Frage an Josef Winkler von David S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Winkler,
Im Jahr 2000 wurde von der Rot-Grünen Bundesregierung das derzeit gültige Gesetz zur Staatsangehörigkeit umgesetzt. Der Entwurf dazu wurde zum Teil vom derzeitigen Bundesvorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir, erarbeitet.
Kernpunkt war damals, allen Kindern, die in Deutschland geboren werden, die deutsche Staatsangehörigkeit zu gewähren - das sogenannte "Ius soli" oder auch "Geburtsortsrecht".
So erhalten hier geborene Kinder ausländischer Eltern, sowie von binationalen Paaren, eine Doppelte Staatsbürgerschaft: Die deutsche- und die des Herkunftslandes der Eltern.
Wenn mindestens ein Elternteil Deutscher ist, behalten die Kinder die doppelte Staatsbürgerschaft ein Leben lang.
Kinder rein ausländischer Eltern müssen sich mit der Volljährigkeit dagegen Entscheiden, denn sie dürfen nur eine Staatsangehörigkeit behalten. Ich finde dieser Optionszwang ist für die Kinder verstörend und auch ungerecht gegenüber denen, die beide behalten dürfen.
Geben sie die deutsche auf, verlieren sie hier ihr Wahlrecht und andere Bürgerrechte - obwohl sie hier aufgewachsen sind.
Geben sie die ausländische auf, kappen sie alle Rechte in ihrem Herkunftsland, wo u.U. ein großer Teil ihrer Verwandschaft lebt.
Derzeit betrifft dies ca. 3000Kinder jährlich, ab 2018 werden es jählich 40000 sein.
Die Grünen haben damals dieses Gesetz mit auf den Weg gebracht, insgesamt stellt es auch sicher eine gewaltige Verbesserung dar!
Doch was waren damals die Gründe für den Optionszwang und sehen Sie Grund, diesen neu zu regeln,
vor allem, da dessen soziales Ausmaß erst langsam zu tragen kommt: Inzwischen stehen die ersten Kinder tatsächlich vor der Entscheidung!
Viele Grüße
David Schratt
Sehr geehrter Herr Schratt,
aus meiner Sicht ist der sogenannte Optionszwang im Staatsangehörigkeitsgesetz völlig verfehlt. Integration bedeutet Teilhabe durch gleiche Rechte und Pflichten. Um dies zu erreichen, müsste der Erwerb der Staatsbürgerschaft gefördert werden, nicht ihr Verlust.* *Daher hat die grüne Fraktion auch einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht (Drs. 16/12849).
Zwar wurde das Staatsangehörigkeitsrecht 1999 unter Rot-Grün gründlich modernisiert und das Geburtsrecht eingeführt, damit in Deutschland geborene Kinder nichtdeutscher Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit von Geburt an erhalten. Vom neuen Recht profitierten neben Neugeborenen auch Kinder, die im Jahr 2000 bis zu 10 Jahre alt waren. Aber im Vermittlungsausschuss hatte damals dann der schwarz-gelbe Bundesrat der Reform nur unter der Bedingung zugestimmt, dass bei Volljährigkeit gewählt werden muss zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und derjenigen der Eltern.
Seit Januar 2008 gibt es die ersten jungen Erwachsenen, die vom sogenannten Optionszwang betroffen sind, von Jahr zu Jahr werden es mehr. Die Folgen: Viel Arbeit für Behörden und Verwaltungsgerichte, große Verunsicherung der jungen Erwachsenen, die hier als Deutsche aufgewachsen sind.
Dies ist integrationspolitisch kontraproduktiv und verfassungsrechtlich zumindest bedenklich. Überdies belastet es auch die Behörden mit der Durchführung unsinniger und aufwändiger Verwaltungsverfahren.
Der bürokratische Aufwand ist enorm, komplizierte Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsverfahren sind vorprogrammiert und das integrationspolitische Signal an die betroffenen Jugendlichen ist fatal: Ihr gehört nicht ganz, nicht auf Dauer und nicht so wie andere dazu, ihr seid Deutsche auf Abruf. Wir wollen und dürfen aber diese jungen Menschen mit ihren zahlreichen Talenten nicht verlieren.
Auch unter Gesichtspunkten der Gleichbehandlung ist die bisherige Optionsregelung problematisch. Bei anderen Staatsangehörigen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden (z.B. Kinder, die aus binationalen Partnerschaften stammen), gibt es eine derartig bedingte Staatsangehörigkeit nicht. Es widerspricht aber dem Grundsatz der Gleichberechtigung, dass Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland erworben haben, dem Optionszwang unterliegen, während andere Kinder, die durch Geburt mehrere Staatsangehörigkeiten erworben haben, diesem Zwang nicht unterliegen.
Menschen, die von ihrer Geburt an Teil dieser Gesellschaft sind, sollten nicht dazu gezwungen werden, ihre Zugehörigkeit zu diesem Staat in Frage zu stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Josef Winkler