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Johannes Kahrs
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Frage von Sabine B. •

Frage an Johannes Kahrs von Sabine B. bezüglich Verkehr

Sehr geehrter Herr Kahrs,

ich habe heute über YouTube, die Rede von Frau Wagenknecht im BT vefolgt und ganz betroffen erleben müssen, wie niveaulos sich Abgeordnete der SPD zum Thema Autobahnprivatisierung verhalten. Da ich selber ÖPP Projekte begleitet habe, konnte ich dem fundierten Redebeitrag der Linken gut folgen. Das Verhalten der SPD Abg.und die Zwischenrufe lassen gute Rückschlüsse ziehen in welchem desolaten Zustand sich ihre Partei befindet.
Denken Sie ernsthaft, dass Sie mit dieser Politik des Ausverkaufs und Ihr Verhalten in der Öffentlichkeit, Bürger überzeugen können SPD zu wählen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Boersma,

Ihnen mag die populistische Rede von Frau Wagenknecht gefallen haben. Das ändert aber nichts daran, dass sie inhaltlich mit der Realität herzlich wenig zu tun hatte. Das wundert mich nicht, denn ich habe Frau Wagenknecht bei keiner der monatelangen Verhandlungen, Expertenanhörungen und Diskussionen gesehen. Ich war dabei und ärgere mich über die Diskreditierung der Arbeit aller Beteiligten und des gesamten parlamentarischen Verfahrens durch die Rede von Frau Wagenknecht. Ihr populistischer Duktus nutzt weder der Sache noch der Bundesrepublik Deutschland und auf lange Sicht auch nicht der Linken.

Aber lassen Sie mich zur Sachebene zurückkehren:
Stellen Sie sich vor, Sie planen mit Freunden eine Party, und jeder bekommt den Auftrag, sich um etwas zu kümmern – Grillfleisch, Getränke, Musik. Sie bezahlen, aber die Freunde erledigen die Aufträge entweder, wie sie es für richtig halten, oder gar nicht: „Tofu sah irgendwie besser aus“, „Was spricht gegen Bier mit Ananas-Geschmack?“, „sorry, war zu spät dran“.
Frustrierend? So ähnlich läuft es in Deutschland beim Bau von Autobahnen und Bundesstraßen. Der Bund plant für die Republik und gibt das Geld, aber gebaut wird von Straßenbaubehörden der Länder. Die funktionieren mal besser, mal schlechter, sind teilweise unterbesetzt und kaputtgespart, oft nicht nur für Bundesstraßen zuständig, sondern auch für Landesstraßen. Auftragsverwaltung nennt man das.

Damit ist jetzt Schluss. In Zukunft kümmert sich der Bund um alles selbst. Damit er das kann, gründet er erstens eine neue Behörde, das Fernstraßen-Bundesamt, und zweitens eine neue Verkehrsinfrastrukturgesellschaft, die Planung, Bau, Unterhalt und Betrieb aller Autobahnen und mancher Bundesstraßen organisieren wird. Beschlossen haben das 16 zu 0 die Regierungschefs der Länder (inklusive Kretschmann von den Grünen und Ramelow von der Linken), als sie sich mit der Bundesregierung auf die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen verständigt haben.
Was sich leider in Teilen der medialen Öffentlichkeit festgesetzt hat, ist eine Unterstellung: angeblich diene die neue Verkehrsinfrastrukturgesellschaft nur dem Zweck, die deutschen Autobahnen zu privatisieren, sprich an private Investoren wie Versicherungskonzerne zu verhökern. Das ist grober Unfug. Das zeigt sich, wenn man die zentralen Vorwürfe analysiert.

Vorwurf Nummer 1: Die neue Gesellschaft wird eine GmbH. Richtig ist: Juristen bezeichnen das als „formale Privatisierung“, weil der Staat hier nicht als Behörde auftritt. Das ist aber nicht das, was die meisten Menschen unter „Privatisierung“ verstehen. Deutschland organisiert einen Großteil seiner Entwicklungshilfe über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) – eine GmbH. Droht deswegen die Privatisierung der deutschen Entwicklungshilfe? Der Staat gibt die neue Bundesfernstraßen-GmbH nicht aus der Hand. Denn wir als SPD haben dafür gesorgt, dass im Grundgesetz steht: Die GmbH ist unveräußerliches Eigentum des Bundes und niemand darf sich an ihr oder ihren Tochtergesellschaften beteiligen, weder direkt noch indirekt. GmbH ja, aber 100 Prozent Staats-GmbH, null Privatisierung.

