Frage an Johannes Kahrs von Daniel M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kahrs.
Anscheinend werden Schwule und Lesben auch in den nächsten vier Jahren Menschen zweiter Klasse sein. Besserungen werden auch weiterhin nur durch das BVerfG kommen.
Sie sagen im queer.de-Interview: "Außer Ausländer und Schwule zu diskriminieren haben die doch fast nichts mehr. Das ist absurd." Und weiter: "Ja, es ist absurd, es ist peinlich, es ist unverständlich, was in Deutschland passiert."
Wenn alles so absurd ist - warum opfern Sie dann Schwule und Lesben, um mitregieren zu dürfen? Ist Ihnen das nicht zutiefst peinlich, wo Ihre Partei doch mit "100% Gleichstellung nur mit uns" auf Stimmenfang war?
Wie Sie so schön sagen: Es ist einfach nur absurd. In der Bevölkerung und im Bundestag gibt es eine Mehrheit für komplett gleiche Rechte. Das Grundgesetz sagt, ein Abgeordneter sei nur seinem Gewissen verpflichtet. Und dennoch wird in der nächsten Legislaturperiode nichts passieren.
Absurd halt.
Sehr geehrter Herr Meik,
Vielen Dank für Ihre Frage.
Vorab: es tut mir persönlich sehr leid, daß es mit der Öffnung der Ehe und damit mit der schlagartigen Beseitigung aller rechtlichen Ungleichbehandlungen der Eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht geklappt hat. Ich stehe dazu, daß die Haltung von CDU/CSU in dieser Frage absurd ist und in ihrer hartnäckigen Verweigerungshaltung peinlich wirkt.
Allerdings ist in den Koalitionsverhandlungen eben doch etwas erreicht worden: die rechtliche Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe wurde in den Koalitionsverhandlungen von der SPD durchgesetzt und verpflichtet nun auch die Ewiggestrigen in der CDU, sich mit den spezifischen Problemen von LGBT-Jugendlichen, Inter- und Transsexuellen auseinanderzusetzen. Die Eingetragene Lebenspartnerschaft wird nun weiterbestehen und rechtlich die gleichen Inhalte haben wie die Institution der Ehe - aus juristischer Sicht zugegebenermaßen idiotisch, aber eine Idiotie, an der das Herz der CDU hängt. Wenn man sich anschaut, mit welcher Position die Union in die Verhandlungen gegangen ist - nämlich ein scheinbar unerschütterliches Nein - dann ist das Ergebnis letzten Endes eben doch nicht zu verachten.
Um es mal ganz hart zu sagen: die SPD hätte mit ihren 25 Prozent gegenüber den mehr als 40 der Union durchaus auch überhaupt keinen Zentimeter weiterkommen können. Für uns gibt es derzeit nur die Option, mit der Union zu koalieren, da es für Rot-Grün nicht reicht und sowohl SPD als auch Bündnis 90/Die Grünen eine rot-grün-rote Koalition für diese Legislatur schon lange im Voraus ausgeschlossen hatten. In der Politik kann man nun einmal nur so weit gehen, wie es Wahlergebnisse zulassen.
Hätten wir die Koalitionsverhandlungen wegen der Frage der Eheöffnung abbrechen sollen? Dann gäbe es in Deutschland keinen Mindestlohn, keine Rente mit 63, keine der vielen weitreichenden Projekte, die die SPD in diesen Koalitionsvertrag schreiben konnte und die eben ebenfalls sehr wichtig sind - auch für viele Lesben und Schwule. Das Problem der Union war ja gerade, daß sie keine eigenen Positionen in die Verhandlungen mitbrachte - bis auf Merkel, Verhinderung der doppelten Staatsangehörigkeit und die weitere Diskriminierung von Lesben und Schwulen. Umso wichtiger war es der Union, wenigstens bei den letzten beiden Punkten nicht nachzugeben. Es tut mir und meinen Kolleginnen und Kollegen in der SPD leid, daß wir der Union nicht noch mehr Boden abringen konnten, aber es ging eben trotz langer und sehr harter Verhandlungen nicht weiter.
Ich kann Ihnen versichern, daß ich und meine Genossinnen und Genossen auch in der Großen Koalition weiterhin alles dafür tun werden, um die Rechte von LGBT weiter im Fokus zu halten. Ich persönlich werde mit Sicherheit nie gegen einen Antrag zur Öffnung der Ehe stimmen.
Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Kahrs