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Julia Verlinden
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Frage von Mario E. •

Frage an Julia Verlinden von Mario E. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Verlinden!

Ich beziehe mich auf einen Fernsehbericht aus der vergangenen Woche, in dem in einem Nebensatz erwähnt wurde, daß die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen und anderen Asylbewerbern in Deutschland voll durch die gesetzlichen Sozialversicherungsträger finanziert wird.
Dies würde doch nichts anderes bedeuten, als daß die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten somit, ´mal wieder, 100% der Lasten zu tragen hätten. (der Arbeitgebenanteil ist ja bekanntlich gedeckelt)

Ist diese Information korrekt?

Und, wenn ja, wie rechtfertigen Sie, daß diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe wieder einmal nur uns "Pflichtversicherten" aufgebürdet wird, während diejenigen, die es sich wahrlich leisten könnten, sich über ihre Privatversicherungen aus der Verantwortung stehlen dürfen?

Und, sind hier Änderungen geplant (z.B. ein zusätzlicher Bundeszuschuß)?

Und, nicht zuletzt, halten sie dieses Verfahren für verfassungsgemäß?

Mit freundlichen Grüßen

Mario Erdmann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Erdmann,

herzlichen Dank für Ihre Frage zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen.

Schutzsuchende erhalten bei uns derzeit auf Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes nur eine medizinische Minimalversorgung zur Behandlung von akuten Notfällen und Schmerzuständen. Die Kommunen müssen in den ersten 15 Monaten des Aufenthaltes von Asylsuchenden für die Gesundheitskosten allein aufkommen.

Asylsuchende sollten aus Sicht der Grünen Bundestagsfraktion deswegen künftig gleichberechtigt in die Gesetzliche Krankenversicherung einbezogen werden. Die Behandlung durch die Krankenkassen führt nicht nur zu einer menschenwürdigen Gesundheitsversorgung. Modellversuche in Bremen und Hamburg zeigen auch, dass dies zu einem erheblichen Bürokratieabbau in Ländern und Kommunen führt.

Aufnahme und Versorgung Asylsuchender sind allerdings gesamtstaatliche Aufgaben. Es kann nicht sein, dass hierfür allein die gesetzlichen Versicherten aufkommen müssen. Deshalb sind wir von Bündnis 90/Die Grünen dafür, dass sich der Bund nachhaltig und dauerhaft an der Finanzierung dieser Aufgabe beteiligt. Ziel muss es sein, die Kommunen von den Kosten für die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen vollständig zu entlasten. Dabei sind auch die Bundesländer in der Pflicht.

Gerade für finanzschwache Kommunen ist die aktuelle Situation problematisch. Wenn die Aufnahme, die Versorgung und Begleitung von Flüchtlingen bei der Haushaltsplanung mit dem Erhalt des lokalen Schwimmbads, dem Betrieb von Turnhallen oder der Erfüllung anderer kommunaler Aufgaben konkurriert, gefährdet dies den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort. Dieser finanzielle Missstand erleichtert es Rassisten und Rechtspopulisten, Vorurteile gegen Schutzsuchende zu schüren.

Die bislang verheerende Versorgungslage für Flüchtlinge steht im Widerspruch zu menschenrechtlichen und humanitären Verpflichtungen Deutschlands: So fordert Artikel 12 des UN-Sozialpaktes das Recht eines jeden Menschen auf das erreichbar höchste Maß an Gesundheit. Zu einer besseren Versorgung verpflichtet auch die bis zum 21. Juli 2015 umzusetzende Aufnahmerichtlinie der Europäischen Union. Danach muss unter anderem Asylsuchenden mit besonderen Bedürfnissen (u. a. Kinder, Behinderte, Ältere, Menschen mit psychischen Störungen oder schweren körperlichen Erkrankungen, sowie Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben) die „erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung“ gewährt werden.

Drei Jahre, nachdem das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, dass die Menschenwürde nicht relativierbar ist, ist es längst an der Zeit, allen Menschen in Deutschland unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus die notwendigen Gesundheitsleistungen zu gewähren. Dafür sind die Diskriminierungen etwa im Asylbewerberleistungsgesetz zu beseitigen und den Schutzsuchenden von Anfang an Leistungen im Umfang der Gesetzlichen Krankenversicherung bereitzustellen.

Mit freundlichen Grüßen

Julia Verlinden

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