Frage an Johannes Kahrs von Nima F. bezüglich Finanzen
Ist nicht mal endlich Zeit für eine grundsätzliche Steuerrevolution?
Keine Steuerreform, die wieder irgendwas notgedrungen flickt, sonder ein gesamtes, neues und faires Konzept. Mit eindeutiger Beseitigung der kalten Progression!
Sehr geehrte Frau Feriduni,
vielen Dank für Ihre Frage.
Ich gebe Ihnen Recht, unser Steuersystem ist stark verbesserungsbedürftig. Da eine gutes und nachhaltiges Steuersystem die Grundlage ist für einen handlungsfähigen Staat, der in der Lage ist, seine Aufgaben für ein solidarisches Gemeinwesen zu erfüllen, baut unser Regierungsprogramm ganz stark auf eine Neuordnung des Steuersystems. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass Daseinsvorsorge, Sicherheit, soziale Sicherung, Bildung, Infrastruktur und Kultur für alle verfügbar sind. Stabile Staatsfinanzen bilden die Grundlage dafür, dass der Staat diese Aufgaben erfüllen kann. Sie sind auch Voraussetzung für nachhaltiges und qualitatives Wachstum, um Wohlstand für alle zu schaffen und zu sichern. Die Neubegründung der Sozialen Marktwirtschaft baut auf einem gerechten Steuersystem auf. Unsere Politik steht in der Pflicht einer soliden Finanzierung. Es darf keine Lastenverlagerung auf künftige Generationen geben. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse muss eingehalten werden.
Mit unseren Idee ließen sich die Grundlage für nachhaltiges Wachstum und Gerechtigkeit bilden. Es gibt klare Prioritäten, die den aufgezeigten wirtschaftspolitischen Zielen und finanziellen Handlungsspielräumen im Rahmen unseres Steuer- und Finanzkonzeptes folgen: An erster Stelle stehen der Schuldenabbau und Investitionen in Bildung. Es folgt die Stärkung der sozialen und kulturellen Handlungsfähigkeit unserer Städte und Gemeinden. Wichtig sind die Stärkung der Binnennachfrage durch eine gerechtere Lohn- und Einkommensentwicklung sowie die Investitionen in Forschung und Entwicklung, Infrastruktur und Energiewende.
Steuerpolitik ist für uns Gesellschaftspolitik. Das aktuelle Steuersystem folgt allerdings einem Gesellschaftsbild, das vielfach die aktuelle Lebenswirklichkeit nicht mehr hinreichend abbildet. Es wird den sich abzeichnenden Herausforderungen der Zukunft nicht mehr gerecht. In Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften stehen Partner füreinander ein. Deshalb wollen wir für künftige Ehen ab einem Stichtag anstelle des Ehegattensplittings einen Partnerschaftstarif für Ehegatten einführen, bei dem beide Partner individuell besteuert werden, wobei aber die gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen berücksichtigt werden. Für Ehepartner, die ihre Lebensplanung auf das bisherige Steuersystem ausgerichtet haben, wollen wir nichts ändern. Anstelle der Steuerklassenkombination III/V wollen wir das sogenannte Faktorverfahren zur Norm machen. Dabei werden beide Einkommen mit einem gleich hohen Durchschnittssatz besteuert. Mit dieser Umgestaltung passen wir das Steuerrecht in einem ganz zentralen Bereich der Einkommensbesteuerung den Realitäten unserer heutigen Gesellschaft an und erreichen mehr Steuergerechtigkeit. Darüber hinaus wollen wir Alleinerziehende steuerlich gerechter behandeln.
Steuerpolitik begreifen wir als ein wichtiges Mittel, das solidarische Miteinander in unserem Land zu ermöglichen und zu fördern und der sozialen Spaltung entgegenzuwirken. Sie muss gerecht und zugleich wirtschaftlich vernünftig sein. Und sie muss den Lebensentwürfen in einer modernen Gesellschaft entsprechen.
