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Frage von Helmut S. •

Frage an Johannes Kahrs von Helmut S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Kahrs,

aus aktuellem Anlaß habe ich Fragen zum Afghanistan-Einsatz:

Trotz, oder besser gesagt, wegen der großen Finanzhilfen durch den Westen hat sich die Situation der Bevölkerung in vielen Teilen Afghanistans nicht verbessert. Es wird gehungert; beispielsweise haben Frauen oder Schwule weiterhin - aufgrund der Scharia - mindere oder gar keine Rechte und werden unterdrückt; die Milliarden sind im Wesentlichen Warlords und Drogenbaronen zugute gekommen; der Opiumanbau floriert wie nie zuvor; das sog. Nationbuilding (Aufbau eines demokratischen Staates westlicher Prägung) ist gescheitert.

Grundsätzlich halte ich persönlich den ganzen Ansatz des ´nationbiulding´ für verkehrt. Die afghanische Gesellschaft lebt für mein Verständnis noch ganz überwiegend im Mittelalter, materiell und geistig. Ihr fehlen vor allem unsere geistigen Umwälzungen wie die Reformation, die Aufklärung, die französische Revolution, die industrielle Revolution und noch sehr viel mehr.

Dieser solchen ´archaischen´ Gesellschaft nun plötzlich unseren ´modernen´ Staats- und Gesellschaftsentwurf überstülpen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. In Europa sind wahre Ströme von Blut geflossen und es hat 500 Jahre gedauert, bis wir im Heute angekommen sind. Dies wird in Afghanistan nicht grundlegend anders sein. Eine solche Entwicklung des kollektiven Bewußtseins braucht sehr lange Zeit. Ein Turbolernen gibt es nicht.
Und: Der Islam steht gegen das Konzept einer Trennung von Staat und Religion, wie wir es heute leben; er kennt und akzeptiert nur eine Lebenssphäre. Islam heißt und bedeutet ´Unterwerfung unter den Willen Allahs´ (wie er im Koran geoffenbart wurde).

Nun komme ich zu meiner Frage: Wie kann unter diesen Voraussetzungen der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sinnvoller als bisher gestaltet werden? Was kann und muß ´der Westen´ tun, um sich dort nicht nur neue Feinde heranzuziehen?

Mit freundlichem Gruß aus Barmbek
Helmut Schibath

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Sehr geehrter Herr Schibath,

Vielen Dank für Ihre Anfrage.

Gerade weil es sich beim Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan nicht um bloße Entwicklungszusammenarbeit, sondern um "nation building" handelt, kann man nicht dieselben Maßstäbe anlegen wie beispielsweise an den Wiederaufbau nach einer Naturkatastrophe. Afghanistan war einmal ein relativ wohlhabendes, relativ liberales Land, bis es von der Sowjetunion überfallen und daraufhin in einen jahrzehntelangen Kriegszustand gestürzt wurde. Die Zerstörung von Infrastruktur, der Verlust der wirtschaftlichen und geistigen Eliten, nicht zuletzt die immensen Verluste an Menschenleben und die nachhaltigen sozialen Folgen durch Krieg und Talibanherrschaft sind ein sehr schweres Erbe. Es ist deshalb nicht mit schnellen Erfolgen zu rechnen, aber es gibt Erfolge.

Sie haben recht, dass sich Afghanistans Kultur von der westlichen stark unterscheidet. Tatsächlich geht aber auch niemand davon aus, dass das Land sich in einen Staat nach westlichem Muster verwandeln wird. Ihre Definition von Nationbuilding als Aufbau eines Staates westlicher Prägung ist so nicht richtig, der Begriff bezeichnet ganz generell den Aufbau einer Nation. Dies ist mehr als nur die Schaffung von Institutionen, sondern weist auch eine soziale Komponente auf. Es geht in erster Linie um die Identifikation mit dem Land und den Willen, gemeinsam etwas dafür zu tun. Hier muß die afghanische Gesellschaft ihren eigenen Weg finden und beschreiten. Daß der Islam entgegen Ihrer Meinung prinzipiell kein Hindernis für eine demokratische Gesellschaft sein muß, sieht man am Beispiel von Indonesien, des größten muslimischen Landes der Welt, oder am Beispiel der Türkei. Die Übersetzung von Islam als "Unterwerfung" (unter den Willen Gottes) ist zwar richtig, aber noch keine politische Aussage.

Die letzten Wahlen haben auf jeden Fall gezeigt, dass sich die Afghanen nicht nach einem islamistischen Regime sehnen: die Ergebnisse radikalislamistischer Parteien und Kandidaten waren keineswegs gut.

Die immer wieder kolportierte Meinung, die Afghanen würden den ausländischen Helfern und Soldaten mit Abneigung gegenüberstehen, ist nicht richtig. Im Mandatsgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan sind die Erfolge des doppelten Ansatzes von Entwicklungszusammenarbeit und militärischer Sicherung gut sichtbar. Ich selbst konnte mich im letzten Jahr vor Ort davon überzeugen. Der Aufbau von Bildungseinrichtungen und Infrastruktur, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und nicht zuletzt die Absicherung des Landes durch die Truppen der ISAF schaffen Chancen, die das Land seit Jahrzehnten nicht mehr hatte.

Es wurde schon viel erreicht:
80 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu medizinischer Versorgung. Sechs Millionen Kinder gehen wieder zur Schule, davon über 40 Prozent Mädchen, denen der Schulbesuch unter den Taliban verboten war. Allein Deutschland hat für mehr als 2,5 Millionen Menschen in Kabul die Stromversorgung gesichert.

Insgesamt hat die internationale Gemeinschaft bislang etwa 20 Milliarden US-Dollar für den zivilen Wiederaufbau Afghanistans zur Verfügung gestellt. Das Geld wurde in erster Linie für den Bau der Infrastruktur verwendet, also Schulen, Straßen, Stromnetze, Trinkwasserversorgung etc. Als sichtbarstes Zeichen sind seither über fünf Millionen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt.

Es ist klar, dass der Wiederaufbau nur mit Beharrlichkeit und mit Geduld gelingen kann. Auf schnelle Erfolge können wir nicht hoffen. Ein kompletter Abzug aus Afghanistan würde aber niemandem helfen, im Gegenteil, wir würden die afghanische Bevölkerung, die auf uns setzt, im Stich lassen.

Mit freundlichen Grüßen,

Johannes Kahrs