Frage an Johannes Remmel von Christian H.
Sehr geehrter Herr Remmel,
zwischen 2010 und 2017 waren Sie Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen.
Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um die drohende Abholzung des Hambacher Forst zu verhindern?
Vielen Dank,
C. H.
Sehr geehrter Herr Hannes,
ich bitte um Entschuldigung, dass ich erst jetzt antworte. Zwischenzeitig ist Ihre Frage leider untergegangen. Bei aktueller Sichtung meines Profils durch eine Mitarbeiterin ist uns dies aufgefallen.
Zur Sache: der Braunkohletagebau Hambach begann schon im Jahr 1978 auf Basis von Braunkohleplanungen und Entscheidungen aus den frühen 1970er Jahren. Heute sind von dem einstmals über 4.000 Hektar großen Waldgebiet nur noch rund 200 Hektar übrig. Eine für dieses Ökosystem verheerende Entwicklung, die uns Grüne seit jeher stark beschäftigt.
Mit der Regierungsbildung im Jahr 2010 haben wir im Koalitionsvertrag ein für die damalige Zeit sehr gutes Ergebnis erzielen können: Die Festschreibung einer grundsätzlichen Absage an den Neuaufschluss von Braunkohletagebauen – im Übrigen gegen den Willen unseres Koalitionspartners und der Oppositionsparteien CDU und FDP. Darüber hinaus haben wir die Erarbeitung des bundesweit ersten Klimaschutzgesetzes verabredet. In dessen Folge haben wir in der Regierungszeit in einer breiten gesellschaftlichen Debatte einen Klimaschutzplan auf den Weg gebracht. Er stellt eine systematische Betrachtung möglicher und notwendiger Klimaschutzmaßnahmen dar und ist bis heute die Grundlage der Klimaschutzpolitik in Nordrhein-Westfalen.
Daneben haben wir den Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie, massiv vorgetrieben: In den sieben Regierungsjahren seit 2010 hat sich der Zubau von jährlich ca. 90 Megawatt auf rund 900 Megawatt Zubau im Jahr 2018 gesteigert. Unter Schwarz-Gelb hingegen ist dieser Ausbau fast zum Erliegen gekommen. Klar ist im Übrigen, dass jede zusätzliche Kilowattstunde erneuerbare Energie zusammen mit den Wirkungen des europäischen Emissionshandels die Braunkohleverstromung vermindert.
Klar war uns allerdings damals auch, dass ein vollumfänglicher Kohleausstieg nicht auf Landesebene geregelt werden kann, sondern auf Bundesebene beschlossen werden muss. Denn ein Kohleausstieg regelt sich entlang der Laufzeit, den Abschreibungszeiten und möglichen Entschädigungszahlungen von Kraftwerken und nicht über die räumliche Ausdehnung von Tagebaugebieten.
In Zusammenhang mit anstehenden Umsiedlungsentscheidungen in Bezug auf den Tagebau Garzweiler ist es uns jedoch in einer politischen Grundsatzentscheidung im Jahr 2014 gelungen, den Tagebau Garzweiler um ein Drittel zu verkleinern. Dadurch wurden auf einen Schlag 1400 Menschen vor der Zwangsumsiedlung gerettet. Erstmals und bisher einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik wurden die Abbaugrenzen eines genehmigten Braunkohlentagebaus hiermit verkleinert und 400 Millionen Tonnen Braunkohle der potentiellen Verstromung entzogen. Eine größere klimapolitische Leistung hat bis heute keine andere Landesregierung auf den Weg gebracht. Die politische Vorbereitung zwischen den Koalitionspartnern in Hinblick auf eine neue Leitentscheidung hat sich 2014 ausschließlich mit dem Tagebau Garzweiler beschäftigt. Insofern ist die Formulierung in der Leitentscheidung „(…)Die Tagebaue Hambach und Inden bleiben davon unberührt(…)“, folgerichtig. CDU/FDP missbrauchen dies jedoch ständig, um uns Grünen vorzuhalten, wir hätten damit über das weitere Abbaggern in Hambach bis 2045 entschieden.