Anspruch unserer Steuerpolitik ist es, die Förderung wirtschaftlicher Dynamik mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Gerechtigkeit ist der zentrale Anker unserer Steuerpolitik, denn sie ist Grundbedingung für die soziale Stabilität der Gesellschaft. Steuerpolitik auf der Grundlage stabiler Staatsfinanzen ist dann sozial gerecht und wirtschaftlich vernünftig, wenn starke Schultern mehr tragen als schwache. Deutschland ist hier aus dem Gleichgewicht geraten. Die Schere der Einkommens- und Vermögensverteilung geht auseinander: Die Löhne im oberen Bereich sind in den letzten zehn Jahren gestiegen. Die unteren 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten haben nach Abzug der Inflation Reallohnverluste erlitten. Das Vermögen privater Haushalte wächst und beträgt fast 10 Billionen Euro. Vor allem die obersten zehn Prozent der Haushalte haben von den Zuwächsen profitiert. Während sie 1970 44 Prozent des gesamten Nettovermögens besaßen, sind es heute über 60 Prozent.
Unsere Steuerpolitik ist kein Selbstzweck, sondern dient einer fairen Lastenverteilung und dem Gleichgewicht in der Gesellschaft. Wir wollen zukünftig Bezieher hoher Einkommen und Vermögende stärker zur Finanzierung unseres Gemeinwesens heranziehen. Dazu wollen wir den Spitzensteuersatz von 42 bzw. 45 Prozent auf 49 Prozent für zu versteuernde Einkommen ab 100.000 Euro bzw. 200.000 Euro bei Eheleuten erhöhen.
Vermögen wird in Deutschland im internationalen Vergleich weit unterdurchschnittlich besteuert. Wir werden die Vermögensteuer auf ein angemessenes Niveau heben, um den Ländern die notwendige Erhöhung der Bildungsinvestitionen zu ermöglichen. Wir wollen eine Vermögensteuer, die der besonderen Situation des deutschen Mittelstandes, von Personengesellschaften und Familienunternehmen Rechnung trägt und ihre zukunftssichernde Eigenkapitalbildung sichert, sowie ihre Investitionspielräume nicht belastet. Bei der Vermögensteuer stellen hohe Freibeträge für Privatpersonen sicher, dass das normale Einfamilienhaus nicht von der Vermögensteuer betroffen sein wird.
Auch bei der Besteuerung von Erbschaften steht für uns die Steuergerechtigkeit im Vordergrund. Wir wollen die missbräuchliche Ausnutzung von steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten einer geringen Zahl reicher Erben nicht länger hinnehmen. Wir werden deshalb die von der schwarz-gelben Koalition eingeführten Begünstigungen zurücknehmen und Begünstigungen bei der Erbschaftsbesteuerung künftig viel stärker an den dauerhaften Erhalt von Arbeitsplätzen koppeln und damit auch mittelstandsfreundlich ausgestalten. Gerade für Familienunternehmen ist es von herausragender Bedeutung, dass der Generationenübergang durch die Besteuerung nicht zusätzlich erschwert wird, und natürlich ist es auch im Interesse des Gemeinwesens, wenn Unternehmen weitergeführt und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dauerhaft weiterbeschäftigt werden.
Arbeit darf nicht höher besteuert werden als Einkommen aus Kapitalvermögen. Deshalb wollen wir in einem ersten Schritt die Abgeltungssteuer unter Beibehaltung des Optionswahlrechtes von 25 Prozent auf 32 Prozent erhöhen. Sollten wir feststellen, dass das Aufkommen dieser Abgeltungssteuer geringer ausfällt als die voraussichtlichen Einnahmen bei der Besteuerung mit dem persönlichen Einkommensteuersatz, wollen wir die Abgeltungssteuer innerhalb von drei Jahren abschaffen und die Kapitalerträge wieder der synthetischen Besteuerung unterwerfen.
