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Johannes Kahrs
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Frage von Adalbert M. •

Frage an Johannes Kahrs von Adalbert M.

Die SPD wollte die sachgrundlose Befristung abschaffen (siehe Wahlprogramm der SPD). Dann hat die SPD gegen ihren erklärten Willen für die sachgrundlose Befristung gestimmt. Sie, Herr Kahrs, haben auch dafür gestimmt. Im Ausschussbericht steht, dass die SPD eigentlich dagegen war und auch heute noch dagegen ist. Gleiches sagen Abgeordnete der SPD sowohl in ihren Stellennahmen zum eigenen Abstimmverhalten als auch in späteren Bundestagsreden.

Warum hat man dieses Thema nicht "freigegeben"? Warum stimmen die Abgeordneten der SPD gegen Ihr Gewissen? Ist das Abstimmverhalten der SPD ein Vertragsbruch gegenüber den Wählern, die auf das SPD Programm vertraut haben?

Wie wollen Sie die sachgrundlose Befristung beseitigen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Mark,

vielen Dank für Ihre Frage.
Ich verstehe grundsätzlich die Enttäuschung der Wähler, wenn bestimmte Wahlversprechen nicht eingehalten werden können. Diese Enttäuschung basiert jedoch meiner Meinung nach vielfach auf einem Missverständnis. Ein Wahlprogramm beschreibt die geplante Politik einer Partei unter optimalen Mehrheitsverhältnissen. Hat die Partei die absolute Mehrheit, darf und muss von ihr erwartet werden, ihr Programm möglichst eins zu eins umzusetzen. Schon wenn Koalitionsverhandlungen nötig sind, weil keine absolute Mehrheit erreicht wurde, sind zwangsläufig Kompromisse notwendig, da unterschiedliche Wahlprogramme aufeinander treffen. Mit verschiedenen Koalitionspartner ergeben sich unterschiedliche Kompromisse - hätte das Wahlergebnis beispielsweise eine rot-grüne Koalition zugelassen, wären sicher weniger Kompromisse notwendig gewesen als in der Großen Koalition. Dies hätte z.B. für die sachgrundlose Befristung gegolten, da sich SPD und Grüne diesbezüglich im Grundsatz einig waren. Aber auch in dieser Konstellation hätte die SPD sicherlich auf bestimmte andere Forderungen aus dem eignen Wahlprogramm verzichten müssen.

Das Wahlergebnis von 2013 war mit 25,7% für die SPD alles andere als optimal. Die CDU/CSU hingegen hat 41,5% der Stimmen erhalten. Damit war klar, dass die SPD für ihr Wahlprogramm nicht die erforderlichen Stimmen vom Wähler bekommen hat. In Anbetracht dieser Mehrheitsverhältnisse trägt der Koalitionsvertrag eine geradezu überraschend sozialdemokratische Handschrift und das Regierungshandeln bestätigt diesen Eindruck. Es waren vor allem sozialdemokratische Bundesminister und sozialdemokratische Positionen, die das Handeln der aktuellen Regierung in den vergangenen 15 Monaten prägten: Mindestlohn, Rentenpaket, Mietpreisbremse, Frauenquote, Investitionen in Forschung, Bildung sowie Infrastruktur und einiges mehr. Weitere Projekte packen wir derzeit an, wie beispielsweise eine Wohngeldreform, von der in erster Linie Rentner und Familien profitieren sollen. Mit der Durchsetzung dieser Wahlversprechen hat die SPD meiner tiefen Überzeugung nach bereits einiges für viele Menschen in unserem Land erreicht.

