Portrait von Johannes Kahrs
Johannes Kahrs
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Johannes Kahrs zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Nico K. •

Frage an Johannes Kahrs von Nico K. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Kahrs!

In einer Ihrer Antwort schreiben Sie, dass die Linkspartei "das Blaue vom Himmel" versprechen würde. Ihr Kollege, SPD-Fraktionschef Dr. Struck, meinte, dass die Linkspartei Mehrausgaben von 157 Mrd. Euro versprechen würde.
Herr Dr. Struck hat das aber m.W. nie mit Zahlen begründen können. Man kann also ohne Beweis viel behaupten.

Würden Sie mir zustimmen, dass Deutschland eine zu niedrige Investitionsquote hat? Diese ist m.W. nur etwa halb so groß wie im EU-Durchschnitt.
Viele Politiker Ihrer Partei haben im TV desöfteren selbst eine Erhöhung dieser gefordert.

Die Linke macht zudem Vorschläge zur Finanzierung:
U.a. will sie den Steuerdurchschnitt der EU. Denn Deutschland ist mittlerweile im unteren Drittel angelegt. Selbst das Statistische Bundesamt gab bekannt, dass die Lohnnebenkosten bei 32 Euro pro 100 Euro Lohnstückkosten gesunken sei. Zu finden auf der HP des Stat. Bundesamts.
Warum tut der "Seeheimer Kreis" dann immer so, als sei Deutschland ein Hochsteuerland?

Die Linke will u.a. die Abschaffung des Ehegattensplittings für Kinderlose. Sie will den Spitzensteuersatz von 42% anheben. Ihre Partei hat unter Schröder diesen von 53% auf 42% gesenkt. Warum erwähnen Sie diesen Umstand bei Ihren Antworten, die m.E. oft gegen Die Linke gewandt sind, nicht?

Zudem will Die Linke jeden Deutschen der im Ausland wohnt, so besteuern, dass er eine ev. Steuerdifferenz nach Deutschland überweisen müsste. Das ist im EU-Land Großbritannien und in den USA gängige Praxis. Auch ist das eine Forderung der Grünen. Die das in ihrem Wahlprogramm 2005 hatten. Da fordert der Wunschkoalitionspartner der SPD auch, dass der Spitzensteuersatz von 42% auf 45% angehoben werden soll. Herr Prof. Hickel, Wirtschaftsprofessor an der Uni Bremen wenn ich es richtig sehe, gibt zu bedenken, dass die 42% Spitzensteuer auch nicht aussagekräftig seien. Denn man bekomme in Deutschland sehr viel vom Fiskus zurück.

Sollten wir das nicht sozial ändern?

Gruß
Klimmt

Portrait von Johannes Kahrs
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Klimmt,

vielen Dank für Ihre E-Mail.

Ich habe meine Haltung zur Linkspartei an dieser Stelle bereits öfter erläutert, insbesondere in den Wochen nach der letzten hessischen Landtagswahl. Die Linkspartei ist für mich in erster Linie als Koalitionspartner in den alten Bundesländern und auf Bundesebene inakzeptabel, weil sie nicht zuverlässig ist und ihre außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen mit denen aller anderen demokratischen Parteien kollidieren. Dessenungeachtet heißt das ja nicht, dass nicht einzelne Ideen halbwegs vernünftig sein können. Ich kann jedoch darunter keine finden, die nicht auch in der SPD diskutiert oder vertreten würden.

Das gilt z.B. für die von Ihnen angesprochene Absenkung des Spitzensteuersatzes. Diese war Folge der damals bestehenden CDU-Mehrheit im Bundesrat. Die rot-grüne Bundesregierung wollte kleine und mittlere Einkommen entlasten. Dies war gegen die schwarze Bundesratsmehrheit nur unter der Bedingung der Absenkung des Spitzensteuersatzes zu erreichen.

Peter Struck hat 2007 eine detaillierte Liste mit ausführlichen Erklärungen vorgelegt, in dem die Versprechungen der Linkspartei auf ihre Finanzierbarkeit bzw. die potentiellen Mehrkosten hin überprüft wurden. Unterm Strich kommt dabei heraus, dass die Versprechungen der Linkspartei 154,7 Milliarden Euro Mehrausgaben bedeuteten, wobei sich die Linkspartei über die Frage der Gegenfinanzierung entweder ausschweigt oder recht vage mit Steuererhöhungen argumentiert.

Das Papier von Peter Struck hat 21 Seiten, bitte sehen Sie es mir nach, dass ich es nicht in seiner Vollständigkeit hier wiedergebe.

Zunächst eine tabellarische Übersicht der einzelnen Politikbereiche und der zu erwartenden Mehrbelastungen.