Wir wollen eine Finanztransaktionssteuer mit einer möglichst breiten Bemessungsgrundlage und niedrigen Steuersätzen. Das heißt für uns, dass alle Transaktionen von Aktien, Anleihen, Derivaten und Devisen einer Besteuerung unterliegen müssen.
Dabei werden wir die Finanztransaktionssteuer so ausgestalten, dass sie nicht als Betriebsausgabe abzugsfähig ist, weder von der Einkommen- noch von der Körperschaft- und Gewerbesteuer.
Schließlich werden wir die steuerliche Absetzbarkeit von Vorstands- und sonstigen Managergehältern, einschließlich Boni und von Abfindungen, auf maximal 50 Prozent der Beträge begrenzen, die 500.000 Euro übersteigen.
Besondere steuerliche Privilegien für einzelne Interessengruppen, etwa Hoteliers und reiche Erben, die CDU/CSU und FDP in den vergangenen Jahren neu geschaffen haben, werden wir zurücknehmen.
Wir wollen steuerliche Subventionen – insbesondere solche mit ökologisch schädlicher Wirkung – gemäß unserem Steuer- und Finanzierungskonzept streichen. Dazu gehören unter anderem der Abbau der steuerlichen Vergünstigung für Agrardiesel, die Begrenzung der Absetzbarkeit von Kraftstoffkosten bei großen Firmenwagen sowie im Rahmen einer europäischen Lösung die Streichung der Begünstigung von Flugbenzin.
Darüber hinaus ist es für die SPD von zentraler Bedeutung, die Subventionierung von Niedriglöhnen endlich zu beenden. Das ist nicht nur ein Gebot sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft; die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro würde zudem zu Steuermehreinnahmen, Minderausgaben bei ALG II sowie „Zweitrundeneffekten” von über 7 Mrd. Euro führen.
Wichtig bleibt ferner eine Entlastung von steigenden Sozialausgaben. Ein erster wichtiger Schritt wurde auf Druck der SPD-geführten Länder mit der Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund getan. Wir werden die Übernahme weiterer Sozialleistungen durch den Bund prüfen.
Auch künftig steht den Kommunen bei Standarderhöhungen und neuen Leistungsansprüchen eine auskömmliche Finanzierung zu. Konnexität ist im Verhältnis zu den Ländern zwingend, muss aber in der Sache auch auf Bundesentscheidungen Anwendung finden.
In der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages muss der bis 2019 befristete Länderfinanzausgleich neu verhandelt werden. Wir stehen für einen solidarischen Bundesstaat. Die SPD hat unter Führung von Gerhard Schröder 2001 den Solidarpakt II durchgesetzt, der den ostdeutschen Ländern die Chance auf eigene Entwicklung gegeben hat. Die Klagen der CDU und der CSU gegen den Länderfinanzausgleich machen deutlich, dass diese Solidarität in Gefahr ist. Nur die SPD als gesamtdeutsche Partei steht für einen Interessenausgleich zwischen wirtschaftlich schwachen und starken Regionen. Der Interessenausgleich darf sich nicht mehr nach Ost oder West orientieren, sondern muss die Strukturprobleme aller Kommunen und Regionen berücksichtigen. Im Zuge der Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs werden wir eine Lösung für die Altschulden der Länder und Kommunen u.a. durch Einrichtung eines nationalen Schuldentilgungsfonds finden.
Steuerbetrug ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die das Vertrauen in den Rechtsstaat untergräbt und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet. Wir nehmen nicht hin, dass dem Gemeinwesen Milliarden Euro an Steuergeldern entgehen, weil einige Finanzinstitute nicht ausreichend mit den Finanzämtern kooperieren, Steuerbetrug dulden oder sogar im Rahmen ihrer Geschäftsmodelle durch das Angebot entsprechender Bankprodukte billigend unterstützen. Wir wollen deshalb alle in Deutschland tätigen Finanzinstitute verpflichten, keine Bankprodukte und -dienstleistungen anzubieten, mit denen ihre Kunden Steuern hinterziehen können, und mit den Finanzämtern zu kooperieren. Leistet ein Finanzinstitut mit Sitz in Deutschland oder eine Zweigniederlassung eines ausländischen Instituts nachweislich Beihilfe zum Steuerbetrug oder verweigert sich der Kooperation mit den Steuerbehörden, soll dies bei zukünftigen Fällen stärker zur Rechenschaft gezogen werden können: Wir wollen eine sich steigernde Strafbewehrung, die mit Strafzahlungen beginnt und über die Möglichkeiten der Abberufung der Geschäftsführung und Berufsverboten bis zur Einschränkung der Banklizenz und als ultima ratio zum Entzug der Banklizenz führen kann.
