Lohnnebenkosten bei den Arbeitgebern verursachen und damit Arbeitsplätze kosten. Wollte man stattdessen die 6 Milliarden Euro durch höhere
Steuern aufbringen, wäre dies fast die Größenordnung eines Prozentpunktes der Mehrwertsteuer.
Auch ein Wegfall der Höherwertung kann keinen Finanzierungsbeitrag leisten, denn die Einsparungen würden dadurch erst langfristig und langsam aufwachsend entstehen.
**Ihr nachvollziehbarer Wunsch, fast 20 Jahre nach der Einheit zu einem einheitlichen Rentensystem zu kommen, ist also nicht einfach zu realisieren. Es gibt dazu Vorschläge und Überlegungen, zuletzt auch vom Sachverständigenrat. Sie betreffen die Renten im Osten und im Westen. Bundesminister Scholz wurde deshalb im Kabinett gebeten, Vorschläge für eine Angleichung der Rentenwerte Ost - West zu prüfen.
Wie gesagt, eine einfache Lösung wird es in dieser Frage nicht geben können. Wir suchen nach einer Lösung, welche die Interessen aller Beteiligten in Ost und West angemessen austariert.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Diller, MdB