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Frage von Heino G. •

Frage an Karin Evers-Meyer von Heino G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Bei den Haushaltsplänen der Bundesregierung wurd unter anderem immer vom Verteidigungshaushalt gesprochen. Dies bedeutet für mich, dass die Kosten die hier eingeplant werden, nur für die Verteidigung unserer Landesgrenzen gedacht sind und, sofern der Fall eintritt, wir aufgrund unseres Natobündnisses gezwungen sind, unseren Partnern bei einem Angriff auf ihr Land zu Hilfe kommen müssen.
Was hat aber dieses zum Beispiel mit dem Auslandseinsatz in Afghanistan, im Kongo, am Horn von Afrika oder vor der Grenze des Libanon zu tun? Hier sehe ich die Notwendigkeit absolut nicht . Ich sehe diese Einsätze als Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder an, die wir un schon immer verboten haben. Man kann keine Demokratie in anderen Ländern erzwingen geschweige anderen Bevölkerungen von aussen verordnen. Wie oft will wohl unser Verteidigungsminister noch eine Trauerrede vor den Hinterbliebenen halten?

Wenn wir so weitermachen, sollte er die Rede nicht vernichten. Er braucht nur die Namen der Gefallenen auszutauschen. Ich kann nicht verstehen, wie die SPD solchen Einsätzen zustimmen kann. Ich bin einmal neugierig, wie Sie mir den Begriff "Verteidigungshaushalt" erläutern und ob Sie einer Verlängerung aller Auslandseinsätze bzw. neuer Einsätze weiter zustimmen. Ich habe das Gefühl, dass wir nur deshalb dort überall mitmischen, damit wir, sofern es zu einer Befriedung in den Regionen kommt, uns an den dann zu vergebenden Wiederaufbauaufträgen beteiligen können. Solche Pläne wurden ja schon von den USA im Bezug auf den Irak ins Spiel begracht und die Bundesrepublik Deutschland von derartigen Aufträgen ausgeschlossen, da wir uns , und da sei Schröder Dank, nicht beteiligt haben. Die Bundeswehr als Wegbereiter für "Hoch-Tief, Thyssen-Krupp, Siemens usw."??

Mit freundlichen Grüßen
H. Geiger

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Geiger,

die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden in der Öffentlichkeit kritisch besprochen. Dabei wird immer wieder gefragt, ob diese Auslandseinsätze auch im Kampf gegen Terrorismus oder zur Stabilisierung gefährdeter Staaten und Regionen mit dem Grundgesetz und dem ursprünglichen Auftrag der Bundeswehr vereinbar sind. Richtig ist: Die Bundeswehr wurde zunächst als Armee zur Landesverteidigung aufgestellt. Sie war allerdings von Anfang an in internationale Bündnisse eingebunden. Diese Bündnisse sahen in Zeiten der Blockkonfrontation die gemeinsame Verteidigung gegen einen möglichen Angriff aus dem Ostblock vor. Nach dem Ende des "Kalten Krieges" besteht diese Bedrohung nicht mehr. An die Stelle der alten, eindimensionalen Bedrohung durch die Staaten des "Warschauer Pakts" sind vielfältige Herausforderungen und Gefahren für die Sicherheit Deutschlands getreten. Dazu gehören ganz wesentlich Bedrohungen wie der internationale Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder der Zerfall von Staaten.

Bis Anfang der 1990er Jahre beschränkte sich die rechtliche Legitimation auf den Verteidigungsauftrag gemäß Artikel 87a des Grundgesetzes. Die Bundeswehr konnte nur zur Landesverteidigung oder innerhalb des NATO-Bündnisses eingesetzt werden. Im Jahr 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht jedoch, dass die Bundeswehr auch außerhalb des Bündnisgebiets ("out of area") eingesetzt werden kann. Voraussetzung ist, dass es sich bei diesen Einsätzen um Aufträge im Rahmen kollektiver oder gemeinsamer Sicherheitssysteme, z.B. der Vereinten Nationen (VN), handelt. Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme ist Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes.

Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass die Einsätze der Bundeswehr auch in Afghanistan gerechtfertigt sind.