Nun gibt es in der Tat sozialdemokratische Positionen, mit denen wir uns gegenüber der CDU/CSU nicht durchsetzen konnten, weil die Unionsparteien nicht bereit waren, ihre eigenen Positionen zu räumen. Ich persönlich hätte mich nach Jahren des Ringens sehr über eine vollständige Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare gefreut, um endlich eine der letzten unsäglichen Diskriminierungen in Deutschland zu beenden. Leider berührt dies jedoch scheinbar den konservativen Markenkern der Unionsparteien zu sehr, als das sie diesbezüglich hätten zustimmen können. Ich finde das sehr bedauerlich, nicht zuletzt weil ich selbst betroffen bin und mich weiterhin ungleich behandelt fühle. Trotzdem glaube ich, dass die SPD mit dem Koalitionsvertrag und der schrittweisen Durchsetzung des Vertrags zu viel für ihre Wähler und für Deutschland insgesamt erreicht hat, als dass es gerechtfertigt gewesen wäre, sich deswegen einer Koalition mit der Union zu verweigern. Dies alles analysiert, kann von einem Vertragsbruch seitens der SPD gegenüber dem Wähler hier wohl kaum die Rede sein. Politik ist die Kunst das machbare zu erkennen und umzusetzen. Hierbei macht die SPD in Anbetracht der aktuellen politischen Mehrheitsverhältnisse einen hervorragenden Job.

Ihre Frage zielt nun drauf ab, warum die SPD sich bei Abstimmungen im Bundestag an den Koalitionsvertrag hält, statt ihn zu brechen. Nach der Eingangs beschriebenen aktuellen Situation liegt die Antwort auf Hand:

1. Der Koalitionsvertrag ist grundsätzlich eine solide Basis für sozialdemokratisches Regierungshandeln, da er sehr viele Positionen der SPD beinhaltet. Das gilt für die Dinge die bereits umgesetzt wurden, wie auch für kommende Maßnahmen. Wenn man jedoch einen Koalitionsvertrag schließt und es ernst damit meint, kann man sich in der Folge nicht nur die Rosinen herauspicken. Viele Unionspolitiker waren sicherlich nicht begeistert über den Mindestlohn, das Rentenpaket, die Mietpreisbremse oder die Frauenquote und haben dennoch zugestimmt - es ist auch eine Frage des Anstands, sich an gemachte Verabredungen zu halten. Diesbezüglich war bei der unbegründeten Befristung dieses Mal nun leider die SPD an der Reihe.

2. Hinzu kommt, dass die SPD stets bemüht ist, für eine stabile und somit handlungsfähige Regierung zu sorgen - und das auch erfolgreich. Vergleicht man die beiden Großen Koalitionen von 2005 und 2013 mit der schwarz-gelben Wunschregierung von Frau Merkel in den Jahren 2009-2013 wird schnell klar, das die SPD der Stabilitätsanker deutscher Regierungen war und ist. Diese Stabilität und Handlungsfähigkeit würde die SPD gefährden, hielte sich sich nicht an die geschlossenen Verträge, weil so etwas die Vertrauensbasis für die nötige Zusammenarbeit zerstört. Bei nächster Gelegenheit würden die Unionsparteien sich revanchieren. Die Regierung würde erst an Durchsetzungskraft verlieren und früher oder später zerbrechen.

3. Natürlich könnte man theoretisch den Bruch der Koalition in Kauf nehmen, wenn man wollen würde. Nur sollte man sich dann doch bitte auch relativ sicher sein, dass es bei den nächsten Wahlen eine stabile Mehrheit für die eigenen Positionen gibt, da man ansonsten einen zweifelhaften Pyrrhussieg errungen hätte. Als Oppositionspartei setzt man nämlich genau null Prozent des eigenen Wahlprogramms durch und das wäre sicher auch nicht im Interesse der SPD-Wähler.

Sollten CDU und CSU ihre Meinung gegenüber der sachgrundlosen Befristung nicht ändern, fürchte ich, dass es in dieser Legislatur nicht zu einer Abschaffung kommen wird. Ich bedauere das und hoffe, dass die Mehrheitsverhältnisse der nächsten Wahl eine stabile Regierung ermöglichen, mit der auch die verbliebenden Forderungen des SPD-Wahlprogramms durchgesetzt werden können.

Mit freundlichem Gruß,
Johannes Kahrs