Frage an Johannes Kahrs von Constantin M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Kahrs,
Okkupation und Annexion der Halbinsel Krim in die Russische Föderation stellen einen gravierenden Verstoß gegen zahlreiche völkerrechtliche Normen (Gewaltverbot, territoriale Souveränität etc.) dar.
Es mag dahinstehen, inwieweit der EGMR unter dem Blickwinkel menschenrechtlicher Fragestellungen im Rahmen einer Staatenbeschwerde der Ukraine die Frage der Annexion bewerten darf (Vgl. etwa Ilașcu und Banković).
Wer es mit der Stärke des Rechts ernst meint, der kommt nicht umhin, auf eine Klärung anhand völkerrechtlicher Maßstäbe zu dringen. Dass eine solche Klärung auch im Falle von Streitigkeiten über territoriale Ansprüche Erfolg zeitigen kann, beweist etwa das Urteil des Int. Seegerichtshofs über den Verlauf der Seegrenze zwischen Bangladesch und Myanmar.
Einzig zur autoritativen Entscheidung der Streitigkeit über die völkerrechtliche Nichtigkeit der Annexion der Krim berufen ist der Internationale Gerichtshof. Das Problem hierbei besteht jedoch darin, dass der IGH derzeit keine Gerichtsbarkeit haben dürfte, da Russland eine generelle Unterwerfungserklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut nicht abgegeben hat und weder eine Zuständigkeitsklausel in einem völkerrechtlichen Vertrag (evtl. das Truppenstatut der Streitkräfte in Sevastopol) noch die russische Zustimmung zu einer ad-hoc Vereinbarung nach Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut ersichtlich sind.
Die russische Seite hat stets auf völkerrechtliche Argumente verwiesen, die ihr Vorgehen in Bezug auf die Krim rechtfertigen sollen. Wenn Russland jedoch der Auffassung ist, Völkerrecht nicht gebrochen zu haben, dann sollte es sich auch dem IGH stellen.
Daher frage ich Sie:
1. Werden Sie in Gesprächen mit russischen Gesprächspartnern darauf dringen, dass sich Russland in der Krim-Frage der Gerichtsbarkeit des IGH unterwirft?
2. Werden Sie öffentlich dafür eintreten, dass eine Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH für die Aufhebung der bestehenden Sanktionen notwendige Bedingung ist?
Sehr geehrter Herr Merlan,
Vielen Dank für Ihre Fragen.
Zu 1.) Da ich kein Außenpolitiker bin und sich meine Aufgabenbereiche in der übergroßen Mehrheit auf Sachverhalte innerhalb unserer Landesgrenzen beziehen, habe ich wenig bis gar keinen Kontakt zu politischen oder wirtschaftlichen Vertretern Russlands, bei denen ich auf irgendetwas hin dringen könnte.
Zu 2.) Zunächst möchte ich sagen, dass ich den IGH sehr schätze und ich mir wünschen würde, dass die mit ihm verbundenen völkerrechtlichen Standards die zukünftige Basis der Konfliktbewältigung zwischen Staaten weltweit bilden wird. Leider sind wir davon vielerorts noch weit entfernt. Ich glaube, dass es in dem Konflikt in der Ukraine die dringendste Aufgabe der deutschen Politik sein muss, eine weitere Eskalation zu vermeiden und einen stabilen Frieden zu schaffen. Nur diplomatische Verhandlungen werden schlussendlich einen nachhaltigen Frieden bringen können. Leider kann ich beim besten Willen nicht erkennen, inwieweit die Forderung nach Unterwerfung Russlands unter die Gerichtsbarkeit des IGH uns diesem primären Ziel näher bringt. Die Umsetzung einer solchen Forderung (so legitim sie im Grunde sein mag) zu einer Grundvoraussetzung für die Lockerung von Sanktionen zu machen, würde Russland wohl eher noch weniger verhandlungsbereit machen. Es wäre meiner Meinung nach diplomatisch unklug zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Forderung zu formulieren. Den Menschen in der Ukraine hilft es jedenfalls sicher nicht...
Ohnehin halte ich es für schwierig ein Land zu so etwas zu zwingen - welchen Wert hat eine solche formale Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH schon, wenn sie nicht freiwillig vollzogen wurde. Wenn ein solcher Schritt nicht aus eigener Überzeugung beschritten wurde, bleibt die Akzeptanz des jeweiligen Landes gegenüber einer Entscheidung des IGH doch ohnehin stets zweifelhaft. Letzten Endes steht dem IGH schließlich keine "Polizei" zur Verfügung, um die Urteile konsequent durchzusetzen.
Schließlich gebe ich zu bedenken, dass es durchaus noch andere prominente Vertreter der Weltgemeinschaft gibt, die sich der Gerichtsbarkeit des IGH nicht unterworfen und bereits völkerrechtlich zweifelhafte Entscheidungen getroffen haben. Dem Vorwurf gegenüber Russland mit zweierlei Maß zu messen, müsste man sich also obendrein auch noch aussetzen.
Mit freundlichem Gruß,
Johannes Kahrs