Frage an Johannes Kahrs von Thorsten K. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Kahrs,
ich beziehe mich auf die jüngste Änderung des EStG.
Eine genaue Erklärung des Sachverhalts finden Sie unter diesem Link:
https://boerse.ard.de/anlagestrategie/steuern/verlustverrechnung-verbaende-laufen-sturm100.html
Herr de Vries, an den ich mich zuvor gewandt hatte, erklärte, die Änderung sei ein "Kompromiss an den Koalitionspartner" gewesen.
Bitte schildern Sie mir, welcher Zweck mit dieser Änderung verfolgt wird.
In der Realität bewirkt dieser neue Passus, dass steuerliche Risiken für Anleger potenziell unkalkulierbar sind und Menschen, die zum Beispiel ihr Wertpapierdepot mit Optionsscheinen absichern, bis in die Privatinsolvenz getrieben werden können.
Zwar kann der Verlust in die Folgejahre vorgetragen werden, allerdings ist naheliegend, dass, wenn jährlich nur TEUR 10 anrechenbar sind, sich die Verluste ins theoretisch Unendliche steigen und zu Lebzeiten nicht mehr geltend gemacht werden können.
Soweit der Derivatehandel für Privatanleger durch die Änderung unattraktiv gemacht werden soll, so verweise ich auf entsprechende regulatorische Maßnahmen in den letzten Jahrens seitens der ESMA und der BAFIN.
Tatsächlich ist es so, dass die Verlustrisiken für den Privatanleger bei fast allen Derivaten auf die Höhe der ursprünglichen Einlage beschränkt sind.
Durch die Änderung des EStG besteht allerdings nun das erhebliche und in der Praxis auch wahrscheinliche Risiko, dass Bürger mehr Steuern abtreten müssen, als sie überhaupt das Jahr über verdient haben.
Ich bitte diesbezüglich um eine Stellungnahme.
Moin Herr Kock,
vielen lieben Dank für Ihre Nachricht. Hierzu musste ich zunächst einmal meine Arbeitsgruppe Finanzen ins Boot holen, da ich kein Steuerexperte bin, sondern Haushaltspolitiker.
Im Rahmen des (etwas langatmig formulierten) "Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen" wurde eine Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften, insbesondere aus dem Verfall von Optionen, und wertlosen Kapitalforderungen beschlossen. Die Begrenzung der Verlustverrechnung gilt für im Privatvermögen gehaltene Kapitalforderungen.
Richtig ist: Unternehmen, die Kapitalanlagen im Betriebsvermögen halten, sind davon nicht betroffen.
Verluste aber aus dem Ausfall von im Privatvermögen gehaltenen Kapitalforderungen konnten bisher steuerlich nicht geltend gemacht werden.
Dies entsprach dem Grundsatz, dass Erträge/Verluste aus der Kapitalnutzung steuerlich berücksichtigt werden, Wertänderungen am Kapitalstamms aber unbeachtlich sind.
Der Bundesfinanzhof ist in seiner Rechtsprechung von diesem Grundsatz nun abgerückt:
Durch die jetzt getroffene Regelung wird darum eine beschränkte Verlustverrechnung zugelassen.
Die Verluste aus dem Ausfall von Kapitalforderungen, etwa einer wertlos gewordenen Aktie, werden insoweit anerkannt, dass sie mit Einkünften aus Kapitalvermögen bis zur Höhe von 10.000 Euro ausgeglichen werden.
Nicht verrechnete Verluste können auf Folgejahre vorgetragen werden und jeweils in Höhe von bis zu 10.000 Euro mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden.
Verluste aus verfallenen Optionen konnten von 2016 bis 2019 steuerlich geltend gemacht werden.
Jetzt kommt's: Mit der nunmehr getroffenen Regelung können Verluste aus Termingeschäften nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und den Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden.
(Die Verlustverrechnung ist dabei ebenfalls beschränkt auf 10.000 Euro.)
Nicht verrechnete Verluste können auf Folgejahre vorgetragen werden und jeweils in Höhe von 10.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften oder mit Stillhalterprämien verrechnet werden.
Eine Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften ist in unseren Augen auch gerechtfertigt, da es sich dabei i.d.R. um riskante Finanzwetten handelt, hinter denen kein realwirtschaftlicher Absicherungszweck steht. Solche spekulativen Zwecke sollten nach unserer Auffassung im Verlustfalle nicht in vollem Umfang zu Lasten der Allgemeinheit gehen.
Durch die Beschränkungen wird die Verlustverrechnung nicht versagt, sondern zeitlich gestreckt.
Kleinanlegern wird die steuerliche Berücksichtigung der Verluste i.d.R. sofort gewährt!
Für Anleger mit höheren Vermögenswerten ist die Begrenzung der Verlustverrechnung vertretbar, da diese für ihre in größerem Umfang erzielten Kapitalerträgen durch den niedrigen Abgeltungssteuersatz von 25 Prozent begünstigt werden.
Entgegen der Behauptung von Kritikern der Neuregelung stellt die Beschränkung der Verlustverrechnung aus dem Ausfall von Kapitalanlagen auch kein ernsthaftes Hindernis für das Altersvorsorgesparen dar.
Bei der Kapitalanlage zum Zwecke der Altersvorsorge sind langfristig orientierte Investitionen in risikoarme Kapitalanlagen zu empfehlen.
Altersvorsorgesparer dürften deshalb von einem Ausfall von Kapitalanlagen kaum betroffen sein.
Wir beobachten das aber weiter und werden sehen, wie das in der Praxis umgesetzt werden.
Sollten es für Altersvorsorgesparer eine negative Entwicklung diesbezüglich geben, werden wir rechtlich nachsteuern.
Es kann nicht in unserem Sinn sein, das die Altersvorsorge doppelt und dreifach besteuert wird!
Fröhlicher Gruß
Ihr
Johannes Kahrs