Frage an Josef Winkler von Philipp K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Winkler,
sie haben dem EU-Vertrag von Lissabon zugestimmt. Sicher haben auch Sie die Diskussion um den Vertrag mitbekommen, weswegen ich nicht auf einzelne fragwürdige Punkte wie die Verpflichtung zur Aufrüstung o.Ä. eingehen.
Ihr Bundestagskollege Hermann Scheer lies folgendes verlautbaren:
"Ich habe mich an der Abstimmung über den EU-Reformvertrag nicht beteiligt, weil ich mich grundsätzlich einer Teilnahme verweigert habe aus einem übergreifenden und zentralen Grund: Ein vollständiger Vertragstext lag nicht vor. Insofern fehlte aus meiner Sicht die Voraussetzung für eine entsprechende Abstimmung."
Meine Frage an Sie: Trifft es zu, dass der Vertrag bei der Abstimmung nicht vollständig vorlag? Wie können Sie über einen so kontroversen und vieldiskutierten Vertrag abstimmen, wenn er Ihnen nichteinmal zur Abstimmung vorlag? Finden Sie es "nicht wichtig" sich damit auseinanderzusetzen, schließlich ist der fast baugleiche Vorgänger des Vertrags in mehreren Referenden bereits gescheitert (und wurde dann leicht verändert OHNE Referendum durchgewunken)
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort
Philipp Klein
Sehr geehrter Herr Klein,
ich weiß nicht, welche Unterlagen Herrn Abgeordneten Scheer vorlagen, bitte wenden sie sich diesbezüglich an ihn. Die konsolidierte Fassung des Vertrags von Lissabon wurde vor der Abstimmung zum Vertrag unter diesem Link online gestellt:
http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/showPage.asp?id=1296&lang=DE&mode=g
Der Hintergrund für diese auch von uns kritisierte Verzögerung ist, dass der Vertrag nach seiner Unterzeichnung von allen Staats- und Regierungschefs am 13. Dezember 2007 zunächst in eine konsolidierte Form gebracht werden, in alle Amtssprachen der EU (das sind derzeit 23) übersetzt und von SprachjuristInnen geprüft werden musste. Eine nicht konsolidierte Fassung, die jedoch nur schwer lesbar war, lag bereits seit August 2007 vor.
Wir Grünen haben uns intern und öffentlich intensiv mit dem Inhalt des Vertrags von Lissabon und mit seinem Vorläufer, dem Verfassungsvertrag, auseinandergesetzt. So gab es zum Vertrag von Lissabon beispielsweise zwischen Februar und April 2008 drei öffentliche Expertengespräche im Europa-Ausschuss des Deutschen Bundestages. Ähnliche Gespräche hatten wir auf Grundlage des Verfassungsvertrags bereits 2005 durchgeführt. Und der Verfassungsvertrag selbst wurde in langen und umfassenden Verhandlungen vom öffentlich tagenden Konvent zur Zukunft Europas (Februar 2002-Juli 2003) erarbeitet und von allen EU-Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen.
Der Verfassungsvertrag wurde jedoch nicht nur von zwei Staaten per Referendum abgelehnt, er wurde auch von zwei Staaten – Spanien und Luxemburg – per Volksabstimmung ratifiziert. Insgesamt hatten 18 der 27 EU-Mitgliedstaaten den Verfassungsvertrag ratifiziert. Das waren immerhin zwei Drittel der Mitgliedstaaten. Zudem haben alle Erhebungen gezeigt, dass das Nein nicht Ausdruck einer grundsätzlichen Ablehnung der europäischen Integration war, sondern auf einem Bündel an Motiven beruhte. Es mischten sich Sorgen um die eigenen soziale und ökonomische Situation, Globalisierungsängste, Kritik an einzelnen Vorhaben der EU, Furcht vor einer Erweiterung sowie die Abstrafung nationaler Regierungen. So sprach man in Frankreich beispielsweise nicht mehr von einem Referendum, sondern nach dem damaligen französischen Premierminister, von einem Raffarindum.
Übrigens ist Frankreich nun unter den ersten Mitgliedstaaten, die den Vertrag ratifiziert haben. Diese Zustimmung ist gesellschaftlich breit getragen.
Wir sehen die Bestimmung des Artikel 28a EUV (3), wonach sich die Mitgliedstaaten „verpflichten (…), ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ und eine „Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“ einzurichten, aus mehreren Gründen ebenfalls kritisch. Zum einen ist es ärgerlich, dass zwar eine Agentur für den militärischen Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingerichtet wird, aber keine für den zivilen Bereich. Zum anderen halten wir es grundsätzlich nicht für notwendig, die Einrichtung von Agenturen dieser Art explizit im Vertrag von Lissabon zu regeln. Allerdings bildet diese Bestimmung nur die Realität nach, denn die Agentur wurde bereits im Jahr 2004 auf der rechtlichen Grundlage des bestehenden EU-Vertrags eingerichtet. Sie wird also nicht mit dem Vertrag von Lissabon neu geschaffen.
Ich habe zugestimmt, weil der Vertrag von Lissabon mehr europäische Politik beispielsweise in der Außenpolitik, in der Energiepolitik, aber auch in der Innen- und Justizpolitik möglich macht. Er gibt den Bürgerinnen und Bürgern mehr Rechte, denn sie können sich dann über ein Europäisches Bürgerbegehren aktiv in europäische Politik einschalten. Er wertet die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger zur Wahl zum Europäischen Parlament auf, denn dieses kann künftig in viel mehr Bereichen mitentscheiden. Er gibt den nationalen Parlamenten mehr Rechte, die sogar so weit gehen, dass ein einziges Parlament Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einlegen kann, wenn das Prinzip der Subsidiarität verletzt wurde. Der Vertrag von Lissabon macht die EU demokratischer, effizienter und transparenter.
Mit freundlichen Grüßen
Josef Winkler