Frage an Julia Verlinden von Michael L. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrte Frau Verlinden,
Sie haben dankenswerterweise für eine Kennzeichnungspflicht von Gen-Honig gestimmt. Ich habe hierzu noch eine Frage.
Nach meinem Kenntnisstand stützt sich die SPD zu diesem Vorgang auf eine sog. Trilogverhandlung auf EU-Ebene, die vor dem Antrag der GRÜNEN abgeschlossen gewesen sei. Die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament habe zwar gegen das Trilogergebnis gestimmt, sei aber damit unterlegen gewesen. Inzwischen habe die SPD einen eigenen Antrag entworfen, der zur Zeit mit der CDU/CSU als Koalitionspartner abgestimmt und dann in der EU zur Abstimmung vorgelegt würde.
Frage: ich verstehe nicht, dass die SPD zuerst gegen die Trilogverhandlung gestimmt haben will, also für eine Kennzeichnungspflicht von Genhonig, dann aber im Bundestag gegen genau diese Pflicht votiert. Inwieweit hat das beschriebene Verhalten überhaupt noch etwas mit Verbraucherschutz zu tun und worum könnte es bei diesem Vorgang Ihrer Meinung nach wirklich gehen?
Vielen Dank für Ihre Antwort und
mit freundlichem Gruß
Langer
Sehr geehrter Herr Langer,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu den politischen Hintergründen, die Union und SPD dazu bewogen haben könnten, die Nicht-Kennzeichnung von Gen-Honig in Brüssel aktiv mit zu tragen und unseren Grünen Antrag für eine Kennzeichnung abzulehnen.
Dazu einige Anmerkungen:
a) In der Tat war der sogenannte "informelle Trilog" zum Zeitpunkt der Abstimmung unseres Antrags bereits abgeschlossen und die Bundesregierung hatte der Nicht-Kennzeichnung im Ausschuss der Ständigen Vertreter bereits zugestimmt. Allerdings war diese Zustimmung rechtlich noch nicht bindend. Das hat ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages bestätigt. Entscheidend war, welche Position die Bundesregierung in der Abstimmung im Rat der EU vertreten würde. Diese Abstimmung sollte nach unsere Informationen frühestens am 19./20. Mai im Agrarministerrat stattfinden. Tatsächlich hat sie nun bereits am 8. Mai ohne Ankündigung und damit an der Öffentlichkeit vorbei im Rat für Auswärtige Angelegenheiten stattgefunden.
Es ist äußerst bedauerlich, dass die SPD-Fraktion mit einer solchen Ausrede eine klare Positionierung des Bundestages für die Kennzeichnung und einen entsprechenden Abstimmungsauftrag an die Bundesregierung lange vor der tatsächlichen Abstimmung im Rat verhindert hat. Selbstverständlich haben wir in unserem Antrag gefordert, die Änderung der Honigrichtlinie im Rat abzulehnen, falls die Nicht-Kennzeichnung von Gen-Honig Bestandteil der Änderung bleibt.
Es ist ebenso bedauerlich, dass sich die SPD-geführten Ministerien (Verbraucherschutz, Umwelt, Wirtschaft) im Kabinett nicht gegen die Position der Unions-geführten Häuser gestellt haben. Denn dann hätte sich Deutschland im Ministerrat der EU enthalten müssen, statt zuzustimmen. Die Änderung der Honig-Richtlinie wäre damit höchstwahrscheinlich erstmal auf Eis gelegt worden, weil eine qualifizierte Mehrheit nicht mehr zustande gekommen wäre. Über die Kennzeichnung von Gen-Honig hätte neu verhandelt werden müssen - in einem "formellen Trilog".
Selbstverständlich ist auch zu hinterfragen, warum das CSU-geführte Landwirtschaftsministerium, das weiterhin für den Verbraucherschutz in Bezug auf Lebensmittel und Ernährung zuständig ist, kein Veto eingelegt hat. Immerhin verpasst die CSU derzeit sonst keine Gelegenheit, um auf ihre Gentechnik-kritische Haltung hinzuweisen.
b) Das Europäische Parlament musste Mitte April ebenfalls noch über die Nicht-Kennzeichnung abstimmen. Überraschungen waren dabei allerdings nicht mehr zu erwarten, nachdem der zuständige Umweltausschuss, der sich zunächst für eine Kennzeichnungspflicht eingesetzt hatte, letztlich eingeknickt war und in einer äußerst knappen Entscheidung (28 zu 25 Stimmen) die Nicht-Kennzeichnung bereits akzeptiert hatte.
Über das Abstimmungsverhalten der SPD-Abgeordneten im Umweltausschuss und im Europäischen Parlament bin ich nicht im Detail informiert, möchte Sie aber zu Nachforschungen ermuntern.
c) Der im Gen-Honig enthaltene Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen enthält das gesamte Erbgut der gentechnisch veränderten Pflanze einschließlich aller gentechnischen Veränderungen in vollständiger und unverdauter Form. Gleiches gilt für die aus den gentechnischen Veränderungen resultierenden veränderten Proteine, die im Verdacht stehen, z. B. Allergien auslösen zu können. Wer beim Honig aktiv gegen eine Kennzeichnung eintritt, dann aber, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, eine Kennzeichnung von Milch, Fleisch und Eiern von mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefütterten Tieren fordert (wo immerhin durch die Verdauungsprozesse ein weitgehender, wenn auch nicht vollständiger Abbau der veränderten Gensequenzen und Proteine erfolgt), macht sich in Brüssel politisch komplett unglaubwürdig.
d) Über den von Ihnen erwähnte "Antrag" liegen uns keine Informationen vor. Sollte es eine Kennzeichnungsinitiative der Großen Koalition geben, würde sich diese aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur auf tierische Produkte im engeren Sinne (Milch, Fleisch, Eier und deren Produkte) beziehen und nicht auf Honig. Auch wäre die Erfolgswahrscheinlichkeit einer solche Initiative aus den oben und unten genannten Gründen leider sehr gering.
e) Zu den politischen Hintergründen ist generell zu sagen, dass wir mit Angela Merkel eine traditionell Gentechnik-freundliche Kanzlerin haben und Deutschland ein wichtiger Standort und z.T. auch Heimat global agierender und einflussreicher Agrochemie-Konzerne ist, die gentechnisch veränderte Pflanzen herstellen und vermarkten. Schwerer wiegt allerdings vermutlich beim Honig noch ein anderer Einflussfaktor: Die geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) bzw. den USA (TTIP) werden ohne "Annäherung" bei der Gentechnik-Frage kaum zustande kommen. Und für die amerikanischen Handelspartner stellt jede Kennzeichnungspflicht ein "Handelshemmnis" dar. Denn die Verbraucherinnen und Verbraucher hätten ja dann die Wahl und könnten den Gentech-Honig im Regal stehen lassen - wie das in der Vergangenheit mit anderen, bereits kennzeichnungspflichtigen Produkten schon geschehen ist.
Es geht hier also aller Wahrscheinlichkeit nach mehr um die "übergeordneten Interessen" der Handelspolitik als um Verbraucherschutz.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage mit diesen Ausführungen beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Julia Verlinden MdB