Arbeit und Soziales
Mehrkosten: 26,4 Milliarden Euro, zusätzlich eine Anhebung des RV-Beitrages auf 28 Prozent, was etwa 600.000 Arbeitsplätze kosten würde

Finanzen
Mehrkosten: 46,7 Milliarden, zusätzlich steigende Lohnnebenkosten wegen der Senkung der Mehrwertsteuer

Bildung und Forschung
Mehrkosten: 17,9 Milliarden

Gesundheit
Mehrkosten: 9,2 Milliarden und zusätzlich steigende Lohnnebenkosten

Wirtschaft und Energie
Mehrkosten: 15,5 Milliarden und einmalige Kosten von etwa 150 Milliarden durch die geplante Verstaatlichung der Gas- und Stromversorger

Familien
Mehrkosten: 19 Milliarden

Europa
Mehrkosten: 20 Milliarden

Gesamt: 154,7 Milliarden Euro und der Verlust von Arbeitsplätzen sowie Kaufkraft der Bürger wegen gestiegener Lohnnebenkosten, erhöhter Steuern und Beiträge.

Um Ihnen zu verdeutlichen, wie gut Peter Struck seine Zahlen begründet, möchte ich nur einen Teilaspekt aus dem Bereich Arbeit und Soziales herausgreifen. In ihrem Antrag „Für Selbstbestimmung und soziale Sicherheit – Strategie zur Überwindung von Hartz IV“ (Bundestagsdrucksache Nr. 16/997) fordert die Linkspartei neben der Verlängerung der Bezugsdauer von ALG I und der Erhöhung des Betrages für ALG II u.a. höhere Freibeträge für Vermögen im Sozialgesetzbuch II, die Rücknahme der Reduzierung des Zahlbetrages für die gesetzliche Rentenversicherung von 78 Euro monatlich auf 40 Euro, und Immobilien, die für die Altersvorsorge vorgesehen sind, im SGB II nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Die Kosten für die geforderte „Überwindung von Hartz IV“ liegen insgesamt bei rund 18 Mrd. Euro pro Jahr. Sie setzen sich folgendermaßen zusammen:

- 10 Mrd. Euro zur Erhöhung der Regelsätze der Grundsicherung für
Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzgesetzbuch buch Zweites Buch (SGB
II), dem SGB XII und im Alter auf 420 Euro pro Monat
-3,5 Mrd. Euro für die Gewährung eines Kinderzuschlags
-2,5 Mrd. Euro für die Verlängerung der Zahlungen von Arbeitslosengeld I
-2,0 Mrd. Euro für die Rücknahme der Reduzierung des Zahlbetrages für
die gesetzliche Rentenversicherung von 78 Euro monatlich auf 40 Euro.

Dazu führt Peter Struck weiter aus:
„…Viele weitere Aspekte dieses Antrages können nicht beziffert werden. Die Linke blendet die Gründe für unsere Reformen auf dem Arbeitsmarkt völlig aus. Diese Reformen zeigen Wirkung. Die Arbeitslosigkeit geht zurück, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steigt und auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist rückläufig. Die Betreuung und Förderung von Sozialhilfeempfängern, insbesondere von Jugendlichen hat durch unsere Reformen eine völlig neue Dimension erhalten. Wir haben zum Beispiel bei den unter 25-Jährigen bereits seit dem vergangenen Jahr eine Betreuungsquote von 1 zu 75 erreicht. Die Arbeitsverwaltung wurde komplett neu aufgestellt – rechtlich, organisatorisch, personell und finanziell. All dies will die Linkspartei rückgängig machen. Wer Hartz IV „überwinden“ will, verschließt die Augen vor der Realität und den Erfolgen unserer Arbeitsmarktreformen (…) Für die Linkspartei reduziert sich Sozialpolitik auf möglichst hohe Sozialtransfers. Suggeriert wird, dass sozialer Frieden erst dann erreicht ist, wenn möglichst viele Menschen möglichst viele Transferleistungen erhalten. Keine Rolle spielen die Gedanken der Aktivierung und der Integration. Kein Thema ist die Modernisierung der Arbeitsverwaltung, die Arbeitslosigkeit nicht nur verwalten, sondern den betroffenen Menschen möglichst individuelle Hilfen bereitstellen soll.“

Dem kann ich mich nur vorbehaltlos anschließen.

Sie sehen, dass die Zahl 157,4 Milliarden keineswegs unbegründet in den Raum gestellt wurde. Wohlgemerkt, alle Zahlen basieren auf realen Anträgen, die die Fraktion der Linken in den Bundestag eingebracht hat.

Die gewaltige Summe müssten die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erstmal erarbeiten. Dies hat mit sozialer Gerechtigkeit und Solidarität nicht das Geringste zu tun, sondern ist schlicht und ergreifend unseriös. An der Nichtfinanzierbarkeit der Ideen der Linkspartei ändern einige wenige zumindest diskutable Ansätze gar nichts.

Ich hoffe, Ihnen den Standpunkt der SPD verdeutlicht zu haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen,

Johannes Kahrs