Frage an Johannes Kahrs von Tom V.
Sehr geehrter Herr Kahrs,
Vielleicht können Sie mir erklären, wie es möglich ist, dass Sie und andere Mitglieder der SPD für ein Gesetz zur Reduzierung und Regulierung der Gewerkschaften stimmen, aber kein Gesetz zur Regulierung der Finanzwelt (Stichtwort: Transaktionssteuer) durchsetzen können?
Die SPD war traditionell in politischer Nähe zu den Gewerkschaften zu finden. Als vor 70 Jahren (monatsgenau!) die Gewerkschaften zerschlagen wurden, war die SPD noch in der Opposition. Ist mit dem Tarifeinheitsgesetz hat sie scheinbar die Seiten gewechselt, oder können Sie erläutern, wie diese scheinbar diametral engegengesetzten Positionen sich miteinander vereinbaren lassen?
Sehr geehrter Herr Vogt,
vielen Dank für Dank für Ihre Fragen.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat vor der Verabschiedung im Bundestag eine Sachverständigenanhörung durchgeführt, die unseres Erachtens die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit gezeigt hat. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Reiner Hoffmann, attestierte dem Gesetzesentwurf, dass er geeignet ist, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu stützen. Er wies darauf hin, dass für die Gewerkschaften des DGB das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ politische Grundlage des Handelns im Betrieb, in der Branche und in der Gesellschaft sei. Dies könne nun mit dem Gesetz verwirklicht werden.
Wiederholt wurden von den Sachverständigen in der Anhörung die zahlreichen Möglichkeiten hervorgehoben, wie mehrere Gewerkschaften eine Tarifkollision im Betrieb aus eigener Kraft aufheben können. Die Auflösungswege des Gesetzesentwurfs greifen möglichst wenig in das Gefüge der Sozialpartner ein. Mit dem Tarifeinheitsgesetz stellen wir im Ergebnis den bewährten Rechtszustand wieder her, der bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in 2010 galt: In jedem Betrieb soll für eine Beschäftigtengruppe nur ein Tarifvertrag gelten.
Das Gesetz ist ein weiterer Baustein zur Sicherung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Der Grundsatz der Tarifeinheit greift als Kollisionsregel nur, wenn es den Tarifvertragsparteien nicht gelingt, durch autonome Entscheidungen Tarifkollisionen zu vermeiden. Kann eine Tarifkollision nicht vermieden werden, ist in dem Umfang, in dem sich in einem Betrieb die Tarifverträge für eine Beschäftigtengruppe überschneiden, nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft anwendbar, die im Betrieb über die meisten Mitglieder verfügt. Ein Gesetz zur „Reduzierung der Gewerkschaften“ ist das Tarifeinheitsgesetz somit in keiner Weise.
Wir sorgen mit dem Gesetz dafür, dass die Tarifautonomie sich auch weiterhin an den Interessen der Gemeinschaft sowie dem Wohl des Gesamtbetriebes und aller dort Beschäftigten ausrichtet. Denn die grundgesetzlich verbriefte Koalitionsfreiheit steht nicht im leeren Raum, sondern ist verknüpft mit gesellschaftlicher Verantwortung aller Beteiligten.
Einen „Seitenwechsel“, wie Sie es nennen, kann ich beim besten Willen nicht erkennen, insbesondere, wenn man bedenkt, dass die andere Seite, die Sie ansprechen, die Nationalsozialisten waren. Ein solcher Vergleich verbittet sich.
Was die Finanztransaktionssteuer angeht: Die SPD ist seit längerem für eine Finanztransaktionssteuer. CDU/CSU seit Mitte der letzten Legislaturperiode ebenfalls dafür, somit spricht sich die Große Koalition auch laut Koalitionsvertrag für eine Einführung aus. Das Problem bei dieser Steuer ist allerdings: sie ergibt nur auf europäischer, besser noch internationaler Ebene Sinn. Einige Länder, wie Großbritannien etwa, versperren sich noch gegen die Steuer. Die SPD und auch die derzeitige Koalition werden sich aber weiter für die EU-weite Einführung einsetzen.
Mit freundlichem Gruß
Johannes Kahrs