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Julia Verlinden
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Karin W. •

Frage an Julia Verlinden von Karin W. bezüglich Staat und Verwaltung

Ich habe davon gehört, dass der Bundesvorstand der GRÜNEN die Einführung der direkten Demokratie auf Bundesebene nach mehr als 40 Jahren aus dem Grundsatzprogramm streichen will. Warum? Es erschien mir ein wichtiger Grundpfeiler der grünen Poltik zu sein, Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie zu stärken, wozu Volksentscheide sicher gehören. Warum sollten die GRÜNEN einen wichtigen Baustein aus ihrem Programm streichen uns so noch mehr Profil verlieren?
Ich finde, die GRÜNEN haben sich schon in zu vielen Punkten zu sehr den anderen grossen Parteien angeglichen. Wäre es nicht Zeit, zurück zu einem markanten eigenen Standpunkt zu finden?
Wie stehen Sie dazu und wofür werden Sie sich auf dem digitalen Parteitag einsetzen?
Herzliche Grüße, K. W.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau W.,

vielen Dank für Ihre Anfrage zu diesem sehr wichtigem Thema, denn die Frage wie wir Demokratie gestalten und leben hat tatsächlich Auswirkungen auf alle anderen Politikbereiche.
Leider komme ich erst jetzt dazu, Ihre Anfrage zu beantworten, nachdem der Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen das neue Grundsatzprogramm schon beschlossen hat. Sie finden es online unter folgendem Link (https://cms.gruene.de/uploads/documents/20201124_vBeschluss_GSP.pdf).

Aber natürlich möchte ich Ihnen trotzdem den Prozess erläutern.
Als Grüne sind wir bereits seit unserer Parteigründung basisdemokratisch aufgestellt. So ist es zwar formal richtig, dass unser Bundesvorstand den Entwurf zum Grundsatzprogramm eingebracht hat, welches keine explizite Forderung nach direktdemokratischen Entscheidungsprozessen wie Volksbegehen und Volksentscheiden auf Bundesebene enthält. Allerdings wurde dieser Entwurf nicht allein vom Bundesvorstand geschrieben, sondern ist in einem mehrjährigen Prozess mit Interessierten und engagierten Parteimitgliedern entstanden. Beschlossen wurde der Entwurf zudem von der Bundesdelegiertenkonferenz und nicht vom Vorstand, wobei zudem über zahlreiche Änderungsanträge abgestimmt worden ist. So auch über den Antrag, bundesweite Volksentscheide ins Grundsatzprogram aufzunehmen, der allerdings mit nur 46,4 % der Stimmen nicht die erforderliche Mehrheit erhielt. Sie sehen also, dass die Entscheidung sehr knapp war. Ich selbst gehöre zu der Gruppe derjenigen, die bundesweite Volksentscheide als Form der direkten Demokratie gern im grünen Grundsatzprogramm gesehen hätte. Denn auch auf kommunaler und Landesebene werden direktdemokratische Elemente engagiert genutzt und das freut mich sehr. Man denke nur an das Volksbegehren Artenvielfalt in Niedersachsen, welches dazu geführt hat, dass die Landesregierung nun ein Gesetz erarbeitet hat, das es sonst nicht gegeben hätte. Aber manchmal entscheidet eine Mehrheit eben auch anders als nach den eigenen Präferenzen.

Bleibt die von Ihnen gestellte Frage: "Warum?". Als Grüne kämpfen wir seit Jahrzehnten für die Weiterentwicklung unserer parlamentarischen Demokratie und unserer demokratischen Verfahren und Institutionen, und wir werden das auch weiterhin tun. Deshalb wurde unsere langjährige Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden nicht ersatzlos weggelassen, sondern durch ein andere Idee ersetzt: die Bürger*innen-Räte.
Mit diesem Instrument wollen wir auch auf Bundesebene die repräsentative Demokratie bereichern und die Alltagsexpertise von Bürger*innen in den Gesetzgebungsprozess einfließen lassen. Dabei ist sicherzustellen, dass sich die Teilnehmenden frei, gleich und fair eine Meinung bilden können und ausreichend Raum für eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragestellung ermöglicht wird.
Mit den Bürger*innen-Räten entstehen öffentliche Debatten, neue Ideen, ergebnisoffene Gespräche und gemeinschaftsorientierte Diskussionen. In einer Gesellschaft, in der zunehmend nur noch in der eigenen Filterblase gelebt und diskutiert wird, kann in den Bürger*innen-Räten wieder miteinander statt übereinander gesprochen werden. Dadurch kann ein Gegengewicht geschaffen werden, das es vielleicht auch ermöglicht, die Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern.

Ich möchte Sie aber auch herzlich einladen, sich noch einmal mit unseren Standpunkten zu verschiedenen politischen Themen auseinanderzusetzen. Gerade im Bundestag bzw. als energiepolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion muss ich persönlich immer wieder feststellen, wie weit entfernt die Vorstellungen und Ziele der Großen Koalition z.B. im Bereich Energie- und Wärmewende von denen der Grünen sind. Und das ist auch bei vielen anderen Themen der Fall.

Mit freundlichen Grüßen und bleiben Sie gesund
Julia Verlinden

 

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