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Johannes Kahrs
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Frage von Shahin E. •

Frage an Johannes Kahrs von Shahin E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kahrs,

warum haben Sie trotz massiver bedenken gegen die Vorratsdatenspeicherung für dieses Gesetz gestimmt?
Welche Gefahren möchten Sie damit abwehren?
Bereits jetzt gibt es sehr viele offene Hotspots in Hamburg,so daß jeder Kriminelle dies nutzen könnte.
Viele private Wlans sind entweder mangelhaft gesichert oder einfach offen.
Was glauben Sie bewirken zu können,was Sie bis jetzt[mit den vorhandenen Mitteln] hätten nicht erreichen können?

vielen Dank für ihre Antwort
ein Wähler

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Ebrahim-Nesbat,

für Ihr Schreiben zum Thema Vorratsdatenspeicherung danke ich Ihnen. Da es viele und zum Teil falsche Gerüchte über die Telekommunikationsüberwachung gibt, möchte ich es zum Anlass nehmen, Ihnen einen umfassenden Überblick über das Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung zu geben.

Das Gesetz
- fasst die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen neu,
- setzt die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
- und sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.

Bereits unter der rot-grüner Bundesregierung hatte die Novelle ihren Anfang genommen. Der vom Bundesjustizministerium erarbeitete Entwurf konnte aufgrund des vorzeitigen Endes der 15. Legislaturperiode zunächst nicht weiterverfolgt werden. Mit dem nun vorliegenden Gesetz wurden diese Arbeiten weitergeführt. Zwischenzeitliche Entwicklungen sind in ihm berücksichtigt. Zum einen sind es Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die eingangs erwähnte EU-Richtlinie umzusetzen, zum anderen waren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unter anderem zum einfachgesetzlichen Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu beachten.

Wir haben bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen. Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Deshalb haben wir das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.

Hürde Nr. 1: Vorliegen einer schweren Straftat
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.

Hürde Nr. 2: Kernbereichsschutz
Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Hürde 3: Berufsgeheimnisträgerschutz
Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes:

Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtliche Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie
- mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann,
- den Rechtsfrieden empfindlich stört und
- dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung
erheblich zu beeinträchtigen.
Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Hürde Nr. 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung
Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Hürde Nr. 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden
Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.

Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier haben wir im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung unsere Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde. Dies ist ein vom Deutschen Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene.

Die wegen der Umsetzung künftig zu speichernden Daten sind im Wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Telekommunikationsunternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Das sind insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.

Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben den Daten über Telefonverbindungen auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.

Die Daten werden – wie bisher – nur bei den TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.

Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt darüber hinaus eine Reihe von Verfahrensregelungen. Sie verbessern den Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind:
• Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen.
• Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten.
• Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
• Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen, grundrechtssichernden Schwellen verknüpft ist, so dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in jedem Falle gewahrt bleibt.

Zum Schluss erlauben Sie mir einige persönliche Anmerkungen, die Ihnen auch mein Abstimmungsverhalten erklären sollen. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die Sensibilität in einem Deutschland, in dem es noch keine Anschläge gab, gegenüber Datenschutzbeschränkungen höher ist, als in bereits vom Terrorismus betroffenen Ländern. Vollstes Verständnis habe ich ebenfalls gegenüber Befürchtungen, die Vorratsdatenspeicherung könnte missbraucht werden. Und auch ich glaube, dass in Deutschland die Terrorangst von einigen Politikern und Medien auf teilweise unverantwortliche Weise geschürt wird.

Aber ich halte auch nichts von Panikmache in die entgegengesetzte Richtung. Wir befinden uns nicht in einem Polizei- und Überwachungsstaat und die Vorratsdatenspeicherung wird daran nichts ändern. Die Speicherung von Daten gab es bereits vorher in vielen Bereichen. Sanktionen werden Datenschutz und Datensicherheit gewährleisten. Eine inhaltliche Speicherung von E-Mails und Telefongesprächen, wie es viele verlautbaren lassen, gibt es nicht und wird es mit diesem Gesetz auch nicht geben.

Zugegeben, es ist ein schmaler Grat zwischen Freiheit und Sicherheit, auf dem wir uns bewegen. Aber wenn es dann doch einen Anschlag gibt, will sich kein Politiker sagen lassen, dass er zu wenig dagegen getan hätte. Die Vorratsdatenspeicherung soll auch als präventives Mittel gegen den Terrorismus dienen. Einen Terroranschlag in Deutschland so lange wie möglich zu verhindern, geht über das Beschützen von Menschenleben hinaus. Denn die Reaktionen eines Landes auf einen Terroranschlag sind für den Rechtsstaat selten förderlich gewesen, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Beste Beispiele liefern die USA mit Ihren Rechtsverstößen im Zuge des Antiterrorkampfes oder ein völlig kameraüberwachtes London. Ich will so etwas in Deutschland nicht. Die Vorratsdatenspeicherung erscheint mir daher als eine zwar unschöne, aber im Rahmen des Rechtsstaates gerade noch erträgliche Variante, um Terroranschlägen vorzubeugen. Denn Anschläge würden zweifellos auch in Deutschland weitere und weiter reichende sicherheitspolitische Entscheidungen nach sich ziehen, die eine wirkliche Gefahr für unsere Freiheitsrechte bedeuten würden.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Bedenken und Sorgen mit diesen Informationen zerstreuen und verbleibe,
mit freundlichem Gruß,

Johannes Kahrs