Frage an Johannes Kahrs von Wolf L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kahrs
ich mache mir seit vielen Monaten Sorgen um die sich immer weiter verkleinernden Spielräume der Politik gegenüber den Großkonzernen und Banken. Vor allem habe ich die Sorge, dass die Bürger immer weniger Vertrauen in die Politik und damit gegenüber den Politikerinnen und Politikern haben, wenn sie feststellen, dass die Wünsche der Multinationalen Konzerne mehr zählen als der in Umfragen ermittelte Wusch der Bürger.
Nun kommt meine konkrete Frage:
Wie stehen Sie zu den geplanten Freihandels- und Investitionsschutzabkommen CETA und TTIP?
Wie stehen Sie zur organisierten Entmachtung der Politiker durch Konzernlobbyisten, die dann im "Regulierungsrat" und anderen demokratisch nicht legitimierten Gremien schon mal vorab entscheiden, über was nachher die Abgeordneten noch abstimmen dürfen?
Finden Sie es nicht auch einer Demokratie unwürdig, dass selbst Abgeordnete erst nach jahrelangen Protesten einen dann auch noch eingeschränkten Zugang zu den verhandelten Texten gewährt wird und dies darüber noch nicht einmal mit anderen reden, geschweige den sich Kopien oder Notizen machen dürfen...?
Beteiligen Sie sich auch an der Verschleierungstaktik von Herrn Gabriel, mit den absurden Behauptungen "TTIP ist schlecht" "CETA ist gut"?
Oder geht es Ihnen wie 70% der Bürger, die sich in Umfragen gegen die Fortsetzung der Geheimverhandlungen zu TTIP und gegen die vorläufige Inkraftsetzung von wichtigen CETA Regelungen durch die EU Kommission. ?
Klar ist doch : Beide Abkommen sind eine Gefahr für unsere Demokratie, für Sozial- und Umweltstandards, die öffentliche Daseinsvorsorge und die kulturelle Vielfalt.
Wie sehen Sie hier Ihre Aufgabe als gewählter Volksvertreter?
Kann ich damit rechnen, dass Sie im Interesse von Mensch und Umwelt und nicht für den Profit Ihre Stimme erheben?
Wie werden Sie als SPD Mitglied abstimmen, wenn Herr Gabriel Ihre Stimme für CETA haben möchte?
Mit besorgten Grüßen
Wolf Langlotz
Moin Herr Langlotz,
vielen Dank für ihre Frage bezüglich der CETA und TTIP Abkommen.
Gerade die SPD ist in ihrer Geschichte immer für hohe soziale Standards und Arbeitnehmerrechte eingetreten. Wir können Stolz sein auf die in der Vergangenheit für Deutschland und Europa erreichten Standards und müssen auch im Hinblick auf die folgenden Generationen weiterhin für deren Fortbestand und die Verbesserung einzelner Punkte eintreten. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, die beiden von Ihnen thematisierten möglichen Abkommen differenziert zu betrachten. Weder die SPD noch Herr Gabriel bedienen sich einer Verschleierungstaktik bezüglich der Verhandlungen. Vielmehr ist die SPD die einzige etablierte Partei, die bereit ist sich den kontroversen und herausfordernden Debatten rund um das Thema offen, ehrlich und vor allem konstruktiv zu stellen. Die SPD ist sich und ihrer Haltung seit Beginn der Verhandlungen treu geblieben: Die Zustimmung zum Freihandelsabkommen CETA muss selbstverständlich auf demokratische und transparente Weise erfolgen. Daran haben wir nie irgendwelche Zweifel aufkommen lassen und es ist mir ein persönliches Anliegen, dies zu betonen.
Ihre Einschätzung, dass das CETA-Abkommen undemokratisch zustande kommen würde kann ich nicht nachvollziehen. Wir stehen gerade erst am Beginn eines längeren demokratischen Prozesses unter Beteiligung aller betroffener Parlamente. Die weiteren Schritte innerhalb dieses Verfahrens sind durch das EU-Recht sehr deutlich festgelegt. Die Europäische Kommission legt dem Rat nach Abschluss der Verhandlungen, nach Abschluss der Rechtsprüfung und nach Erstellung der Übersetzungen Vorschläge für die weitere Behandlung vor. Dementsprechend hat die Europäische Kommission inzwischen dem Rat die Unterzeichnung, den Abschluss und die vorläufige Anwendung vorgeschlagen und der Deutsche Bundestag hat diese Dokumente auch erhalten. Wenn dann der Rat dem Abkommen, dessen Unterzeichnung und der vorläufigen Anwendung zustimmen sollte, wird CETA im Europäischen Parlament eingehend geprüft, beraten und abgestimmt werden. So ist es im Lissabon Vertrag für internationale Verträge festgelegt. Nach der Zustimmung des Europäischen Parlamentes kann CETA vorläufig angewendet werden. Laut geltender Rechtslage und laut des Lissabonner Vertrages können allerdings nur solche Teile des Abkommens von CETA vorläufig angewendet werden, die vollständig vergemeinschaftet sind. Dies ist zum Beispiel bei dem Streitthema Investitionsschutz nicht der Fall. Damit ist ein zentraler Bereich des Abkommens von der vorläufigen Anwendung explizit ausgenommen. Die Parlamente werden also keinesfalls unterwandert, oder in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt. Erst wenn das Europäische Parlament und alle nationalen Parlamente der 28 EU-Mitgliedstaaten zugestimmt haben, tritt das Abkommen vollständig in Kraft. Wenn der Bundestag und der Bundesrat dem Abkommen nicht zustimmen, wird es auch als Ganzes nicht in Kraft treten. Selbst das vorläufige Inkrafttreten ist erst nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments möglich.