Vorwurf Nummer 2: Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) ist erlaubt. Stimmt, aber das war es bislang auch – grenzenlos. Theoretisch hätte man ein ÖPP-Projekt ans andere setzen können, bis irgendwann alle Strecken als ÖPP realisiert sind. Wir als SPD haben durchgesetzt, dass erstmals klare Grenzen für ÖPP im Grundgesetz stehen: ÖPP sind nur noch für einzelne Projekte möglich, nicht für Streckennetze, die einen wesentlichen Teil des Autobahnnetzes bzw. des Bundesstraßennetzes in einem Bundesland umfassen. Berlin zum Beispiel hat weniger als 100 Kilometer Autobahn – da geht wenig bis nichts, bis die Wesentlichkeitsschwelle erreicht ist. Wer da mit Überschriften-Aktionen nahelegt, es könnte wegen ÖPP bald eine Extra-Maut auf der Berliner Stadtautobahn geben, ist entweder schlecht informiert oder will falsch informieren.

Vorwurf Nummer 3: Nicht alles, was wichtig ist, steht jetzt im Grundgesetz, sondern ist „nur einfachgesetzlich“ geregelt. Das trifft zu. Aber erstens können auch „einfache“ Gesetze nur mit Mehrheit im Parlament geändert werden und nicht durch Ministerien oder Geschäftsführer einer Gesellschaft. Im Gesetzentwurf stand beispielsweise nichts zur Kreditfähigkeit der Gesellschaft. Jetzt steht da ein klares gesetzliches Verbot: „nicht berechtigt, Kredite am Markt aufzunehmen.“ Zweitens gehören Mehrheitsentscheidungen zur Demokratie, wie das Grundgesetz sie will: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen … ausgeübt.“ Atomausstieg, Rente nach 45 Beitragsjahren, gesetzliche Krankenversicherung, Steuerpolitik – all das ist „nur“ in Gesetzen geregelt, die von einer „einfachen“ Mehrheit jederzeit geändert werden können. Genau deswegen mache ich auch dieses Jahr wieder Wahlkampf für die SPD: Weil ich davon überzeugt bin, dass Wahlen einen Unterschied machen und machen müssen.

Die Verfassung kann nur mit 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat geändert werden und sollte sich deshalb darauf beschränken, den Rahmen richtig zu setzen. Genau das haben wir in diesem Fall getan: Eine Privatisierung der deutschen Autobahnen ist erstmals verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Auf Druck der SPD in Bundesregierung und Bundestag wurden mögliche Hintertüren geschlossen, die CDU-Finanzminister Schäuble und CSU-Verkehrsminister Dobrindt bewusst eingebaut hatten.
Wer etwas anderes behauptet, ist nicht an einer sachlichen Auseinandersetzung interessiert, sondern an Stimmungsmache. Aus offensichtlicher Verärgerung darüber, dass die SPD wie versprochen einen Kritikpunkt nach dem anderen beseitigt hat, greift man zu immer verzweifelteren Mitteln. Selbst Berichte des Bundesrechnungshofes, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit haben, werden pauschal als „fragwürdig“ diskreditiert, weil dem amtlichen Prüfsiegel „etwas Politisches“ anhafte. Ich halte das für unlauter.
Am Ende werden die nächsten Jahre zeigen, wer Recht hat. Ich bin überzeugt, dass wir die Chance haben, durch zentrale Finanzierung und Organisation das Durcheinander der eingangs geschilderten Grillfeier zu vermeiden und stattdessen eine richtig gute Sache auf die Beine zu stellen. Selbst wenn die Umsetzung dieser großen Reform hier und da schwierig werden sollte: Eine Privatisierungs-Party wird es ganz sicher nicht, sondern eine öffentliche Veranstaltung.

Mit freundlichem Gruß

Johannes Kahrs