Frage an Johannes Vogel von Volkhard E. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Vogel,
ich schätze Ihren Mut, auch unbequeme Fragen zu beantworten: hat die soziale Marktwirtschaft in D nicht von jeher einen grundsätzlichen Systemfehler??
Mir ist aufgefallen, dass die soziale Marktwirtschaft in Deutschland einen grundsätzlichen Systemfehler aufweisen könnte. Nur deshalb erscheint es mir möglich, dass Staat und Unternehmen schon in ihrer Zielsetzung gegeneinander arbeiten. Niemand wird bestreiten, dass die Hauptzielsetzung der Unternehmen im Wettbewerb Effektivitätssteigerung ist und dass diese deshalb auch um ständige Kostensenkung und Absatzsteigerung bemüht sind, um ihren Gewinn zu steigern. Staatsgewinne, nämlich Einnahmen aus Steuern und Abgaben, entstehen in unserem System jedoch nicht hauptsächlich durch Unternehmensgewinne, sondern durch staatliche Aufschläge auf die ohnehin in Deutschland schon recht hohen Lohnkosten. Dadurch sind die Staatsabgaben (=Staatsgewinn) zum Hauptkostenfaktor der Unternehmen geworden. Wenn Unternehmen gemäß ihrer Zielsetzung hier Kosten verringern wollen, müssen sie die Lohnkosten senken, was ihnen natürlich auch gelingt durch:
-Ersatz von Humanarbeit durch Maschinen,
-Zeitarbeit,
-prekäre Scheinselbstständigkeit der Mitarbeiter,
-Lohndumping,
-Ersatz der Belegschaft durch Arbeitslose wegen der staatlichen Zuschüsse oder
-Verlegung der Arbeitsplätze ins Ausland.
Durch diesen Erfolg senken die Unternehmen gleichzeitig die Staatseinnahmen( weniger Lohn) und erhöhen die Staatsausgaben ( z.B. für Arbeitslose). Wenn die Unternehmen also durch ihre Zielsetzung „Effektivitätssteigerung und Kostensenkung“ zwangsläufig die Staatseinnahmen reduzieren, ist das System kontraproduktiv. Bei einer Verlagerung der Staatsabgaben in die Mwst. würde dieser Systemfehler nicht entstehen können und die Unternehmen wären mit ihrer Zielsetzung dann konkruent zu dem Staatsziel.
Stimmen Sie diesem Systemfehler zu?? Können Sie helfen, ihn zu beseitigen??
Mit freundlichen Grüßen
Volkhard Ehlert
Sehr geehrter Herr Ehlert,
es freut mich, dass Sie sich Gedanken zur Sozialen Marktwirtschaft und deren Funktionsweise machen. Wirtschaftlichen Zusammenhängen sollte meiner Meinung nach mehr Raum in der Öffentlichkeit eingeräumt werden.
Allerdings sehe ich den von Ihnen beschriebenen Widerspruch nicht. Während sich das Handeln von Unternehmen zu Anschauungszwecken vielleicht noch auf das Profitstreben reduzieren lässt, kann und sollte man dies für den Staat, so denke ich, nicht ohne Weiteres annehmen. Staatliches Handeln ist, und sollte wiederum nicht profitorientiert sein, vielmehr erfüllt der Staat eine Vielzahl komplexer Aufgaben: er sorgt für Sicherheit, stellt öffentliche Güter bereit und setzt die Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Mit Blick auf die Staatsfinanzen ist es übrigens nicht der Fall, dass diese sich hauptsächlich aus den Einnahmen im Rahmen der Sozialversicherungssysteme speisen. Im Gegenteil, weit mehr als die Hälfte aller staatlichen Einnahmen entsteht durch Steuern. Eine stärkere Verlagerung in den Bereich der Umsatzsteuer halte ich auch nicht für sinnvoll. Dadurch würde nur der Konsum belastet, was volkswirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen würde. Schließlich ist es nicht richtig, dass Effizienzsteigerungen aufseiten der Unternehmen stets zu geringeren Löhnen und weniger Personal führen. Für Betriebe muss Effizienz ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Produktivität und Entlohnung bedeuten, sonst geraten Sie gegenüber Konkurrenten ins Hintertreffen. Das kommt den Beschäftigten zugute, allemal, wenn Sie gut qualifiziert sind.
In den letzten Jahrzehnten hat unsere Wirtschaft fraglos deutliche Effizienzsteigerungen erzielen können. Dennoch haben wir heute einen deutlich höheren Anteil an Beschäftigten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung als früher und – noch wichtiger – eine deutlich größere Kaufkraft als noch vor einer Generation. Um weiterhin Wachstum und Wohlstand zu haben, müssen wir allerdings darauf achten, dass die Lohnnebenkosten in Zukunft nicht zu stark anwachsen. Das werden sie jedoch angesichts der demografischen Entwicklung zweifellos tun, weswegen man auch unbedingt über alternative Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich der Sozialversicherungen nachdenken sollte.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Vogel