Kanada gehört zu unseren wichtigsten internationalen Handelspartnern. Trotzdem haben wir immer noch kein gemeinsames und für beide Seiten vorteilhaftes Handelsabkommen abgeschlossen. Meiner Meinung nach ist es gelungen, mit Kanada ein Abkommen zu verhandeln, das hohe Standards setzt und gleichzeitig die wirtschaftliche Kooperation zwischen den Ländern deutlich verbessert. Die gegenseitige Öffnung des kanadischen und europäischen Marktes für Güter, Dienstleistungen und Investitionen bietet neue Marktchancen für Unternehmen, sichert und schafft Arbeitsplätze und gibt Verbrauchern mehr Wahlmöglichkeiten. CETA sieht einen weitgehenden Zollabbau, einen für Kanada bislang beispiellosen Zugang von Unternehmen zu den jeweils anderen Beschaffungsmärkten, eine Rahmeneinigung über die erleichterte gegenseitige Anerkennung beruflicher Qualifikationen, leichteren temporären Austausch von Mitarbeitern zwischen der EU und Kanada, Abbau unnötiger Testverfahren und Verbesserungen des Schutzes geistigen Eigentums vor. Gerade für eine Exportnation wie Deutschland ist dies von erheblicher Bedeutung. Jeder vierte Arbeitsplatz hierzulande hängt vom Export ab, in der Industrie ist es jeder zweite.
Weil wir globale Standards für einen fairen und nachhaltigen Welthandel setzen und den Abbau von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen im gegenseitigen Interesse voran bringen wollen, unterstützt die SPD die EU grundsätzlich in dem Vorhaben.
Wir sind also für eine Einigung, aber nicht um jeden Preis!
Der Große Unterschied zwischen TTIP und CETA liegt für mich in dem Entgegenkommen der jeweiligen Regierungen. Bei CETA war die Kanadische Regierung bereit uns entgegenzukommen, deswegen blicken wir auch den zukünftigen Verhandlungen eher positiv entgegen. Die kanadische Regierung hat beispielsweise bereits sieben von acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert und wird innerhalb der nächsten Wochen auch die achte annehmen. Wenn Sie den Beschluss des Parteikonvent in Wolfsburg vom 19. September 2016 lesen, wird Ihnen auffallen, dass der Beschluss mitnichten einen Freifahrtschein darstellt, sondern vielmehr eine Klarstellung der SPD Forderungen.
Unter anderem ist hiernach sicherzustellen:
1. ,dass beim Investitionsgerichtshof die Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidungen gesichert ist und dass die materiellen Rechtsstandards durch klare Definitionen unseriöse Forderungen ausschließen.
2. ,dass die acht ILO Kernarbeitsnormen ratifiziert werden, der soziale Dialog gut ausgestaltet wird, das Verfahren zur Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards wirkungsvoll genug ist und welche Sanktionsmöglichkeiten bei einem Verstoß dagegen sinnvoll eingesetzt werden können.
3. ,dass es im Dienstleistungsbereich zu keinen unkontrollierten Liberalisierungen kommen kann. Es muss überprüft werden, ob die vorgesehenen Schutzvorbehalte tatsächlich alle Bereiche der Daseinsvorsorge ausreichend und umfassend sichern oder ggf. Ergänzungen nötig sind. Gerade die allgemein wirtschaftlichen Interessen der Kommunen müssen Geschützt bleiben.
Bei den USA und TTIP liegen die Dinge leider ganz anders. Die US-Regierung beharrt auf vielen, für uns unakzeptablen Punkten und scheint nicht zu den notwendigen Kompromissen bereit. Mit der SPD wird es nur ein Abkommen geben, das den Interessen der Bürgerinnen und Bürgern und unserer Wirtschaft nützt. Solange diese Bedingung nicht gewährleistet ist, wird es keine Zustimmung der SPD und Deutschlands geben. Ein Freihandelsabkommen mit den USA an sich ist also nicht automatisch schlecht, lediglich die aktuell vorliegende Form ist für eine Sozialdemokratische Partei nicht zur Zustimmung geeignet.
Ich hoffe ich konnte Ihnen darlegen, warum die beiden Abkommen differenziert zu betrachten sind und dass der Beschluss des Parteitags in Wolfsburg keine Blanko Zustimmung zu CETA darstellt, sondern klare Forderungen beinhaltet.
Mit freundlichem Gruß,
Johannes Kahrs