Wir wollen die Kooperation zwischen Bundes- und Landesverwaltungen weiter optimieren, um bei Ermittlungen in Fällen grenzüberschreitender Steuerkriminalität von erheblicher bzw. grundsätzlicher Bedeutung schneller und koordinierter handeln zu können. So soll auch ein einheitlicher Umgang mit Informationsangeboten privater Dritter über mutmaßliche Steuerhinterzieher sichergestellt werden. Darüber hinaus wollen wir die Befugnisse der bestehenden Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Fragen des Steuerbetrugs stärken.
Wir streben einen gleichmäßigen Steuervollzug an und wollen zur Schaffung einheitlicher Standards bei der Steuererhebung und Steuerprüfung zusammen mit den Bundesländern bundesweite Standards festlegen.
Die Verjährungsfristen für Steuerbetrug werden wir anpassen. Verstöße gegen das Steuerrecht sollen künftig nicht mehr automatisch schon nach zehn Jahren verjähren, sondern zumindest die Laufzeit verdächtiger Finanzkonstrukte abdecken. Unsere Reform der Verjährungsfristen soll sich an der Praxis in den Vereinigten Staaten orientieren: Dort beginnt die Verjährungsfrist erst mit der Abgabe einer korrekten Steuererklärung.
Wir wollen Steueroasen mindestens europaweit trockenlegen. Der zwischenstaatliche Informationsaustausch muss effektiver werden. Dazu wollen wir den Anwendungsbereich der EU-Zinsrichtlinie auf alle Kapitaleinkünfte und alle natürlichen und juristischen Personen ausdehnen und den automatischen Informationsaustausch zum Standard in Europa machen, auch im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz. Wir wollen uns intensiv für die Bekämpfung des Betrugs bei der Umsatzsteuer auf nationaler wie auf europäischer Ebene einsetzen. Die Bekämpfung von Steuerbetrug kann in einem gemeinsamen europäischen Markt nur europäisch gelingen. Wir werden uns in den europäischen Gremien für eine engere und koordinierte Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einsetzen und die Initiativen der Europäischen Kommission auch gegenüber Drittstaaten unterstützen. Wir werden konsequent den Kampf gegen Steuerdumping und Steuerbetrug zur Bedingung für Finanzhilfen im Rahmen der Euro-Rettungspakete machen. Wir wollen, dass gerade auch in Ländern mit hoher Staatsverschuldung, die auf Hilfe angewiesen sind, Finanzkriminalität aufgedeckt und Steuerehrlichkeit durchgesetzt wird. Regierungen, die sich auf die Solidarität anderer stützen, dürfen Steuerflucht nicht mehr zum nationalen „Geschäftsmodell” machen.
Auf europäischer Ebene setzen wir uns für die schnellstmögliche Einführung der
Finanztransaktionssteuer ein. Sie ist ein wirksames Instrument, um die Verursacher der Finanz- und Wirtschaftskrise an den Kosten der Aufräumarbeiten zu beteiligen. Sie ist gerecht und wirtschaftlich notwendig.
Innerhalb der Europäischen Union wollen wir künftig sicherstellen, dass zwischen Mitgliedsstaaten einheitliche Mindeststeuersätze und Mindestbemessungsgrößen bei Ertrags- und Unternehmenssteuern entwickelt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Kahrs