1. Ausgangslage
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 führten der Welt eine neue Dimension terroristischer Gefahren vor Augen: Anders als die meisten ihrer "traditionellen" Vorläufer, schickten die Al Qaida-Terroristen keine konkreten Forderungen voran, sondern schlugen ohne Vorwarnung zu. Der 11. September lehrte uns, dass auch mit ganz konventionellen Mitteln tausendfacher Mord begangen und Schäden in Milliardenhöhe verursacht werden können. Möglich wurden diese Anschläge auch, weil sich Afghanistan unter der 22jährigen Herrschaft der fundamental-islamistischen Taliban zu einem Rückzugsraum für Terroristen entwickelt hatte. In diesen 22 Jahren herrschten in Afghanistan Krieg und Bürgerkrieg. Bis heute leidet das Land unter den typischen Folgen wie schweren Zerstörungen, Verminung ganzer Landstriche, Korruption, ethnisch motivierten Spannungen und organisierter Kriminalität.

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes einigten sich die größten ethnischen Gruppen Afghanistans im Dezember 2001 auf der Petersberger Konferenz auf eine "Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen"(sog. Bonner Vereinbarung). Damit schufen sie die Grundlage für die Internationale Sicherheitsunterstützungs-Truppe (International Security Assistance Force - ISAF), deren Aufstellung der VN-Sicherheitsrat am 20. Dezember 2001 beschloss. ISAF soll im Auftrag der Vereinten Nationen die mittlerweile demokratisch gewählte afghanische Regierung bei der Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit unterstützen. Darüber hinaus hilft sie bei der Auslieferung humanitärer Hilfsgüter und der geregelten Rückkehr von Flüchtlingen. Die 37 teilnehmenden Mitgliedsstaaten wurden von den VN ermächtigt, „alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.“ Damit sind auch Kampfeinsätze gegen militante Gegner der ISAF-Schutztruppe gemeint.

Der Kampf gegen das terroristische Netzwerk Al Qaida und gegen die aufständischen Taliban ist bis heute nicht abgeschlossen. Dieser Kampf ist Aufgabe der Operation ENDURING FREEDOM (OEF). OEF und die NATO-Einsätze im Rahmen der Operation "Active Endeavour" sollen am Horn von Afrika und im Mittelmeer Terroristen die Verbindungswege für Waffennachschub abschneiden und die Seewege vor Anschlägen absichern. Gleichzeitig schützen sie diese - gerade für Deutschland als Exportnation - strategisch wichtigen Handelswege auch vor Piraterie und Schmuggel. Seit dem Beginn dieser Missionen sind die internationalen Schifffahrtsrouten sehr viel sicherer geworden. Ein Erfolg, der sich u.a. daran ablesen lässt, dass der größte Versicherer von Reedereien, Lloyds, erstmals seit Jahren die Höhe der Versicherungsgebühren gesenkt hat.

Die Bundesregierung gehörte gleich von Beginn an zu den wichtigsten internationalen Akteuren beim Wiederaufbau Afghanistans. Ein Grund dafür ist die traditionelle Verbundenheit mit dem Land, die bis heute für einen guten Ruf der Deutschen sorgt. Deutschland hat seither einen erheblichen Beitrag zum Wiederaufbau in Afghanistan geleistet. Der Wiederaufbau eines jeden kriegszerstörten Landes kann nur in einem sicheren Umfeld gelingen. Es hat sich in den vergangenen Jahren leider immer wieder gezeigt, dass 22 Jahre Bürgerkrieg und Taliban-Herrschaft nicht schnell überwunden werden können. Die Organisation der früheren Taliban, die über zwanzig Jahre lang ein Schreckensregime geführt haben, ist zwar weitgehend zerstört. Aber es es immer wieder Anschläge auf zivile Einrichtungen, wie Schulen, Kraftwerke oder die Polizei. Mit diesen Anschlägen versuchen die Gegner des Aufbaus, die Bevölkerung zu zermürben und die unbestreitbaren Erfolge zunichte zu machen. Und es gibt immer wieder Attentate auf gewählte Politiker und Militäreinrichtungen. Die Bundeswehr leistet in Afghanistan einen unverzichtbaren Dienst: Sie sichert den Prozess der Stabilisierung und des Wiederaufbaus militärisch ab.

