Frage an Josip Juratovic von Guido S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Juratovic,
ich wende mich an Sie als Mitglied des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union und wüsste gerne ob Sie und der Ausschuss sich schon einmal mit dem Rechtsschutzstandard vor den europäischen Gerichten und insbesondere mit dem Rechtsschutz in Beamtensachen befasst haben.
Deren Praxis widerspricht meinen Rechtsstaatsempfinden völlig und ich denke es wäre lohnend, die allgemeinen Verfahrensrechte und die Gerichtspraxis im deutschen (national europäischen) Verwaltungs(Beamten)Recht einmal mit der Praxis auf europäischer Ebene zu vergleichen:
Defizitie auf europäischer Ebene sind m.E.:
- das Fehlen einer Verpflichtungsklage;
- das Fehlen des Amtsermittlungsgrundsatzes gepaart mit:
o weitgehendem Verzicht auf Beweisaufnahmen;
o massiven Präklusionsregeln;
o Beschränkungen z.B. bzgl. Anzahl und Volumen der Schriftsätze;
o hohen Formalanforderungen an Schriftsätze und deren Vollständigkeit;
o dem Informationsmonopol der Institutionen;
o hohen Beweisanforderungen (z.B. hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit von Formverstößen)
- die Tatsache, dass die Rechtsprechung nicht in allen Gemeinschaftssprachen sondern fast ausschließlich in Französisch vorliegt und der daraus resultierenden Ungleichgewichte;
- ein Befangenheitsrisiko der Richter, die ja selbst Dienstherrenaufgaben wahrnehmen;
- die Aussichtslosigkeit einstweiligen Rechtsschutzes;
- die langen Verfahrensdauern;
- das obligatorische Vorverfahren;
- die fehlende öffentliche Kontrolle der Rechtsprechung;
- …
Ich würde mich freuen wenn Sie sich das Thema einmal ansehen könnten und kann Ihnen gerne weitere Hinweise z.B. auf besonders interessante Urteile und Beschlüsse der Gerichte geben.
Sind Sie der Meinung dass dieser Rechtsschutz den Standards des Grundgesetzes und den Vorgaben des BVerfG entspricht?
Mit freundlichem Gruß
G. Strack
Sehr geehrter Herr Strack,
zuerst möchte ich mich für die lange Zeit entschuldigen, die zwischen Ihrer Frage und meiner Antwort verstrichen ist. Im Parlamentstrubel ist ihre Frage erst liegen geblieben und dann unter den Akten verschollen - aber nicht vergessen. Daher möchte ich Ihnen trotzdem eine Antwort zukommen lassen und hoffe, dass Sie weiterhin daran interessiert sind.
Ich habe im Dezember 2007 den Ausschuss gewechselt und bin seitdem Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, jedoch weiterhin auch stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
Mit dem Rechtsschutz habe ich mich in meiner Arbeit im EU-Ausschuss nicht befasst, da ich andere Aufgabenbereiche hatte und habe. Ich danke Ihnen jedoch für Ihre Anmerkungen. Ich bin kein Jurist, deswegen möchte ich aus politischer Sicht darauf eingehen.
Oft beklagt wird das so genannte Demokratiedefizit der Europäischen Union, und da sprechen Sie ja einen Teilaspekt an. Die Europäische Union ist, auch wenn sie einige Elemente davon erfüllt, kein Staat. Sondern sie hat eher den Charakter eines Staatenbundes. Damit gelten andere Ansprüche an ihre Legitimation und auch an ihre Gerichtsbarkeit. Dennoch ist es wichtig, die EU so demokratisch wie möglich und mit einem möglichst perfekten juristischen System auszustatten. Ich bin im Ausschuss für Arbeit und Soziales für die europäische Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zuständig, und somit weiß ich, wie wichtig dies ist: Ein perfekter Binnenmarkt darf nicht einem defekten Arbeitnehmerschutz und einer defekten Gerichtsbarkeit gegenüber stehen.
Zwei der von Ihnen genannten Punkte möchte ich herausgreifen: Auch ich sehe die langen Verfahrensdauern sehr kritisch. Und ich halte es für wichtig, dass alle 23 Amtssprachen als Verfahrenssprachen anerkannt sind und alle Urteile der Judikative der EU in alle Sprachen übersetzt werden und öffentlich zugänglich sind. Natürlich bedeuten 23 Amtssprachen und die breite Zuständigkeit der europäischen Gerichte einen immensen Arbeitsaufwand. Es ist nachvollziehbar, dass die europäischen Institutionen aufgrund dieser Aufgabenfülle für eine gewisse Schwerfälligkeit anfällig sind. Es gilt, aus der derzeitigen Situation das Beste zu machen und Schritt für Schritt die europäische Gerichtsbarkeit zu verbessern. Dass dabei nicht von heute auf morgen ein solcher Rechtsschutz entsteht, wie wir ihn in Deutschland genießen, ist - leider - eine politische Realität.
Abschließend möchte ich mich nochmals für die große Verspätung meiner Antwort entschuldigen. Für Ihr weiteres Engagement im Bereich des Rechtsschutzes wünsche ich Ihnen alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Josip Juratovic