Frage an Johannes Kahrs von Friederike P. bezüglich Verkehr
Lieber Herr Kahrs,
schade, dass Sie nicht auf den Wortbruch eingegangen sind. Abgesehen davon, dass ich es erstaunlich fand, dass ein Hamburger sich in Hessen einmischt. (Ich selber würde stinksauer sein, wenn sich ein Hesse in unsere Landespolitik einmischt), hatte ich gehofft, dass sie dem Versprechen Ihrer eigenen Parteiführung, es gäbe keine Privatisierung ausserhalb des Volksaktienmodells, keinerlei Wert beimessen. Wortbruch ist also bei Ihnen OK, wenn er Ihrer politischen Meinung entspricht? Schade, bisher hatte ich gedacht, dass SIE, im gegensatz zu Frau Ypsilanti, einem gegebenen Versprechen mehr Wert beimessen.
Wie wollen Sie verhindern, dass ein profitorientierter Investor versucht, die Bahn weiter zu Streckenstillegungen und Preiserhöhungen treibt? Was ist Ihnen wichtiger- Daseinsvorsorge auch für die Bevölkerung kleinerer Orte, oder eine super-vorzeige-bahn für die wenigen, die sich die fahrpreise noch leisten können?
Liebe Frau Preuß,
wie schon unten mitgeteilt, lassen sich der Beschluss des Bundesparteitages zur Bahnprivatisierung und die Hinwendung zur Linken nicht vergleichen.
Bei letzterer handelt es sich um eine Frage, die die grundlegende politische und strategische Ausrichtung der ganzen Partei berührt. Der Wortbruch ergibt sich aus einem klaren Versprechen an die Wähler während des Wahlkampfes.
Bei ersterem handelt es sich dagegen um eine Sachfrage, um einen Beschluß des Bundesparteitages im Rahmen der innerparteilichen Willensbildung. Die Abgeordneten des Bundestages sind daran nicht gebunden, versuchen aber natürlich, die Position ihrer Partei im Bundestag durchzusetzen.
Wenn sich der Koalitionspartner massiv gegen ein Volksaktienmodell sträubt und sich die SPD in diesem Punkt nicht durchsetzen kann, dann muss eine andere Lösung gefunden werden, die sich der ursprünglichen Position so weit wie möglich annähert. Was brächte auch ein stures Verharren auf der eigenen Position? Nicht jeder durch veränderte Gegebenheiten erzwungene Kompromiss ist ein Wortbruch.
Ich persönlich halte das jetzt beschlossene Konzept für vertretbar, aber wie ich schon in meiner Antwort auf ihre erste Frage mitgeteilt habe, bin ich prinzipiell ein Verfechter von staatseigenen Endversorgungsbetrieben. Dass hier „Wortbruch“ okay sei, weil er auf meiner politischen Linie liege, kann also schon deshalb nicht stimmen, weil eine vollständige Bahnprivatisierung eben nicht meinen politischen Überzeugungen entspricht.
Was die Daseinsvorsorge betrifft, so möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese in einem teilstaatlichen Unternehmen immer noch in besseren Händen ist als in einem rein privatwirtschaftlichen. Die von mir erwähnten Privatbahnen, die in Schleswig-Holstein viele Strecken der Deutschen Bahn übernommen haben – weil die Bahn in ihrer jetzigen Form dort eben weniger konkurrenzfähig ist als die Privaten – betreiben sicherlich weit weniger Daseinsvorsorge.
Im übrigen liegt die von Ihnen implizit angesprochene Stilllegung von Strecken oder von Bahnhöfen keineswegs im Entscheidungsbereich der Bahnunternehmen, sondern der betreffenden Länder.
Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Kahrs