Wir haben schon viel erreicht:
80 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu medizinischer Versorgung. Sechs Millionen Kinder gehen wieder zur Schule, davon erstmals 40 Prozent Mädchen. Allein Deutschland hat u.a. für mehr als 2,5 Millionen Menschen in Kabul die Stromversorgung gesichert.
Insgesamt hat die internationale Gemeinschaft bislang etwa 20 Milliarden US-Dollar für den zivilen Wiederaufbau Afghanistans zur Verfügung gestellt. Das Geld wurde in erster Linie für den Bau der Infrastruktur verwendet, also Schulen, Straßen, Stromnetze, Trinkwasserversorgung etc. Als sichtbarstes Zeichen sind seither über fünf Millionen Flüchtlingen in ihre Heimat zurückgekehrt.

2. Rechtliche Grundlagen
OEF: Der VN-Sicherheitsrat hat in seiner Resolution 1368 (2001) die Anschläge vom 11.September verurteilt. In späteren Resolutionen haben die VN die Rolle von OEF in Afghanistan ausdrücklich gewürdigt (z. B. in der Resolution 1623 aus dem Jahr 2005). In anderen Resolutionen (z. B. 1444 aus dem Jahr 2002) werden die „internationalen Anstrengungen zur Bekämpfung des Terrorismus im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen“ unterstützt. Die Beteiligung an OEF hat der Bundestag am 16.11.2001 beschlossen.

ISAF: Am 22.12.2001 hat der Bundestag die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der VN-mandatierten ISAF-Mission beschlossen. Nach dem Einsatz im Kosovo ist ISAF damit die zweitgrößte Auslandsmission der Bundeswehr. Der Beschluss zum Einsatz der Aufklärungstornados, die die Sicherheit der ISAF-Truppen verbessern helfen, stammt vom 09.03.2007.
Behauptungen, die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan seien völkerrechtswidrig, da die Kampfeinsätze der USA und anderer nicht von der VN mandatiert seien, sind schlicht falsch und entbehren jeder rechtlichen Grundlage. Es war und ist immer erklärtes Ziel der internationalen Staatengemeinschaft gewesen, den Terrorismus gemeinsam mit legitimen Mitteln zu bekämpfen. Auch Deutschland hat Interesse daran zu verhindern, dass Afghanistan wieder zum Ausbildungscamp internationaler Terroristen wird.

3. Bestehende Probleme
Klar ist: gegen Selbstmordattentate, ferngezündete Sprengsätze und Minen, können wir mit militärischen Mitteln allein nichts ausrichten. Die zentralen Herausforderungen in und für Afghanistan sind und bleiben politischer Art. Wir setzen deshalb auf einen ganzheitlichen Ansatz. Die Bundesregierung hat schon frühzeitig gemeinsam mit den vier beteiligten Ministerien (Auswärtiges Amt, Bundesministerium der Verteidigung, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung , Bundesministerium des Innern) ein politisches Konzept zu Afghanistan entwickelt. Dieses Konzept bündelt die verschiedenen, zivilen und militärischen Maßnahmen, mit denen wir Afghanistan unterstützen. Der Ansatz einer zivil-militärischen Zusammenarbeit wurde während des NATO-Gipfels in Riga 2006 auch von den anderen Verbündeten als wegweisend anerkannt und auf dem Außenministertreffen am 26. Januar 2007 bestätigt.

Der Deutsche Bundestag entscheidet regelmäßig darüber, ob die Auslandseinsätze der Bundeswehr verlängert werden. Wir prüfen bei jedem Einsatz, ob dieser an die Veränderungen im Einsatzland angepasst werden muss. Selbstverständlich prüfen wir dabei auch, ob der Einsatz weiterhin notwendig ist und mit unsere Verfassung im Einklang steht. Sollten meine eventuell bestehenden Bedenken zu einem der Einsätze vor einer solchen Abstimmung nicht ausgeräumt werden, werde ich auch nicht zustimmen.

Mit freundlichen Grüßen
Karin Evers-Meyer