Frage an Johannes Vogel von André M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Vogel,
Sie sind arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Ich möchte Sie fragen, wie Sie zu der Möglichkeit stehen, daß Empfänger von Niedrigstlöhnen ihren Lohn durch ergänzendes Arbeitslosengeld II auf die Höhe des Hartz4-Satzes aufstocken können. Ich spreche dabei nicht von Minijobbern oder Teilzeitkräften, deren niedriges Einkommen ja in der Natur der Sache liegt. Meine Frage bezieht sich ausdrücklich nur auf die Arbeitnehmer, die in Vollzeit arbeiten und dennoch mit Ihrem Gehalt unter der Grenze des Hartz4-Satzes liegen, weil der Stundenlohn wie bei den vielzitierten Friseurinnen in den neuen Bundesländern extrem niedrig ist.
Besteht hier nicht die Gefahr eines Wettbewerbsnachteils für die Unternehmen, die einen fairen Arbeitslohn zahlen möchten, wenn andere Unternehmen ihre Lohnkosten drücken und sich darauf verlassen, daß ihre schlecht bezahlten Arbeitnehmer ja auf Kosten des Steuerzahlers auf Hartz IV aufstocken können?
Mit freundlichen Grüßen,
André Meyer
Sehr geehrter Herr Meyer,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Erst einmal möchte ich klarstellen, dass die Sicherung des Existenzminimums durch den Staat eine zwingende Folge der verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte und daher unabdingbar ist. Dies gilt also auch dann, wenn das Einkommen, das eine Person erwirtschaftet, nicht existenzsichernd sein sollte. Ich halte also den - falls notwendig - ergänzenden Bezug von ALG II nicht für eine sinnvolle Möglichkeit, sondern für ein unbedingt zu schützendes Recht jedes Einzelnen.
Die von Ihnen skizzierte Situation der Vollzeitstelle, mit der sich ein nicht zur Deckung des eigenen Bedarfs ausreichendes Einkommen erzielen lässt, findet sich zwar, aber nur in äußerst geringer Anzahl. Ich beziehe mich hier auf Zahlen des anerkannten Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB). Bei einer Gesamtzahl von ergänzenden Leistungsbeziehern zwischen 1,3 und 1,4 Mio. haben wir es maximal mit 35.000 Personen zu tun, deren in Vollzeit erwirtschaftetes Einkommen nicht für den eigenen Bedarf ausreicht. Bei den anderen Aufstockern führt hingegen entweder die Größe der Bedarfsgemeinschaft oder die Tatsache, dass eben nur Teilzeit gearbeitet wird, zur Berechtigung von ergänzendem Arbeitslosengeld II und eben nicht der Stundenlohn. Unabhängig von allen anderen Überlegungen muss man also festhalten, dass wir es mit einem verschwindend kleinen Anteil der sogenannten Aufstocker zu tun haben.
Das von Ihnen dargestellte Szenario mag sicherlich in Einzelfällen zutreffen. Bedauerlicherweise wird es immer schwarze Schafe unter den Arbeitgebern geben. Trotzdem bleibt es aber ein Randphänomen, wie die oben von mir angeführten Daten des ergänzenden Bezugs von ALG II nahelegen. Wäre dies Modell tatsächlich so attraktiv bzw. der beschriebene Wettbewerbsvorteil so groß, müssten wir ganz andere Aufstockerzahlen in Deutschland haben. Zudem möchte ich anmerken, dass wir in Deutschland nach wie vor eines der weltweit höchsten Lohnniveaus überhaupt haben - auch durch das erfolgreiche Modell der deutschen Tarifautonomie, eben auch mit starken Gewerkschaften. Darüber hinaus unterstellt das Szenario, dass sich Arbeitnehmer mit einer solchen Behandlung einfach abfinden und z.B. eine Bedürftigkeitsprüfung akzeptieren würden.
Die von Ihnen beschriebene Gefahr sehe ich also so nicht, auch wenn es bedauerliche Einzelfälle geben mag.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Vogel