Frage an Johannes Kahrs von Dirk G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Kahrs.
Was halten Sie von der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens? Dann wären die Streitereien um einen Mindestlohn vom Tisch, oder? Wenn jede Bürgerin, jeder Bürger, monatlich ein Einkommen in existenzsichernder Höhe, ob arbeitslos oder nicht, erhielte, könnten wir uns die Gespräche über Armutslöhne sparen. Denn dann wäre jeder Bürger und jede Bürgerin so frei in der Entscheidung, eine Arbeit anzunehmen , die menschenwürdig bezahlt wäre.
Mit bitte um Antwort verbleibe ich mit herzlichen Grüßen
Dirk Gebauer
Sehr geehrter Herr Gebauer,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 15. Mai 2007. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens oder Bürgergeldes ist in letzter Zeit viel diskutiert worden. Demnach soll jedem Bürger, ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne jede Bedingung ein festes monatliches Geld vom Staat zustehen. Im Zuge dessen, würden, bis auf die Krankenversicherung, alle existierenden Sozialleistungen und Steuervorteile gestrichen. Ich halte, die bis zum jetzigen Zeitpunkt dargelegten Modelle für ein Grundeinkommen oder Bürgergeld, für wirklichkeitsfern, da sie weder sozial gerecht noch finanzierbar sind.
Ein altersunabhängiges Grundeinkommen ist kein wirksames Mittel, um den Begriff Arbeit neu zu definieren - geschweige denn, um den Sozialstaat zu reformieren. Die scheinbar ideal anmutende Lösung birgt viele Unsicherheiten sowie Risiken und würde im Falle einer Umsetzung dem Abbau des Sozialstaates Vorschub leisten. Nach dem Willen der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens würden alle Menschen gleich „alimentiert“ und damit auch Nichtbedürftige zu Transferempfängern. Demzufolge könnten auch Vermögensmillionäre ein Grundeinkommen einfordern. Ein wirklich sozialer Staat investiert dagegen in seine Menschen, indem er auf ihre individuellen Bedürfnisse eingeht und seine Sozialleistungen entsprechend genau zuschneidet. Alle Bürgergeld-Vorschläge leiden jedoch darunter, dass sie einseitig auf die Transferseite schauen. Das Prinzip von „Fordern und Fördern“ wäre völlig ausgehebelt - wie man Menschen wirklich gut helfen kann, ihre persönliche Situation zu verbessern, gerät dabei aus dem Blickfeld. Wer solche Vorschläge macht und Sozialleistungen rigoros streichen will, dem ist der Teilhabegedanke offensichtlich egal. Armut ist vielschichtig und ihre Bekämpfung mehr als eine finanzielle Leistung.
Auch ein Netto-Grundeinkommen von 600 Euro brutto, wie es der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus vorgeschlagen hat, ist unsozial. Es liegt sogar noch unter dem derzeitigen ALG II (einschließlich der Kosten für Unterkunft). Bei dem Vorschlag von Althaus handelt es sich außerdem nicht wirklich um ein bedingungsloses Grundeinkommen, weil das Erwerbseinkommen mit der Steuerschuld verrechnet wird. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die nicht gesicherte Finanzierung. Das von Althaus konzipierte „solidarische Bürgergeld“ würde sage und schreibe 740 Mrd. Euro kosten, was einem Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands entspricht. Des Weiteren muss das Argument angezweifelt werden, wonach sich die Menschen mit der Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens von den Zwängen der Arbeitsgemeinschaft befreien würden. Fakt ist, dass Grund zur Sorge besteht, falls ein Teil der Menschen gar nicht mehr arbeiten will bzw., dass sich besonders für unangenehme Arbeiten niemand mehr finden würde. Zielführender ist in diesem Zusammenhang tatsächlich die von der SPD initiierte Diskussion um einen gesetzlichen Mindestlohn.
Mit freundlichem Gruß,
Johannes Kahrs