Portrait-Foto von Julia Verlinden
Julia Verlinden
Bündnis 90/Die Grünen
95 %
42 / 44 Fragen beantwortet
Frage von Rolf W. •

Frage an Julia Verlinden von Rolf W. bezüglich Recht

Liebe Julia Verlinden,

vor einigen Tagen habe ich erfahren, dass offenbar beabsichtigt ist, das bisher im Grundsatzprogramm enthaltene Eintreten der Partei für die Einführung von Volksbstimmungen aus dem Programm zu streichen.

Das hat mich sehr erstaunt, denn für mich sind die Grünen seit ihrer Entstehung aus außerparlamentarischen Bürgerbewegungen die Partei, die sich am entschiedensten für die Stärkung von Bürgerrechten und eine breite Mitwirkung der Bürger an politischen Entscheidungen eingesetzt hat. Dieses Anliegen gehört für mich gewissermaßen zum Markenkern der Grünen.

Ich wüsste gern, wie deine Position zu diesem Thema ist und ob du bereit bist auf dem anstehenden digitalen Parteitag für die Erhaltung dieses Punktes im Grunsatzprogamm einzutreten.

Mit besten Grüßen
Rolf Wilkens

Portrait-Foto von Julia Verlinden
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber R. W.,

vielen Dank für Deine Anfrage zu diesem sehr wichtigem Thema, denn die Frage wie wir Demokratie gestalten und leben hat tatsächlich Auswirkungen auf alle anderen Politikbereiche.

Leider komme ich erst jetzt dazu, Deine Anfrage zu beantworten, nachdem der Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen das neue Grundsatzprogramm schon beschlossen hat. Du findest es es online unter folgendem Link (https://cms.gruene.de/uploads/documents/20201124_vBeschluss_GSP.pdf).

Aber natürlich möchte ich Dir trotzdem den Prozess erläutern.

Als Grüne sind wir bereits seit unserer Parteigründung basisdemokratisch aufgestellt. So ist es zwar formal richtig, dass unser Bundesvorstand den Entwurf zum Grundsatzprogramm eingebracht hat, welches keine explizite Forderung nach direktdemokratischen Entscheidungsprozessen wie Volksbegehen und Volksentscheiden auf Bundesebene enthält. Allerdings wurde dieser Entwurf nicht allein vom Bundesvorstand geschrieben, sondern ist in einem mehrjährigen Prozess mit Interessierten und engagierten Parteimitgliedern entstanden. Beschlossen wurde der Entwurf zudem von der Bundesdelegiertenkonferenz und nicht vom Vorstand, wobei zudem über zahlreiche Änderungsanträge abgestimmt worden ist. So auch über den Antrag, bundesweite Volksentscheide ins Grundsatzprogram aufzunehmen, der allerdings mit nur 46,4 % der Stimmen nicht die erforderliche Mehrheit erhielt. Sie sehen also, dass die Entscheidung sehr knapp war. Ich selbst gehöre zu der Gruppe derjenigen, die bundesweite Volksentscheide als Form der direkten Demokratie gern im grünen Grundsatzprogramm gesehen hätte. Denn auch auf kommunaler und Landesebene werden direktdemokratische Elemente engagiert genutzt und das freut mich sehr. Man denke nur an das Volksbegehren Artenvielfalt in Niedersachsen, welches dazu geführt hat, dass die Landesregierung nun ein Gesetz erarbeitet hat, das es sonst nicht gegeben hätte. Aber manchmal entscheidet eine Mehrheit eben auch anders als nach den eigenen Präferenzen.

Als Grüne kämpfen wir seit Jahrzehnten für die Weiterentwicklung unserer parlamentarischen Demokratie und unserer demokratischen Verfahren und Institutionen, und wir werden das auch weiterhin tun. Deshalb wurde unsere langjährige Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden nicht ersatzlos weggelassen, sondern durch ein andere Idee ersetzt: die Bürger*innen-Räte.

Mit diesem Instrument wollen wir auch auf Bundesebene die repräsentative Demokratie bereichern und die Alltagsexpertise von Bürger*innen in den Gesetzgebungsprozess einfließen lassen. Dabei ist sicherzustellen, dass sich die Teilnehmenden frei, gleich und fair eine Meinung bilden können und ausreichend Raum für eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragestellung ermöglicht wird.

Mit den Bürger*innen-Räten entstehen öffentliche Debatten, neue Ideen, ergebnisoffene Gespräche und gemeinschaftsorientierte Diskussionen. In einer Gesellschaft, in der zunehmend nur noch in der eigenen Filterblase gelebt und diskutiert wird, kann in den Bürger*innen-Räten wieder miteinander statt übereinander gesprochen werden. Dadurch kann ein Gegengewicht geschaffen werden, das es vielleicht auch ermöglicht, die Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern.

Ich möchte Dich aber auch herzlich einladen, Dich noch einmal mit unseren Standpunkten zu verschiedenen politischen Themen auseinanderzusetzen. Gerade im Bundestag bzw. als energiepolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion muss ich persönlich immer wieder feststellen, wie weit entfernt die Vorstellungen und Ziele der Großen Koalition z.B. im Bereich Energie- und Wärmewende von denen der Grünen sind. Und das ist auch bei vielen anderen Themen der Fall.

Mit besten Grüßen, bleib gesund!

Julia Verlinden

Was möchten Sie wissen von:
Portrait-Foto von Julia Verlinden
Julia Verlinden
Bündnis 90/Die Grünen