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Frage von Stephan V. •

Frage an Johannes Kahrs von Stephan V. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Kahrs,

in Medien wie Bild.de und Spiegel Online wurde heute berichtet, zu welchen Verschärfungen es für HartzIV-Empfänger*innen kommt. Grundlage hierfür ist das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, beschlossen von der Bundesregierung.
Hauptsächlich geht es mir um die Änderungen beim §34. Sogenanntes "sozialwidriges Verhalten" soll schärfer und umfassender geahndet werden als bisher. Mal ganz abgesehen von der Schwammigkeit des Begriffes, welcher die Sozialgerichte massiv beschäftigen wird, finde ich den ganzen Ansatz abstoßend; er erinnert mich an Gesinnungsschnüffelei. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, das hier alles mit dem (Nicht-)Wohlwollen der Sachbearbeitenden steht und fällt. Es finden hier Bewertungen und Zuschreibungen in den privatesten Umständen statt, die ich menschenunwürdig finde.
Aber selbst wenn man die Sanktionierung aufgrund des "sozialwidrigen Verhaltens" für gerechtfertigt hält: neu ist, das nun bei solchen "Verstößen" Ersatzansprüche bis zu drei Jahren rückwirkend eingetrieben werden sollen. Dies umfasst sämtliche vom Jobcenter gezahlte Leistungen, bis hin zu Pflegebeiträgen und Lebensmittelgutscheinen. Wir reden hier also über mehrere tausend Euro. Wie soll eine auf HartzIV angewiesene Person das leisten? Wie soll eine Person das leisten, die wieder im Arbeitsmarkt ist und normal verdient? Mit mehreren tausend Euro Schulden. Was ist das Sozialkonzept hinter dieser Verschärfung? Ist es wahrscheinlich, das eine Person mit 10.000 Euro Hartz-Schulden sich einen Job sucht, um sofort Privatinsolvenz anzumelden?
Wenn man diese Sanktionen für gerechtfertigt hält, was ich nicht tue, dann kann sich das doch höchstens im Nicht-Auszahlen oder Kürzen von laufenden Leistungen äußern. Aber Menschen nachträglich auch noch in die Verschuldung stürzen?
Herr Kahrs, ich frage Sie als Bundestagsabgeordneten meines Wahlkreises und Sozialdemokraten: Werden Sie etwas gegen diese Verschärfungen unternehmen?

MfG S.Voß

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Voß,

vielen Dank für Ihre Fragen.

In der Tat wurden mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch Änderungen an § 34 vorgenommen. Dieser Paragraph beinhaltet die von Ihnen benannten „Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten“ aber bereits seit dem Jahr 2011 - es handelt sich also um ein Gesetz, dass in der schwarz-gelben Regierungszeit beschlossen wurde. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der aber seither von der Rechtsprechung der Sozialgerichte ausgeformt und diskutiert wird. Ob sozialwidriges Verhalten vorliegt, ist immer eine Frage des Einzelfalls. Die behördliche Entscheidung wird dabei von einzelnen Sachbearbeitern getroffen. Dass damit Einblicke in das Privatleben der Leistungsempfänger verbunden sind, ist eine empfindliche Tatsache, für eine Entscheidung im Einzelfall aber unabdingbar. Dies soll aber natürlich nicht dazu führen, dass der Leistungsempfänger unter menschenunwürdigen Umständen Rechenschaft über jegliche Lebensvorgänge ablegen muss. Der Rechtsweg vor den Sozialgerichten steht dabei jedem Leistungsempfänger offen, der sich in seiner Sache zu Unrecht gemaßregelt fühlt.

Dennoch ist es unausweichlich, dass die Grundsicherung für Arbeitssuchende mit Anforderungen an den Leistungsempfänger verbunden ist. Im SGB II gilt wie auch im sonstigen Sozialrecht das Prinzip „Fördern und Fordern“. Gefordert wird vom Leistungsempfänger, dass er aktiv an seiner Rückführung in den Arbeitsmarkt mitarbeitet und sich an Termine und Verabredungen hält. Geahndet wird durch § 34 aber nicht jeder Verstoß. Erst wenn die Behörde feststellen muss, dass der Leistungsempfänger mit einem sozial zu missbilligenden Verhalten seine Integration in den Arbeitsmarkt verhindert, kann ein solcher Fall angenommen werden. Nach einhelligen Kommentierungen zum § 34 handelt es dabei um einen deliktsähnlichen Ausnahmetatbestand. Es besteht kein Generalverdacht des sozialwidrigen Verhaltens gegen den Leistungsempfänger, der den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nicht auf Anhieb schafft. Dies verdeutlicht die Gesetzesänderung an anderer Stelle, indem sie längere Fördermöglichkeiten für Langzeitarbeitslose schafft.

Neu eingeführt wurde durch die Gesetzesänderung die Rückzahlungspflicht über Sozialversicherungsbeiträge. Dass diese bisher nicht aufgezählt waren, ist auf ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers zurückzuführen (Bundestagsdrucksache 18/8909); der Rückzahlungsanspruch bezüglich der Pflegeversicherungsbeiträge bestand bereits vorher. Auch die Verjährungsfrist von 3 Jahren war bereits seit 2011 in der Regelung enthalten. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Regelung auch eine Härtefallklausel beinhaltet. Diese erlaubt es, von der Rückforderung der Leistungen abzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger eine besondere Härte darstellen würde.

Neben diesen Änderungen des § 34 SGB II umfasst die Gesetzesänderung auch viele Verbesserungen für Arbeitslosengeld II-Beziehende: Mehr Flexibilität bei der öffentlich geförderten Beschäftigung durch längere Fördermöglichkeiten und bessere Unterstützung, verlängerte Bewilligungszeiträume für Leistungsbescheide und bessere Möglichkeiten zur Ausbildungsförderung, Schutz von Arbeitslosengeld II durch Pfändung und längere Fördermöglichkeiten von Langzeitarbeitslosen durch eine nachgehende Unterstützung. Aus diesen Gründen unterstützt die SPD diese Gesetzesänderung.

Gerne hätte die SPD noch andere Entlastungen für Leistungsempfänger in das SGB II aufgenommen, wie z.B. eine Bagatellgrenze für Rückforderungen, die einen bestimmten Betrag unterschreiten. Auch das Vorhaben der Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles, verschärfte Sanktionen für junge Menschen abzuschaffen, scheiterte am Widerstand der CSU und Teilen der Union. Dies sind leider die Kompromisse in einer großen Koalition. Die Änderungen am SGB II sehen wir in vielerlei Hinsicht als eine Verbesserung für Leistungsempfänger und für Behördenmitarbeiter, die auch dazu führen wird, dass die Arbeitsbelastung in den Behörden abnimmt und somit die Grundlage für eine bessere Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten besteht.

Mit freundlichem Gruß
Johannes Kahrs