Richtig ist dagegen: Für eine wünschenswerte Verkleinerung der Tagebauplanung Hambach gab es zum damaligen Zeitpunkt weder politische noch juristische Ansatzpunkte. Zudem waren in Bezug auf den Tagebau Hambach schon alle Vorentscheidungen getroffen. Hätten wir 2014 in den laufenden Tagebaubetrieb eingegriffen, hätte dies erhebliche Entschädigungszahlungen durch das Land NRW für RWE ausgelöst.
Richtig ist auch: In der Leitentscheidung taucht keine Jahreszahl „2045“ auf, die ein Auslaufen des Tagebaubetriebs markiert. Die Leitentscheidung hat sich ausschließlich auf die räumliche Verkleinerung von Garzweiler konzentriert, zeitliche Festlegungen wurden darin nicht getroffen.
Dennoch bestand IMMER eine klare politische Ablehnung der Rodungen in Hambach. So forderten wir als Grüne auch während unserer Regierungszeit stets den Stopp der Abholzungen (hier beispielsweise eine Pressemitteilung aus dem Jahre 2016: (https://gruene-nrw.de/gruene-nrw-fordern-ende-der-abholzungen-und-der-gewalt/))
Mit der Ratifizierung des Klimaschutzabkommens von Paris hat sich der politische Handlungsspielraum auch in Bezug auf den Hambacher Wald massiv verändert und erweitert. Es ist die Aufforderung, in der Energie- und Klimapolitik das Ziel, 2050 eine Erderwärmung von erheblich unter 2 Grad zu erreichen, politisch umzusetzen. Im Übrigen ist diese Vereinbarung völkerrechtlich verbindlich. Nun gilt es mit neuen Leitentscheidungen zu Garzweiler und Hambach die Fördermengen entsprechend zu reduzieren und die Planungen anzupassen. Dies ist nun die Aufgabe der Nachfolgeregierung unter Armin Laschet. Allerdings hielt Herr Laschet noch 2018 an den fast ein halbes Jahrhundert alten Tagebauplänen fest und plante, den Tagebau Hambach einschließlich der Rodung des noch bestehenden Hambacher Waldes unverändert fortzusetzen.
Hierbei wurde die Regierung jedoch vom Oberverwaltungsgericht Münster im Oktober 2018 gestoppt, welches nach einer weiteren Klage des BUND gegen die Abholzung einen vorläufigen Rodungsstopp bis zur erneuten Bewertung des Sachverhalts verfügte. Auch das sehr starke Engagement der Zivilgesellschaft und der breite Protest haben hier gewirkt.
Im Januar 2019 machte die Kohlekommission ihren Vorschlag für einen umfassenden Kohleausstieg, nach welchem das letzte Kohlekraftwerk spätestens 2038 abgeschaltet werden soll. Zusätzlich wird hier ausdrücklich der Wunsch für das Bestehenbleiben des Hambacher Waldes geäußert.
Der endgültige Beschluss zum Kohleausstieg kam dann im Januar 2020: Auch der Hambacher Wald soll erhalten bleiben. Dies wurde bei einem Spitzentreffen zwischen Bundesregierung und vier vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländern vereinbart.
Die großen Aufgaben einer umfassenden Transformation aller fossil basierten Lebensbereiche, wie der Energieerzeugung, der Mobilität, des Wohnens, der Ernährung und der Produktion insbesondere im Industrieland Nordrhein-Westfalen, liegt noch vor uns. Eine gewaltige politische und gesellschaftliche Management- und Gestaltungsaufgabe.
Die Geschichte um den Hambacher Wald sollte aber stets Mahnung sein, bei solchen Aufgaben nicht bis zum Letzten zu warten, sondern mutig Veränderungsprozesse von vorne zu gestalten.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Remmel